Reportage
Stand: 09.11.2025 11:04 Uhr
Eigentlich geht es beim EU-Lateinamerika-Gipfel in Kolumbien um eine engere Zusammenarbeit. Doch die jüngsten US-Angriffe auf mutmaßliche Drogenboote überschatten das Treffen – und die EU scheint das Thema am liebsten meiden zu wollen.
Von Marie-Kristin Boese und Anne Demmer, zzt. in Kolumbien
Das Fischerdorf Taganga, unmittelbar an der Karibikküste Kolumbiens: Seit 70 Jahren fährt Juán mit seinem kleinen Kutter weit raus aufs Meer. „León del Mar“ – Seelöwe steht mit hellblauen Lettern auf dem Boot geschrieben. Manchmal bleiben er und sein Bruder bis zu zwölf Tage auf hoher See. So weit wagen sie sich allerdings nicht mehr raus, seit US-Präsident Donald Trump vor zwei Monaten begann, mutmaßliche Drogenboote abschießen zu lassen.
Juán macht sich Sorgen. Sie seien Hochseefischer, und wenn plötzlich Boote bombardiert würden, könne es leicht passieren, dass sie versehentlich hineingerieten. Diese Angst teilten alle, die in der Gegend unterwegs seien. „Wir beten zu Gott, dass uns nichts passiert“, erzählt der 81-jährige Fischer, während er am Steuer steht. Ein Mann aus dem Nachbarort sei schon ums Leben gekommen.
Seit 70 Jahren fährt Juán mit seinem kleinen Kutter weit raus aufs Meer.
Das kleine Fischerdorf befindet sich nur eine halbe Autostunde von Santa Marta entfernt, wo ab heute das Gipfeltreffen zwischen der Europäischen Union und der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten CELAC stattfinden wird. Zwei Tage werden mehr als 60 Delegationen darüber beraten wie die Zusammenarbeit in den Bereichen Energie, Klimawandel und internationaler Sicherheit verbessert werden kann.
Es werden ein Dutzend Staats- und Regierungschefs erwartet, viele haben allerdings abgesagt. Die Präsidentin von Mexiko und die Präsidenten von Argentinien und Chile werden nicht nach Santa Marta reisen.
US-Angriffe überschatten Gipfel
Der Gipfel findet inmitten der Spannungen statt, die durch Trumps außergerichtliche Angriffe auf mutmaßliche Drogenschmuggler in der Region ausgelöst wurden. Nur drei Tage vor Beginn des Treffens starben erneut drei Menschen bei einem Angriff des US-Militärs auf ein Boot in karibischen Gewässern – ohne Durchsuchung, ohne Beweise. Damit sind in nur zwei Monaten 18 Boote versenkt worden, mindestens 69 Zivilisten kamen ums Leben.
Nach den US-Angriffen auf Boote mutmaßlicher Drogenschmuggler haben die Fischer der Region Angst.
Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva spricht offen an, was hinter den Kulissen viele Gemüter erhitzt. Man werde versuchen, auf dem EU-CELAC-Gipfel auch über Venezuela sowie über die Präsenz der US-Streitkräfte im Karibischen Meer zu sprechen. Die Polizei habe jedes Recht, den Drogenhandel zu bekämpfen, doch Washington solle helfen – und nicht drohen, erklärt der brasilianische Regierungschef im Vorfeld des Gipfels.
Offiziell werden die US-Kriegsschiffe vor den Küsten Venezuelas und Kolumbiens im Kampf gegen den Drogenschmuggel eingesetzt, für viele in der Region ist es aber ein Symbol amerikanischer Einmischung. Trump hat es geschafft die Region darüber zu spalten.
Im Visier steht vor allem der venezolanische autoritäre Staatschef Nicolás Maduro. Venezuela ist tatsächlich Transitland für Drogen, produziert jedoch selbst kaum Kokain. Der Kampf gegen den Drogenschmuggel wirkt für viele Beobachter vorgeschoben. Trump geht es wohl eher um die Ressourcen der Region. Venezuela sitzt auf gigantischen Ölreserven. Ein Regimewechsel käme Trump gelegen.
Expertin: Bootsangriffe des US-Militärs völkerrechtswidrig
Für Rosa Merlín Rodríguez, Rechtswissenschaftlerin an der mexikanischen Universität UNAM, sind die US-amerikanischen Angriffe eindeutig völkerrechtswidrig: „Donald Trump legitimiert diese Angriffe, indem er sie mit dem Kampf gegen den Drogenterrorismus rechtfertigt. Aber diese Argumentation gibt es im Recht nicht.“ Es handele sich um eine politische Konstruktion, die er nutze, um seinen Einfluss auszuweiten und gegen diejenigen vorzugehen, die er als seine Feinde betrachte, oder gegen Regierungen wie die Venezuelas, wo er intervenieren wolle, so Merlin Rodríguez.
Trump hat bereits mit Einsätzen in Venezuela an Land gedroht und den Konflikt weiter eskaliert, einen gigantischen Flugzeugträger in die Region geschickt. Auch der kolumbianische Präsident Gustavo Petro ist dem US-Präsidenten ein Dorn im Auge. Die US-Regierung hat Sanktionen gegen den linken Präsidenten verhängt, dem sie mangelndes Vorgehen gegen Drogenkartelle vorwirft. Trump bezeichnete ihn als „Drogendealer“, „Gangster“ und „üblen Kerl“.
Die Sprachlosigkeit der EU
Die Europäischen Staats- und Regierungschefs scheinen eine Diskussion um die US-Angriffe lieber meiden zu wollen – ein heikles Thema. Bundeskanzler Friedrich Merz, der französische Präsident Emmanuel Macron haben ihre Teilnahme am Gipfel abgesagt und auch die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zog es im letzten Moment vor, die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas in Vertretung zu schicken.
Die geringe Beteiligung sei zum Teil auf die zunehmend aggressive Haltung Washingtons in der Region zurückzuführen, erklärten anonyme Quellen aus diplomatischen Kreisen, die auf der Nachrichtenplattform Bloomberg zitiert werden. Niemand scheint sich die Finger verbrennen zu wollen. Auf Nachfrage der ARD erklärte ein Sprecher auf der Regierungspressekonferenz zu den Bootsangriffen der USA nur knapp: „Die Völkerrechtskonformität dieser Aktivitäten zu belegen obliegt den USA und nicht uns.“
Kurzfristig sagte nun der deutsche Außenminister Johann Wadephul seine Teilnahme zum EU-CELAC-Gipfel zu. Deutschland wolle gemeinsam mit Lateinamerika und der Karibik Verantwortung für Frieden und Sicherheit in der Region übernehmen. Es bleibt abzuwarten, wie konkret das ausfällt.








