Er hatte noch versucht, sich bis zum kommenden Frühjahr im Amt zu halten. Doch nun ist für Paul Bulcke Schluss: Der Belgier tritt per Ende September von seinem Posten als Verwaltungsratspräsident von Nestlé zurück. Dies teilte der Schweizer Lebensmittelkonzern am Dienstagabend mit. „Für mich ist jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen, mich zurückzuziehen und den geplanten Übergang zu beschleunigen“, wird Bulcke in der Mitteilung zitiert. Der Spanier Pablo Isla übernimmt am 1. Oktober den Vorsitz im Verwaltungsrat. Dieser Wechsel war eigentlich erst für April 2026 geplant. Doch offenkundig kam aus Kreisen der Aktionäre erheblicher Druck, die Rochade vorzuziehen.
Denn dem 71 Jahre alten Bulcke wird eine erhebliche Mitschuld an der Misere zugeschrieben, in die Nestlé geraten ist. Diese äußert sich in einer hartnäckigen Wachstumsschwäche und einer hausgemachten Führungskrise. Bulcke hatte den deutschen Vorstandsvorsitzenden Ulf Mark Schneider vor gut einem Jahr vor die Tür gesetzt und dafür seinen engen Vertrauten Laurent Freixe an die Spitze gehievt. Doch Freixe wurde vor zwei Wochen fristlos entlassen, weil er eine verdeckte Liebesbeziehung zu einer ihm untergebenen Mitarbeiterin unterhielt. Der 63 Jahre alte Franzose hatte die Affäre intern zunächst bestritten. Doch Nachforschungen ergaben, dass an der Sache eindeutig etwas dran war. Angeblich hatte Bulcke noch versucht, die Hand über Freixe zu halten, was intern und extern zusätzlich für Verstimmung sorgte.
Am vergangenen Wochenende griff die „Financial Times“ den Ärger einzelner größerer Aktionäre auf. Mit Blick auf die schleppende Art und Weise, wie die Untersuchungen in dieser Affäre verlaufen waren, sagte ein namentlich nicht genannter Aktionär, es sei eine Frage des Anstands, dass Bulcke seinen Posten sofort räume. Bulcke habe den Respekt und das Vertrauen der Anteilseigner verloren. Trotz des Rücktritts hat der Verwaltungsrat Bulcke „in Anerkennung seiner langjährigen und engagierten Verdienste“ zum Ehrenpräsidenten von Nestlé ernannt, wie Pablo Isla in der Pressemitteilung erklärt.
Der 61 Jahre alte Isla gehört dem Verwaltungsrat von Nestlé seit 2018 an. Analysten erhoffen sich von dem Spanier, der sich als Chef des Modekonzerns Inditex (Zara, Bershka) einen Namen gemacht hat, neue strategische Impulse sowie härtere Umbauarbeiten. Weil Isla nun Präsident wird, übernimmt der Niederländer Dick Boer dessen bisherigen Posten als „Lead Independent Directors“ und steigt zum Vizepräsidenten auf. Boer sitzt seit 2019 im Verwaltungsrat und ist der ehemalige Chef des Supermarktkonzerns Ahold Delhaize. Den Nestlé-Vorstand führt seit dem Abgang von Freixe der Schweizer Philipp Navratil. Der 48-Jährige ist ein Hausgewächs. Er leitete zuletzt die Nestlé-Tochtergesellschaft Nespresso.