
Übergabe von toten Palästinensern „Es gibt Brüche im Gesicht, an Beinen und Armen“
Stand: 22.10.2025 01:00 Uhr
Hat Israel Gefangene gefoltert? Nach der Überstellung von 150 palästinensischen Leichen in den Gazastreifen werden schwere Vorwürfe laut. Unabhängig überprüfen lassen sie sich nicht.
Ein Raum im Nasser-Krankenhaus in Chan Junis im südlichen Gazastreifen: Dutzende Menschen sitzen oder stehen vor einem Bildschirm, auf dem schreckliche Bilder zu sehen sind. Fotos von Leichen von Palästinensern, die Israel freigegeben hat, und die dann vom Roten Kreuz in den Gazastreifen gebracht wurden.
Auch eine junge Frau ist da, sie ist die Tochter von Mohammad Abdel Kader Zughra aus dem Norden von Gaza-Stadt. Mit den Terroristen aus dem Gazastreifen, die Israel überfallen haben, habe er nichts zu tun, sagt sie. Und: Er sei am 7. Oktober 2023 morgens an der Grenze zu Israel festgenommen worden.
„Es hieß in den Nachrichten, die Leichen seien angekommen“, erzählt die Tochter. Auf den Fotos habe sie etwas gesehen, das sie an ihren Vater erinnert habe. „Deshalb bin ich gekommen, um den Körper aus der Nähe zu sehen. Deshalb sind wir heute zum Nasser-Krankenhaus gekommen, um sicher zu gehen, ob das mein Vater ist oder nicht.“
Insgesamt 150 Leichen habe Israel übergeben, heißt es. Ahmad Dheir hat die meisten gesehen. Er ist der Chef der forensischen Medizin in Gaza. Mit seinen Mitarbeitern versucht er, die Fälle so gut es geht zu dokumentieren.
Fesseln, ein Seil um den Hals, Brüche im Gesicht
Nachdem er die Leichen gesehen hat, erhebt er im Gespräch mit dem ARD-Studio Tel Aviv schwere Vorwürfe: In den meisten Fällen seien die Leichen nackt gewesen, nur einige hätten Unterwäsche getragen. „Sie hatten ihre Hände auf dem Rücken gefesselt, an den Handgelenken und auch an den Knöcheln. Zwei hatten Augenbinden. Einer hatte ein Seil um den Hals. Es gibt viele Prellungen am ganzen Körper. Einigen wurde in den Kopf oder in die Brust geschossen.“
Spuren von Folter zeigen nach seinen Angaben viele der Leichen. Bilder, die in sozialen Medien verbreitet werden, scheinen Folterspuren zu bestätigen. „Es gibt vielfache Brüche im Gesicht, am Kopf, an den Beinen und Armen“, sagt Ahmad Dheir.
NGOs dokumentierten Fälle von schwerer Folter
Wie und wann die Palästinenser umgekommen sind, lässt sich nicht überprüfen. Aber es gibt Berichte von zahlreichen Toten in israelischen Gefängnissen und Militärlagern. Fälle von schwerer Folter und sexueller Gewalt wurden auch von israelischen Nichtregierungsorganisationen dokumentiert. Von 80 Toten Palästinensern in israelischen Gefängnissen und Lagern sprechen die Vereinten Nationen.
Mit den Vorwürfen von Folterspuren an den übergebenen Leichen konfrontiert, kommt von der israelischen Armee, die für Militärlager zuständig ist, keine Reaktion. Die Gefängnisbehörde schreibt dem ARD-Studio Tel Aviv, sie arbeite Gesetzeskonform und unter Aufsicht der zuständigen Behörden.
Tal Steiner, die Direktorin des Öffentlichen Komitees gegen Folter in Israel, sieht ein Muster, auch wenn sie Einzelfälle nicht bestätigen kann: „Ich kann zu den konkreten Leichen nichts sagen, die zurückgegeben wurden, denn wir haben sie nicht gesehen und keine direkten Informationen“, erklärt sie. „Aber wir wissen, dass die Todesrate von Palästinensern in israelischer Haft sehr hoch ist. Wir sehen auch, dass die Vorwürfe, dass die Leichen Spuren von Folter zeigen, auf einer Linie ist mit den Zeugenaussagen, die wir haben – über schweren körperlichen und sexuellen Missbrauch in israelischen Gefängnissen.“
Steiner fordert eine Untersuchung der Fälle. Bisher hat es die von den israelischen Behörden nur vereinzelt gegeben.
„Es ist sehr schwer zu beschreiben“
Im Nasser-Krankenhaus haben sie Dutzenden Leichen in einen Kühlwagen geladen, sie sollen in den nächsten Tagen beerdigt werden. Die Tochter von Mohammad Abdel Kader Zughra hat ihren Vater identifizieren können: Er ist es, 48 Jahre alt, aus Ssheich Radwan im Norden von Gaza-Stadt. „Ihn in diesem Zustand zu sehen, war schwer, ich kann das nicht beschreiben“, sagt die Tochter. „Die Hand meines Vaters amputiert zu sehen, die Spuren von Folter auf seinem Körper. Wir dachten, er ist ein Gefangener oder getötet. Es ist sehr schwer zu beschreiben.“