Behauptung von Trump Hängt Autismus mit Paracetamol zusammen?
Stand: 23.09.2025 19:22 Uhr
Die Einnahme von Paracetamol in der Schwangerschaft soll beim Kind Autismus auslösen – das behauptet US-Präsident Trump. Vollkommen haltlos ist seine Aussage nicht, aber die Studienlage ist uneindeutig.
Paracetamol ist eines der am häufigsten verwendeten Medikamente während einer Schwangerschaft. Doch jetzt hat US-Präsident Donald Trump eindringlich vor dem Schmerzmittel gewarnt: „Die Einnahme von Tylenol ist nicht gut“, sagte er bei einer Veranstaltung im Weißen Haus. Unter diesem Markennamen ist das Mittel in den USA bekannt.
Auch die US-Arzneimittelbehörde FDA hat angekündigt, das Medikament mit einem neuen Warnhinweis über einen „möglichen Zusammenhang“ versehen zu wollen. Was steckt dahinter?
Autisten denken und fühlen anders, häufig haben sie Probleme in sozialen Situationen. Das liege an der neurologischen Entwicklung und Funktionsweise ihres zentralen Nervensystems, erklärte Sven Bölte, Leiter des Zentrums für Entwicklungsstörungen am Karolinska-Institut in Stockholm, dem MDR. Die Zahl der Autismus-Diagnosen in Industriestaaten sei in den vergangenen 20 Jahren gestiegen. Das sei aber vor allem ein statistisches Phänomen, etwa weil die Diagnostik verbessert worden sei. Zudem ist das Bewusstsein in der Gesellschaft dafür gestiegen.
Aktuelle Metastudie zeigt Zusammenhang
Aber kann auch Paracetamol ein Faktor sein? Tatsächlich gibt es Studien, die einen Zusammenhang zwischen der Einnahme während der Schwangerschaft und neurologischen Entwicklungsstörungen – wie Autismus oder auch ADHS – nahelegen. Es gibt aber auch viele Studien, die keinen Zusammenhang gefunden haben.
Der Anlass für Trumps Warnungen könnte eine aktuelle Metastudie sein. Darin haben Forschende 46 Einzelstudien ausgewertet. In 27 Studien habe sich ein möglicher Zusammenhang zwischen Autismus bei Kindern und der Einnahme von Paracetamol während der Schwangerschaft gezeigt. In sieben gab es allerdings keinen Zusammenhang und in vier Studien gab es sogar Hinweise auf eine schützende Wirkung gegen Autismus durch Paracetamol. Allerdings betonen auch die Autoren: Es gibt keine direkten Hinweise auf eine Gefahr – nur einen Verdacht.
Zusammenhang könnte durch andere Faktoren entstehen
Eine der wohl bislang größten Studien zu dem Thema fand keine Belege dafür, dass Paracetamol in der Schwangerschaft Autismus verursachen kann. Forschende verglichen die Daten von fast 2,5 Millionen Kindern, die zwischen 1995 und 2019 in Schweden geboren wurden. Das Ergebnis: Die Forscher fanden zwar einen Unterschied – allerdings einen „sehr geringen“, sagte Mitautor Viktor Ahlqvist, Epidemiologe am Karolinska-Institut in Stockholm, der Fachzeitschrift Nature. Demnach waren etwa 1,42 Prozent der Kinder, die während der Schwangerschaft Paracetamol ausgesetzt waren, autistisch – verglichen mit 1,33 Prozent der Kinder, die dem Schmerzmittel nicht exponiert waren.
Die Forschenden verglichen auch Geschwisterpaare derselben Mutter, bei denen eines Paracetamol ausgesetzt war und das andere nicht. Geschwister teilen sich die Hälfte ihres Genoms und haben eine ähnliche Erziehung, sodass jeder festgestellte Unterschied in Bezug auf Autismus zwischen Geschwistern eher auf das Medikament zurückzuführen wäre. Dabei fanden die Forscher allerdings keinen Zusammenhang zwischen Paracetamol und Autismus. „Dies deutet darauf hin, dass die in anderen Modellen beobachteten Zusammenhänge möglicherweise auf Störfaktoren zurückzuführen sind“, so die Autoren. Die Trump-Regierung habe „die verfügbaren Beweise offenbar missverstanden“, sagte Mitautor Ahlqvist auch der Nachrichtenagentur Reuters.
Störfaktoren schwierig herauszurechnen
Ein eindeutiger Ursache-Wirkungs-Zusammenhang lässt sich aus der aktuellen Datenlage also nicht ableiten, sagte auch Stefan Ehrlich, Professor für Psychosoziale Medizin und Entwicklungsneurowissenschaften am Universitätsklinikum Dresden, dem MDR. Um einen kausalen Zusammenhang zu belegen oder zu widerlegen, brauche es „bessere Daten, bessere Studien“, so Ehrlich.
Doch die Forschung dazu sei schwierig, erklärte Ahlqvist. Da das Medikament rezeptfrei erhältlich ist, sei ein Großteil der Verwendung nicht in medizinischen Datenbanken erfasst. Forschende müssen sich also auf Auskünfte der Probanden verlassen. Auch könnten Frauen, die während der Schwangerschaft Paracetamol einnehmen, in schlechterer gesundheitlicher Verfassung sein als Frauen, die kein Paracetamol einnehmen. Generell stehe die Einnahme jeglicher Art von Medikamenten während der Schwangerschaft mit negativen Auswirkungen auf Kinder in Verbindung. In der Regel aber nicht wegen des Medikaments selbst, sondern wegen der zugrunde liegenden Gesundheitsprobleme, für die sie möglicherweise benötigt werden, so Ahlqvist.
Obwohl Wissenschaftler versuchen, solche Störfaktoren in ihren Studien zu berücksichtigen, seien solche Anpassungen „selten ausreichend“, so Ahlqvist. Das könnte ein Grund sein, warum Studien zu diesem Thema zu widersprüchlichen Ergebnissen gekommen sind.
WHO und EMA reagieren auf Trump
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) haben die Darstellung Trumps bereits zurückgewiesen. „Die verfügbaren Erkenntnisse lassen keinen Zusammenhang zwischen der Einnahme von Paracetamol während der Schwangerschaft und Autismus erkennen“, erklärte die EMA in einer Stellungnahme und fügte hinzu, dass Paracetamol bei Bedarf während der Schwangerschaft eingenommen werden könne, allerdings in der niedrigsten wirksamen Dosis und Häufigkeit. Auch WHO-Sprecher Tarik Jasarevic erklärte: „Die Beweislage ist nach wie vor uneinheitlich.“
Dass Paracetamol Autismus auslösen soll, ist also nicht belegt. Was hingegen belegt ist, ist dass hohes Fieber in der frühen Schwangerschaft zu gravierenden Problemen führen kann, etwa zu einer Fehlgeburt oder zu Fehlbildungen. Das sind nachgewiesene Gefahren, die man mit der Einnahme von Paracetamol gegen Fieber entschärfen kann.
Und Medikamente zur Linderung von Schmerzen und Fieber während der Schwangerschaft sind laut Wissenschaftlern rar. Frauen nun davon abzuraten, Paracetamol einzunehmen, wäre „äußerst gefährlich“, sagte Psychologin Helen Tager-Flusberg von der Boston University in den USA, der Zeitschrift Nature. Ein solcher Ratschlag würde „zwangsläufig die Angst schwangerer Frauen in einer Zeit schüren, in der sie das wirklich nicht nötig haben“. Paracetamol in der Schwangerschaft möglichst niedrig dosiert und nur so kurz wie möglich einzunehmen, raten Ärztinnen und Ärzte ohnehin.