Eigentlich will sich der Ex-Ampel-Vizekanzler aus der Politik zurückziehen. Doch dann taucht er plötzlich in Köln auf und macht Wahlkampf für die grüne OB-Kandidatin. Für seine Partei geht es um viel. Und Habeck-Fans erfahren, was guten Führungsstil ausmacht.
Und dann steht Robert Habeck plötzlich wieder auf der Bühne, die weißen Hemdärmel lässig aufkrempelt, Mikro in der Hand, und es lässt nicht ganz klären, ob er noch nicht ganz weg war – oder ob er schon wieder da ist. Es ist Mittwochabend, und der frühere Vizekanzler wagt ein Comeback auf Probe in einer Halle für Straßenkicker in Köln, der „buntesten Stadt Deutschlands“, wie die Moderatorin zur Begrüßung sagt.
Eigentlich hat Habeck vor einigen Wochen seinen großen Abschied aus der Politik zelebriert, mit einem langen Interview in der „taz“ und anschließendem Auftritt bei „Markus Lanz“. Es mutete an wie sein persönlicher Zapfenstreich. Der 56-jährige Ex-Bundeswirtschaftsminister hatte Ende August angekündigt, sein Bundestagsmandat aufzugeben. Er wolle, „nicht wie ein Gespenst über die Flure laufen und sagen: Früher war ich mal Vizekanzler, erinnert Ihr Euch?“, sagte er im Interview.
Er wolle im Ausland forschen, lehren und lernen – eine „Horizonterweiterung“, ein „Perspektivwechsel“. Es gehe ihm darum, „die Binnensicht aufzubrechen“. Und dann steht er Ende September in Köln auf der Bühne, einigermaßen erholt sieht er aus, und wirkt seltsam aus der Zeit gefallen.
Offenbar lag es vor allem an Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge, dass Habeck noch einmal in die tagesaktuelle Politik zurückgekehrt ist. Sie steht neben ihm auf der Bühne in Köln und erzählt, sie habe ihn gefragt, ob er im Endspurt des Wahlkampfes helfen wolle, und da habe er alle Termine umgeschmissen. Es gibt frenetischen Applaus von den etwa 500 anwesenden Habeck-Fans, und der Verehrte lächelt ganz berührt.
Kampf um das Oberbürgermeisteramt
Was unter Grünen auch unzweifelhaft ist: Einer Katharina Dröge, die als harte Verhandlerin gilt, sagt man nicht einfach ab, nicht mal, wenn man Robert Habeck heißt. Dafür hat die Kölnerin inzwischen einen viel zu großen Einfluss in der Partei. Und es geht für die Grünen um viel in der viertgrößten deutschen Stadt: Am kommenden Sonntag findet die Stichwahl für das Oberbürgermeisteramt statt. Die Grüne Berivan Aymaz, Vizepräsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen, und Sozialdemokrat Torsten Burmester, einst persönlicher Referent bei Bundeskanzler Gerhard Schröder, treten gegeneinander an.
Aymaz hatte im ersten Wahlgang vor eineinhalb Wochen vorn gelegen, aber bei Weitem nicht die notwendige absolute Mehrheit erreicht. Deshalb gibt es eine Stichwahl, so wie auch in 146 weiteren Kommunen des bevölkerungsreichsten Bundeslandes. Das Kölner OB-Amt wäre ein wichtiger Prestigegewinn für die Grünen, die in Köln zwar erneut stärkste Kraft beim ersten Durchgang der Kommunalwahlen wurden, aber landesweit deutliche Verluste hinnehmen mussten.
Habeck soll als Booster die Wähler auf den letzten Metern mobilisieren und im besten Fall bis in die bürgerliche Mitte hineinwirken. Seltsam ist nur, dass die OB-Kandidatin am Mittwochabend gar nicht live auf der Bühne steht, sondern nur auf einem riesigen Plakat zu sehen ist. Aymaz ist zwar ganz in der Nähe, aber es geht ihr gerade gesundheitlich nicht gut. Und deshalb hat Habeck nicht nur einen Auftritt in Köln, sondern muss mit Dröge improvisieren, damit der Abend nicht zu kurz ausfällt.
Den beiden fällt es leicht, die Zeit zu überbrücken. Dröge erzählt, dass sie Aymaz schon seit Langem kennt, dass sie Freundinnen seien. Aymaz könne als Oberbürgermeisterin einen „großen Unterschied“ machen. Dröge schwärmt über den „Boom bei der Solarenergie“, die großen Fahrradwege und die geplante Klimaneutralität bis 2035. „In diese Richtung müssen wir weitergehen“, sagt sie.
Habeck betont, dass die Wahl deutlich über Köln hinausweise. „Wir leben ja in einer Zeit, wo Autoritarismus in Europa, in Deutschland, in der ganzen Welt auf dem Vormarsch ist. Viele Leute haben, glaube ich, so was wie Hoffnung und Zuversicht fast verloren. Was für ein Zeichen wäre es, wenn Berivan in Köln Oberbürgermeisterin wird.“ Aymaz wolle aus dem Rathaus heraus versuchen, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu repräsentieren und zu gestalten, sagt Habeck. „Und wenn das alles nicht überzeugend ist, dann bitte noch eine Wahlempfehlung: Wer der AfD eins auswischen will, so richtig, der muss Berivan wählen.“ Da bricht wieder großer Jubel in der Halle aus.
Erinnerungen an das Heizungsgesetz
Bei der Frage, worauf es im Amt ankommt, schöpft Habeck auch aus persönlichen Erfahrungen: Menschen und Verwaltung zusammenzubringen. „Das Geheimnis besteht darin, dass die Leute in der Verwaltung das Vertrauen haben, dass die Chefin sich immer vor sie stellt.“ Dann kommt wieder Habecks eigenwilliger Duktus durch: Man müsse „reingeben in die Verwaltung, was man als eigenen politischen Plan oder als gesellschaftliche Wirklichkeit gestalten will, das Wissen nehmen und formen – sozusagen zu Gestaltungsoptionen“. Und wenn man nicht auf diejenigen in der Verwaltung höre, die widersprächen, oder alle mit anderer Meinung gewissermaßen draußen seien, „dann verliert man am Ende die Solidarität der Leute“.
Habeck blickt dabei nach Berlin: „Die Bundesregierung gibt so viele unterschiedliche Signale aus, denn es ist gerade in der Energiepolitik, dass die Leute nicht mehr wissen, in welcher Richtung soll ich eigentlich nach vorn gehen, und dann machen sie lieber gar nichts, wenn sie nicht das Vertrauen haben.“ Das lässt sich, unausgesprochen, auch auf seine Zeit als Bundeswirtschaftsminister beziehen. Habeck wollte mit seinem Gebäudeenergiegesetz, landläufig als „Heizungsgesetz“ bekannt, eine „Wärmewende“ vorrangig mit der Wärmepumpe erreichen, löste stattdessen aber große Verunsicherung in der Bevölkerung aus.
In Köln nennt Habeck noch einen Grundsatz der Verwaltungsführung: Eine Stadt komme nur voran, wenn „jemand sie anführt, der bereit ist, die Verantwortung auch zu tragen. Also, im Zweifelsfall auch die Fehler, die andere gemacht haben, zu seinen Fehlern zu erklären, damit dann Leute überhaupt weiter bereit sind, weiterzumachen.“
Auch da fühlt man sich an seine Amtszeit als Minister erinnert. Als sein Staatssekretär Patrick Graichen wegen Vorwürfen über Interessenkonflikte eines Compliance-Verstoßes in die Kritik geriet, stellte sich Habeck zunächst vor seinen Vertrauten. Letztlich sah sich Habeck dann doch gezwungen, ihn zu entlassen, weil er sich „zu angreifbar gemacht hat, um sein Amt noch wirkungsvoll ausführen zu können“, sagte der Ex-Wirtschaftsminister damals.
„Am Ende geht es darum, einen realen Unterschied zu machen“
Doch darüber wird beim Wahlkampftermin nicht gesprochen. Stattdessen sollen Dröge und Habeck nun in einem Talkshowformat mit verschiedenen Personen sprechen, eine berufstätige Mutter nimmt Platz, danach eine frühere Fußball-Nationalspielerin und ein homosexueller Aktivist. Dieser fragt Habeck, ob er in die Politik gehen solle. „Ich habe Angst, dass ich kaputtgehe. Ich habe Angst, dass mein Kopf kaputtgeht. Ich habe Angst, dass ich meine Persönlichkeit verliere“, sagt der Aktivist.
Da holt Habeck etwas aus. Er könne nur jedem empfehlen, das zu machen, sagt aber auch: „Ab einer gewissen Stufe, und die beginnt schon im Stadtrat, bist Du nicht nur der, der vor dem Fernseher, dem Radio, dem Podcast sitzt und eine Meinung hat und sagt, ‚was labern die alle für einen Quatsch‘, sondern Du bist einer von denen, die den Quatsch labern.“ Gelächter im Publikum. Auf der anderen Seite, so Habeck, gewinne man über Parteien und Fraktionen Gestaltungsmacht. „Am Ende geht es ja darum, einen realen Unterschied in seiner Zeit zu machen“, sagt Habeck. Und fügt hinzu: „Manchmal geht es auch schief. Aber wen fragst Du denn?“ Und da kommt dann Selbstironie durch, weil Habeck ja selbst als Gescheiterter die Politik verlässt.
Für Habeck-Fans ist es ein gelungener Abend, aber etliche andere gehen auch, bevor die Veranstaltung zu Ende ist. Sie verpassen, dass am Ende doch noch OB-Kandidatin Aymaz auf die Bühne kommt. Sie hat ihren nervösen Magen in den Griff bekommen und verkündet ihre zentralen Wahlkampfbotschaften.
Habeck kommt nicht mehr auf die Bühne. Er musste weg, zu einem anderen Termin. Womöglich kehrt er irgendwann nach Köln zurück. Dröge will ihn, wie sie zwischendurch erzählt, davon überzeugen, mit ihr Karneval zu feiern.
Kristian Frigelj berichtet für WELT über bundes- und landespolitische Themen, insbesondere aus Nordrhein-Westfalen.