Stand: 06.11.2025 20:50 Uhr
Ein Liebesdrama rund um die „militärische Spezialoperation“, knuffige Panzer für die kleinen Zuschauer: In Russland flankiert und rechtfertigt die Kultur den Krieg. Es ist auch ein Angriff auf die eigene Gesellschaft.
Im vierten Kriegsjahr musste auch die zwölf Meter hohe Skulptur „Big Clay #4“ des Schweizer Künstlers Urs Fischer im Moskauer Stadtzentrum weichen. Der unförmig aufgetürmte Stahl erinnerte zu sehr an einen gigantischen Exkrementhaufen.
In der Hauptstadt einer kulturell und militärisch überlegenen Nation, so die staatlich verordnete Selbstwahrnehmung, ist dafür kein Platz mehr. Jetzt ragt am Ufer der Moskwa eine riesige rote Gartenschaufel auf, ein Werk von Claes Oldenburg und Coosje van Bruggen – ganz im Zeitgeist der Mobilisierung von oben.
Die zwölf Meter hohe Skulptur „Big Clay #4“ musste weichen – und wurde durch eine Schaufel ersetzt.
Stalin als Führer und Feldherr bejubelt
Im Moskauer Siegespark sind Tonnen von Bronze aufgestellt, in Form einer zerfledderten Briefecke. Darin in Schreibschrift graviert die Nachrichten von Soldaten: „Mama, verzeih‘ mir, ich bin an die Front gegangen, um die Faschisten zu schlagen.“ Oder: „Meine Liebe, ich komme auf jeden Fall zurück.“
Der Zweite Weltkrieg, bisher vor allem heroisch aufgeladen, wird nun mit persönlichen Schicksalen unterfüttert – dahinter steckt der Versuch, die Emotionen von damals für heute zu aktivieren. Gleiches soll die Nachbildung eines historischen Reliefs an der Metrostation Taganskaja leisten: Stalin, umringt von jubelnden Frauen, Kindern und starken Männern. Der Titel: „Dankbarkeit des Volkes gegenüber dem Führer und Feldherrn“
Affektheischende patriotische Songs
Im Russischen Geistlichen Theater läuft das Stück „Für unsere Freunde“, gemeint sind die Soldaten der „militärischen Spezialoperation“, wie der Kreml den Krieg gegen die Ukraine nennt. Das Thema: Die unerschütterliche russische Opferbereitschaft, das Setting: vergangenheitsselig. Chorisches Sprechen wechselt ab mit affektheischenden patriotischen Songs.
Während der Krieg auf der Bühne heroisch verklärt wird, fällt es dem Film zu, ihn zu rechtfertigen. „20/22“ heißt die erste Spielfilmserie über die „militärische Spezialoperation“, im Frühjahr 2023 in Mariupol gedreht. Regisseur ist der 40-jährige Andrej Simonow, bisher eher bekannt durch leidenschaftliche Dramen wie „Mehr als Liebe“ oder „Kuss über dem Abgrund“.
Eine Liebesgeschichte bildet auch den Kern von „20/22“: Danila und Alisa studieren in Moskau Journalistik, sie sind ein Paar. Danila ist für den Krieg, er kommt aus Sewastopol auf der Krim und kennt sich aus mit der vermeintlich faschistischen Lage im Nachbarland. Alisa ist Kriegsgegnerin und protestiert sogar mit anderen Studenten. Der Film lässt dieses Grüppchen – in Wahrheit waren es Tausende, die gegen den Krieg protestierten – ziemlich erbärmlich aussehen.
Danila schließt sich dem Sturmbataillon Somali im Donbass an, Alisa wird ihn im brennenden Mariupol suchen und wandelt sich angesichts der vermeintlichen Brutalität der ukrainischen Kämpfer zur Befürworterin des Krieges. Sie habe „alles gesehen und alles verstanden“, kann sie gerade noch ihren heldenhaft sterbenden Geliebten beruhigen. Die plötzliche Einsicht vormaliger Kriegsgegner ist auch in den Filmen „Der Zeuge“ oder „Der Passagier“ ein Leitmotiv.
Knuffige Panzer für die Kleinen
Um sich für eine Zukunft ohne Überzeugungsarbeit zu rüsten, setzt die russische Z-Kultur auf militärische Früherziehung, etwa mit dem Zeichentrickfilm „Der kleine T-34“ – ein süßer, knuffiger Panzer, der durchs Land und durch die Zeiten rollt.
Der T-34 ist ein sowjetischer Kampfpanzer aus dem Zweiten Weltkrieg. Zum Gedenken an den Sieg hob man ihn vielerorts auf Sockel. Doch die Zeiten änderten sich und eines Tages wollten ihn vermummte Rowdys, so suggeriert der Film, wieder vom Podest reißen. Der kleine Panzer wehrt sich mit der einzigen Kanone, die er hat – der Schriftzug darauf: „Für die Heimat“
Der kurze Film schließt mit einem Satz des russischen Generalissimus und Strategen Alexander Suworow aus dem 18. Jahrhundert: „Wenn Du mit einer Pistole auf die Vergangenheit schießt, schießt die Zukunft auf Dich aus Kanonen.“ Das zielt auf die Ukraine, schließlich waren im Nachbarland zahlreiche sowjetische Denkmäler abgetragen worden. In Russland indes werden selbst Statuen von Iwan der Schreckliche wieder aufgestellt.









