Medizin-Nobelpreis 2025 Lässt sich das Immunsystem kontrollieren?
Stand: 06.10.2025 17:02 Uhr
Was wäre, wenn wir die Immunreaktion des Körpers kontrollieren könnten? Die diesjährigen Nobelpreisträger legen die Grundlage für neue Behandlungstherapien – von Autoimmunerkrankungen bis hin zu Krebs.
Von Lilly Zerbst, Ralf Kölbel, Ulrike Till, David Beck, SWR
Ist unser Immunsystem zu schwach, haben Krankheitserreger freie Bahn. Reagiert es zu stark und gegen die körpereigenen Strukturen, kommt es zu Autoimmunerkrankungen. Beides kann tödlich sein. Doch in Zukunft könnte es medizinische Wege geben, wie sich diese Stärke der Immunreaktion kontrollieren lassen könnte.
Die Grundlage hierfür schufen die diesjährigen Nobelpreisträger Mary Brunkow, Fred Ramsdell und Shimon Sakaguchi. Sie entdeckten die regulatorischen T-Zellen, die unser Immunsystem im Gleichgewicht halten. “Die Erkenntnisse werden uns helfen, das Immunsystem besser zu kontrollieren und uns zunutze zu machen – zum Beispiel für therapeutische Zwecke”, erklärt Petra Arck vom Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf bei tagesschau24.
„Sicherheitswächter unseres Immunsystems”
Unser Immunsystem schützt den Körper vor Angriffen. Ein wichtiges Werkzeug dabei: die T-Zelle. Sie identifiziert potenzielle Angreifer wie Viren oder Bakterien, aber auch Tumorzellen. Dockt eine T-Zelle beispielsweise an eine Krebszelle an, schlägt sie im Körper Alarm und aktiviert Immunzellen, die die Tumorzellen bekämpfen.
Der Körper bildet jedoch auch T-Zellen, die sich an körpereigene Gewebeteile anheften können. Es besteht also die Gefahr, dass das Immunsystem den eigenen Körper schädigt, wie es bei Autoimmunkrankheiten wie Diabetes vom Typ 1, Rheuma oder Multipler Sklerose der Fall ist.
Damit das möglichst nicht passiert, müssen alle T-Zellen eine Art Qualitätskontrolle in der Thymusdrüse durchlaufen, ein kleines Organ in unserem Brustkorb. Wird erkannt, dass sie gegen den eigenen Körper gerichtet sind, werden sie aussortiert. Doch hier kommt es immer wieder zu Fehlern – und Autoimmunzellen rutschen durch. Hier kommen die regulatorischen T-Zellen ins Spiel. Sie erkennen freischwimmende Autoimmunzellen im Körper und zerstören diese.
Forschung an Mäusen verhalf zum Durchbruch
In der Fachwelt war lange umstritten, ob es diese regulatorischen T-Zellen überhaupt gibt. Shimon Sakaguchi konnte das 1995 als erster beweisen. Er untersuchte dafür Mäuse, denen er die Thymusdrüse entfernte. Bei diesen gelangten diese “körperfeindlichen” Zellen unkontrolliert in den Körper. Die Mäuse entwickelten verschiedene Autoimmunerkrankungen.
Injizierte Sakaguchi ihnen jedoch T-Zellen von gesunden Mäusen, wurde die heftige Immunüberreaktion gehemmt. Die Mäuse blieben gesund. Er zeigte damit, dass es in der Gruppe der T-Zellen bestimmte “Wächterzellen” geben muss, die die “körperfeindlichen” T-Zellen in Schach halten – die regulatorischen T-Zellen. Ein bis dahin unbekannter Mechanismus, der neben der Thymusdrüse das Immunsystem reguliert.
Die beiden Preisträger Mary Brunkow und Fred Ramsdell bauten auf diese Forschung auf. Sie forschten an der seltenen Autoimmunerkrankung IPEX, bei welcher mehrere Organe gleichzeitig vom eigenen Immunsystem angegriffen und zerstört werden. Nach aufwendiger Suche identifizierten die Forschenden den Defekt eines bestimmten Gens – FOXP-3 – als Krankheitsursache. Sakaguchi stellte dann einen Zusammenhang zwischen den beiden Entdeckungen her: Denn das FOXP-3 Gen ist für die Entwicklung der regulatorischen T-Zellen mitverantwortlich.
Neue Behandlungsansätze bei Autoimmunerkrankungen und Krebs
“Wenn man ihre Zahl ein wenig erhöht oder reduziert, dann könnte das zum Schutz vor zahlreichen Krankheiten beitragen”, hoffte Shimon Sakaguchi in einem ARD-Interview im Jahr 2020. Noch gibt es keine Therapie auf Basis regulatorischer T-Zellen. Doch es laufen bereits über 200 klinische Studien.
Dabei gibt es zwei entgegengesetzte Ansätze: Im Kampf gegen Autoimmunkrankheiten wird versucht, die Zahl der regulatorischen T-Zellen zu erhöhen, sodass diese die Immunzellen ausschalten, die den Körper angreifen. Auch nach Organtransplantation wäre das hilfreich. Damit ließen sich gefährliche Abstoßungsreaktionen vermindern.
Genau umgekehrt ist der Ansatz bei Krebs: Hier sollen die regulatorischen T-Zellen runterreguliert werden, um eine stärkere Immunantwort gegen die Tumorzellen zu erleichtern.
Weg zum Nobelpreis
Shimon Sakaguchi wurde 1951 in Japan geboren. Er forscht an der Kyoto University und erhielt für die Entdeckung regulatorischer T-Zellen bereits bedeutende Preise, darunter 2019 den Deutschen Immunologie-Preis, 2020 den Robert-Koch-Preis sowie den Paul-Ehrlich-und-Ludwig-Darmstaedter-Preis.
Die 1961 geborene Forscherin Mary E. Brunkow promovierte an der renommierten Princeton University. Derzeit ist sie als Leitende Programmmanagerin am Institute for Systems Biology (ISB) in Seattle tätig. Das ISB ist eine gemeinnützige Forschungseinrichtung, wurde im Jahr 2000 gegründet und widmet sich der systembiologischen Forschung.
Fred Ramsdell wurde 1960 in den USA geboren und promovierte an der University of California in Los Angeles (UCLA). Heute arbeitet er als wissenschaftlicher Berater bei Sonoma Biotherapeutics in San Francisco. Bereits 2017 wurde Ramsdell gemeinsam mit Shimon Sakaguchi mit dem Crafoord-Preis ausgezeichnet, einer renommierten Ehrung, die von der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften verliehen wird.