Emotionalität hatte Julian Nagelsmann sich gewünscht. Emotionalität bekam der Bundestrainer. Allerdings war der Weg ein ziemlich weiter bis zu jenem doppelten Gefühlsausbruch binnen drei Minuten, als zuerst Nadiem Amiri und dann Florian Wirtz der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen Nordirland eine bleischwere Last von den Schultern schossen.
Aus 1:1 mach 3:1 – das war ein Trend, der den Fußballabend in Köln aus deutscher Sicht noch rettete, atmosphärisch, aber vor allem sportlich. Damit hat Nagelsmanns Team drei Tage nach dem selbstentblößenden 0:2 in der Slowakei seine Pflicht in der WM-Qualifikation erfüllt.
Allerdings war es nach der Führung durch Serge Gnabry in der 7. Minute und dem Ausgleich durch Isaac Price (34.) lange Zeit eine quälende Angelegenheit für die Deutschen, bei der sie gegen den 71. der Weltrangliste zunehmend gegen Tristesse und Trostlosigkeit anspielten, ehe Amiri (69.) und Wirtz (72.) noch trafen.
Glückliches Händchen bei den Wechseln
Was man festhalten durfte: Dass der Bundestrainer diesmal ein glückliches Händchen besaß, jedenfalls mit seinen Handgriffen während der Partie. Wie ein wundersamer Katalysator verstärkten die Einwechslungen von Amiri und Maximilian Beier das zarte Momentum, das die Deutschen sich Mitte der zweiten Halbzeit erarbeitet hatten, ein Eingriff, der den positiven Trend begünstigte, vor allem Amiri betrieb tatkräftig Werbung in eigener Sache. Ob das auch für das große Ganze gilt, muss sich indes erst noch zeigen. Weiter geht es im Oktober gegen Luxemburg und in Belfast gegen Nordirland.

Erst einmal war die Erleichterung groß, nach einer Woche voller Gespräche, von der Nagelsmann vor dem Spiel am RTL-Mikrofon berichtet hatte. Das Ergebnis war eine halbneue Mannschaft, fünf von zehn Feld-Positionen besetzte der Bundestrainer neu. Collins, Tah, Mittelstädt, Stiller und Goretzka mussten ihren Platz räumen, dafür waren Anton, Koch, Raum, Groß und Leweling dabei.
Damit einher ging ein Strukturwandel, von der 4-2-3-1-Formation auf ein 3-4-3. Der damit verbundene Plan war früh erkennbar. Es ging darum, schnell nach vorn und ins Tempo zu kommen, mit Klein-Klein im Mittelfeld (man könnte allerdings auch sagen: Kreativität) hielten sich die Deutschen nicht lange auf. Aus der Dreierkette mit Rüdiger, Anton und Koch, oder auch aus dem Zentrum von Kimmich, wurde der Ball auf die lange Reise Richtung nordirisches Tor geschickt, wo Spieler wie Leweling, Gnabry oder Wirtz mit hoher Drehzahl starteten.

Die frühe Führung entsprang dann auch in gewisser Weise diesem Drang ins Vertikale, allerdings ausgehend von einem Abstoß der Nordiren. Nach der Balleroberung war Woltemade, mit ein bisschen Glück, derjenige, der die Richtung vorgab: steil auf Gnabry, der allein auf Torwart Peacock-Farrell zulief und diesem bei seinem platziert-gefühlvollen Abschluss ins linke Eck keine Chance ließ.
Einfallsarmut bei Mondfinsternis
Im schon recht fernen Fußballjahr 2019, beim bis dato letzten Aufeinandertreffen mit den Nordiren, hatte Gnabry beim 6:1 in Frankfurt drei Treffer beigesteuert. Doch an diesem Spätsommerabend im Jahr 2025, mit dem Naturschauspiel der Mondfinsternis über dem Kölner Stadion, deutete trotz des gelungenen Starts wenig auf weitere Treffer hin.
Ein kurzes Weilchen versuchten die Deutschen glaubwürdig, den Vorsprung auszubauen, Woltemade verpasste nach Vorarbeit von Gnabry den richtigen Moment zum Abschluss. Danach aber herrschte weitgehend Einfallsarmut – und zugleich keinesfalls jene Stabilität, die Nagelsmann so dringend sucht.

Die Berufung von Groß an die Seite Kimmichs im Zentrum, anstelle von Stiller, sollte diesem Ziel dienen. Doch dann waren es nach einer guten halben Stunde gleich zwei vermeintliche Stabilisatoren, die das Ziel unterminierten, der zuletzt ohnehin bedenklich schwankungsanfällige Rüdiger (der gegen Luxemburg Gelb-gesperrt fehlen wird) und eben Groß. Die Folge war ein Eckball für Nordirland, bei dem dann Gnabry in unerklärlicher Weise die Deckungsarbeit einstellte, als Price sich davonstahl und sehenswert per Direktabnahme traf.
Tausende Pfiffe zur Pause
Dass dieses Tor dem deutschen Spiel nicht gut tat, war kein Wunder. Die Fehlerquote stieg mit der Verunsicherung noch einmal und bei manchem Pass, der zum Missverständnis geriet, dräute weiteres Unheil. Ein Volltreffer von Raum kurz vor der Pause taugte wegen Abseits nicht zum Stimmungsmacher, und spätestens als Schiedsrichter Eskas zur Pause pfiff, taten das Tausende auf den Tribünen auch.
Es war ein atmosphärisches Alarmsignal, nachdem das Publikum das Team zuvor noch wohlwollend empfangen und lange geduldig begleitet hatte.
Auf eine personelle Reaktion verzichtete Nagelsmann. Das Publikum gab den Deutschen noch einmal Kredit, doch spielerisch wendete sich noch nichts zum Besseren. Leweling sorgte mit einem beherzten Versuch für einen kleinen Lichtblick, aber alles in allem hing die große Frage über dem Stadion, von wo nur hier der dringend nötige Impuls kommen sollte.
Nach einer Stunde brachte der Bundestrainer Beier und Amiri für Woltemade und Gnabry. Amiri führte sich gleich mit einer Schusschance ein, und irgendwie schienen die Deutschen die Gunst des Augenblicks zu erfassen. Ein bisschen Glück war bei der Führung im Spiel, als Torwart Peacock-Farrell sich verschätzte, so dass Amiri plötzlich unverhofft freie Bahn zum leeren Tor hatte.
Aber dennoch wirkte der Treffer in diesem Moment auch wie der verdiente Lohn für eine zwar nicht inspirierte, aber beharrliche Leistung. Dass diese sogar noch veredelt wurde, hatte abermals mit Amiri zu tun, der einen Freistoß herausholte. Dann war es das Feingefühl von Wirtz, das den Ball auf eine unwiderstehliche Flugkurve schickte.