Urteil nach Amokfahrt von Mannheim Lebenslange Haft – verminderte Schuldfähigkeit
Stand: 18.12.2025 19:58 Uhr
Neun Monate nach der Amokfahrt in Mannheim ist der Täter zu lebenslanger Haft verurteilt worden – auch wenn das Gericht eine verminderte Schuldfähigkeit feststellte. Er wird nun in einer psychiatrischen Klinik untergebracht.
Christine Miah spürt die Folgen der Tat noch heute am eigenen Leib. Ein Rollstuhl steht in ihrem Wohnzimmer, immer wieder muss sie sich dort hereinfallen lassen. Das Laufen gehe inzwischen wieder einigermaßen, „aber es wird nie mehr so gut wie früher“, sagt die 73 Jahre alte Mannheimerin.
Am Rosenmontag dieses Jahres gehörte sie zu den Personen, die Alexander S., auf seiner Amokfahrt überfahren wollte. „Ich hörte einen lauten Knall und dachte zuerst, die Straßenbahn hätte einen Unfall“, sagt Miah. „Dann sah ich den Wagen auf mich zukommen, mit erleuchteten Scheinwerfern – ich konnte nicht mehr ausweichen.“
Im Prozess vor dem Mannheimer Landgericht hat sie als Zeugin ausgesagt. Heute hat das Gericht den Angeklagten Alexander S. verurteilt, unter anderem wegen zweifachen Mordes und sechsfachen versuchten Mordes.
Täterschaft eindeutig – psychischer Zustand als Knackpunkt
Der Angeklagte aus der Nachbarstadt Ludwigshafen war auch der Täter. Daran gab es während des Strafverfahrens keine Zweifel, er hatte die Tat selbst eingeräumt. Im Mittelpunkt stand die juristische Bewertung der psychischen Verfassung des Täters. Und tatsächlich kam das Gericht am Ende zu dem Ergebnis: Alexander S. war nur vermindert schuldfähig, als er kurz nach 12 Uhr am Rosenmontag seinen Ford Fiesta in die sogenannten „Planken“ steuerte – die zentrale Einkaufsstraße in der Mannheimer Fußgängerzone.
Sein Ziel: eine unbestimmte Anzahl von Menschen zu töten. S. hat eine lange psychische Krankengeschichte, war schon früher in Behandlung gewesen. Sein Verhalten sei schon seit seiner Jugend „durch psychische Auffälligkeiten geprägt gewesen“, so das Gericht in der mündlichen Urteilsbegründung. Die Mannheimer Richter stützten sich auf ein psychiatrisches Gutachten, das sie im Verfahren in Auftrag gegeben hatten, um den Angeklagten einschätzen zu können. Ständigen Selbsthass habe Alexander S. empfunden, den er auf andere projiziert habe. Medikamente, die ihm halfen, sein Verhalten zu steuern und Wutausbrüche im Zaum zu halten, nahm er nicht mehr regelmäßig.
Schon länger Tötungsfantasien
Den Gedanken, bei einer Amokfahrt Menschen zu töten, habe er schon früher gehabt. In die Tat umgesetzt hat Alexander S. ihn dann am 3. März dieses Jahres. Ausgelöst auch durch die Zurückweisung einer jungen Frau, bei der er sich Hoffnungen auf eine Liebesbeziehung gemacht hatte.
Minutiös schilderte der Vorsitzende Richter Gerd Rackwitz in der einstündigen Urteilsverkündung die genauen Abläufe der Amokfahrt, bei der zwei Menschen ums Leben kamen und viele weitere verletzt wurden. Ein Ende fand die Amokfahrt, als ein Taxifahrer Alexander S. mit seinem Auto den Weg versperrte. Alexander S. flüchtete dann ins Mannheimer Hafenviertel, mit einer Schreckschusspistole schoss er sich dort in den Mund. Doch der Suizidversuch misslang. Zwei Polizisten nahmen ihn schließlich fest.
Lebenslang trotz verminderter Schuldfähigkeit
S. habe die Arg- und Wehrlosigkeit der Passanten ausgenutzt. Er habe zwei Morde und sechs Mordversuche begangen. Das Mordmerkmal laute „Heimtücke“. Trotz der verminderten Schuldfähigkeit entschied das Mannheimer Landgericht auf eine lebenslange Freiheitsstrafe. Von der gesetzlichen Möglichkeit, bei verminderter Schuldfähigkeit des Täters die Strafe zu mildern, machte es keinen Gebrauch.
Es gebe „eine Reihe strafschärfender Gründe“, die dazu geführt hätten, dass man bei der eigentlich vorgesehenen Strafandrohung „lebenslang“ bleibe. Etwa, dass der Täter „seine Wut und seinen Selbsthass an komplett Unbeteiligten ausgelassen“ habe, sagte der vorsitzende Richter. Das seien in mehreren Fällen „besonders vulnerable Personen gewesen: zwei ältere Frauen mit Rollator und eine Mutter mit einem Kinderwagen, in dem ihr kleiner Sohn lag, waren unter denen, die er mit seinem Wagen ansteuerte. Personen also, die sich nicht schnell in Sicherheit bringen konnten“.
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
Das Gericht ordnete an, dass der verurteilte Alexander S. in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht wird. Das ist zwingend vorgeschrieben, wenn ein Täter bei Begehung der Tat vermindert schuldfähig war und zudem zu erwarten ist, dass er wegen seines Zustandes weiter für die Allgemeinheit gefährlich ist. Genau das sah das Gericht hier als gegeben an. In diesem sogenannten Maßregelvollzug geht es also verstärkt um eine Therapie des Täters.
Die Dauer der Unterbringung wird auf die Dauer der verhängten Freiheitsstrafe angerechnet. Sollte eine Therapie erfolgreich sein, Alexander S. also irgendwann nicht mehr gefährlich für die Allgemeinheit sein, muss er dann den verbleibenden Rest der Strafe im normalen Strafvollzug absitzen. Bei zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten kann die Reststrafe frühestens nach 15 Jahren zur Bewährung ausgesetzt werden. Einen Automatismus gibt es aber nicht, viele Verurteilte sitzen deutlich länger ein.
„Nichts ist abgeschlossen“
Nach der Urteilsverkündung meldete sich der Mannheimer Oberbürgermeister Christian Specht zu Wort. „Mit dem Urteil ist für die Betroffenen, für die Hinterbliebenen und für alle, die diese Tat unmittelbar oder mittelbar erlebt haben, nichts abgeschlossen“, schrieb der CDU-Politiker. „Der Schmerz, die Trauer und die Verarbeitung des schrecklichen Geschehens werden Zeit brauchen – und sie werden viele Menschen noch lange begleiten.“ Christine Miah nahm das Urteil mit Genugtuung auf. Als sie von der lebenslangen Freiheitsstrafe erfuhr, sagte sie: „Das ist gut so!“








