In St. George sitzt der Schock tief. Die 95.000-Einwohner-Stadt, Sitz der Kreisverwaltung von Washington County, liegt im Südwesten des Bundesstaates Utah, an der Grenze zu Arizona. Die Gegend ist Teil der nordöstlichen Ausläufer der Mojave-Wüste. Die eindrucksvollen Nationalparks Zion und Bryce Canyon sind nicht weit entfernt. In einem Vorort der Kreisstadt wuchs Tyler Robinson auf, der junge Mann, dem vorgeworfen wird, am Mittwoch den ultrarechten Aktivisten Charlie Kirk auf einem Uni-Campus in Utah erschossen zu haben. Nachbarn und Klassenkameraden versuchen zu verstehen, wie aus dem eher stillen, unauffälligen Mann der mutmaßliche Attentäter werden konnte.
Der 22 Jahre alte Robinson ist seit Donnerstagabend in Haft. Sein Vater hatte ihn auf den Fotos erkannt, welche die Sicherheitsbehörden zuvor veröffentlicht hatten. Amerikanische Medien berichten unter Berufung auf Sicherheitskreise, der Vater habe seinen Sohn gefragt: „Tyler, bist du das?“ Die Person auf den Fotos sehe aus wie er. Als der Sohn das bejahte, versuchte der Vater ihn zu überzeugen, sich den Behörden zu stellen. Er würde sich eher umbringen als das zu tun, soll der Sohn zunächst erwidert haben. Der Vater überzeugte ihn dann, mit einem Jugendpastor zu sprechen, der mit dem örtlichen Sheriffsbüro und den „US Marshalls“, der Bundesgerichtspolizei, zusammenarbeitet. In dem Gespräch mit dem Geistlichen soll er die Tat gestanden haben.
Angeblich schweigt Tyler Robinson seither. Mutmaßlich am Dienstag soll Anklage gegen ihn erhoben werden. Wird er schuldig gesprochen, droht ihm die Todesstrafe, ganz gleich, ob die Behörden in Utah das Verfahren leiten oder der Bund. Im Internet verbreiten sich derweil Falschinformationen. Wahlweise wird Robinson durch manipulierte Bilder zum Trump-Anhänger oder zum Sozialisten gemacht.
Robinson wuchs mit der Jagd auf
Die bisher bekannten Puzzleteile zu dem Hintergrund des Tatverdächtigen ergeben ein anderes schemenhaftes Bild: Robinson, der zwei Brüder hat, kommt aus einer Mormonenfamilie. Seine Eltern sind registrierte Republikaner. Er selbst hat sich aber bei der Wählerregistrierung weder als Republikaner noch als Demokrat gemeldet. Auch soll er an der vergangenen Präsidentenwahl nicht teilgenommen haben. Spencer Cox, der Gouverneur von Utah, sagte, die Radikalisierung Robinsons habe in kurzer Zeit stattgefunden. Ein Familienmitglied teilte den Behörden mit, Tyler sei in den vergangenen Jahren immer politischer geworden.
Robinsons Eltern besitzen einen Betrieb, in dem Arbeitsplatten hergestellt werden. Die Mutter ist Sozialarbeiterin. Tyler war ein ausgezeichneter Schüler. Auf seiner Highschool, auf der er 2021 seinen Abschluss machte, belegte er vier Leistungskurse. Mitschüler beschreiben ihn als fleißig, klug und respektvoll. Eine Schulkameradin sagte der „New York Times“, er sei der Typ gewesen, den man gern in seiner Arbeitsgruppe gehabt habe, selbst wenn man nicht mit ihm befreundet gewesen sei. Wie viele Jungs auf dem amerikanischen Land wuchs er mit der Jagd auf, interessierte sich für Waffen und war ein versierter Schütze. Vor allem aber begeisterte er sich für Videospiele, darunter das Ego-Shooter-Spiel „Call of Duty“.
Seine Mutter teilte 2021 in den sozialen Medien ein Video ihres Sohnes, auf dem er den Brief vorliest, in dem ihm mitgeteilt wurde, dass er ein Stipendium für die Utah State University erhalten habe. Das College im Norden des Bundesstaates besuchte er aber nur für ein Semester. Danach wechselte er auf das „Dixie Technical College“, eine Art Berufsschule in St. George, wo er zum Elektriker ausgebildet wurde. Er wohnte mit einem Mitbewohner zehn Minuten von seinem Elternhaus entfernt.
Bei einem Abendessen habe er kürzlich mit einem Familienmitglied über den geplanten Auftritt Charlie Kirks an der Utah Valley University in Orem geredet. Dabei hätten sie sich laut Ermittlern darüber unterhalten, warum sie Kirk nicht mochten. Nach dem Attentat habe er seinem Mitbewohner SMS-Nachrichten darüber geschickt, dass er ein Gewehr zurückgelassen und seine Kleidung gewechselt habe.
Neben der Tatwaffe, die sich im Unterholz unweit des Universitätsgebäudes befand, von dessen Dach aus der Täter den gezielten Schuss abgab, der Kirk tötete, fanden Ermittler auch Munition. In diese waren verschiedene Botschaften eingraviert. Die Sprüche stammen teilweise aus der Internet- und Gaming-Kultur. Einer lautete: „Hey Fascist! Catch“. Ein anderer: „Bella ciao“ – das italienische Partisanen im Zweiten Weltkrieg sangen, später zu einer antifaschistischen Hymne wurde und in jüngster Zeit auf TikTok eine Renaissance erlebte.