Stand: 21.12.2025 15:17 Uhr
Vergangene Woche wurde in Chile ein Präsident gewählt, der keinen Hehl aus seiner Bewunderung für Ex-Diktator Pinochet macht. Opferverbände sind verunsichert. Wie wird sich das Gedenken an die Verbrechen verändern?
Von Daniel Stender, ARD Rio de Janeiro.
Alejandra López war vier Jahre alt, als ihr Vater verschwand. Sie erinnert sich noch gut an ihn. „Meine Mutter hat sich immer darüber gewundert, dass ich noch so viele Erinnerungen an ihn habe“, sagt sie.
1976 war das, heute lehrt López an der Universidad de Chile. Den Fall ihres Vaters hat sie zu ihrem Leben gemacht. Beim Interview steckt sie sich ein in Plastik eingeschweißtes Bild ihres Vaters an den Blazer: „Ich bin die Tochter von Nicolás López. Er wurde verhaftet. Und er ‚verschwand‘ am 30. Juli 1976. Er war Mitglied der Kommunistischen Partei. Und er war in der Gewerkschaft aktiv.“
Tausende Ermordete
Mehr als 1.100 Menschen „verschwanden“ während der Militärdiktatur in Chile – ein Euphemismus. Sie wurden erst entführt, oft gefoltert und dann getötet. Danach wurden die Leichen zum Beispiel im Meer versenkt. Tausende weitere wurden ermordet, Zehntausende gefoltert.
Für die Angehörigen der „Verschwundenen“ bedeutete es jahrzehntelange Ungewissheit, nicht zu wissen, was aus ihren Vätern, Schwestern, Ehepartnern oder Kindern geworden ist. Und es bedeutete, selbst ins Visier der Behörden zu geraten – wie Alejandra López.
Nach dem Verschwinden ihres Vaters habe ihre Mutter mit der Suche begonnen. „Während dieser Suche wurden wir auch festgenommen. Ich war fünf Jahre alt, mein Bruder war drei. Zwei Tage lang in einer Polizeistation. Diese Suche hat dazu geführt, dass wir kein normales Leben hatten. Von Anfang an hatte uns unsere Mutter strengstens verboten, zu sagen, dass unser Vater verschwunden war. Das heißt, wir mussten mit dieser ganzen Last zur Schule gehen.“
Langer Kampf um Aufmerksamkeit
1990 kehrte Chile zurück zur Demokratie. Dass sich Angehörige wie López nun offen äußern, ist das Ergebnis eines langen Kampfes um Aufmerksamkeit – und um staatliche Förderung. Heute gibt es viele Gedenkstätten in Chile. Als vor zwei Jahren der 50. Jahrestag des Putsches begangen wurde, gab die linke Regierung unter Gabriel Boric bekannt, dass die Aufarbeitung weitergehe.
So wurde das Gelände der ehemaligen Colonia Dignidad enteignet, um es in eine Gedenkstätte umzuwandeln. Auf dem Gelände der Sekte waren unter der Führung des deutschstämmigen Paul Schäfer Gräueltaten unter anderem für das Regime begangen worden. Zudem hat die Regierung Boric ein Projekt ins Leben gerufen, mit dem das Schicksal verschwundener Regimegegner recherchiert wird.
Diktatur-Bewunderung wird „salonfähig“
Doch nun könnte die Wahl des ultrarechten Politikers José-Antonio Kast die Erinnerungsarbeit zurückwerfen, befürchtet Osvaldo Torres, der für das chilenische Institut für Menschenrechte arbeitet.
Auch unter Boric war die Aufarbeitung nicht einfach, weil starke rechte Parteien die staatliche Finanzierung immer wieder infrage stellten. „Jahr für Jahr gab es in der Haushaltsdebatte Druck von der Rechten und der extremen Rechten, diesen Haushalt noch weiter zu kürzen“, so Torres. Nun befüchte er, dass die „Orte der Erinnerung, die den Pinochetismus stören“, in Gefahr sind. Ähnliches gelte für die Colonia Dignidad.
Gitte Cullmann von der Heinrich-Böll-Stiftung in Santiago beschreibt den künftigen Präsidenten als Bewunderer der Diktatur. Die Wahl von Kast sei ein Bruch, durch den es erstmals salonfähig werde, ganz offiziell Anhänger Pinochets zu sein. „Das hat gezeigt, dass es viele Befürworter dieser Art und Weise des Umgangs mit der Vergangenheit gibt.“
Warnung vor Kast
Kaum jemand geht davon aus, dass die künftige Regierung die Erinnerungsstätten abschaffen wird. Aber viele rechnen damit, dass die staatliche Finanzierung, die nie üppig war, weiter eingeschränkt wird. Und dass sich der Diskurs über die Vergangenheit verändert.
Vor der Wahl hatten die Erinnerungsstätten in einem offenen Brief vor der Umdeutung und Leugnung der Vergangenheit gewarnt. Kast wurde darin ausdrücklich erwähnt – auch weil er Verbrecher der Militärdiktatur wie Miguel Krassnoff im Gefängnis besucht hatte.
„Krassnoff ist der schlimmste Menschenrechtsverbrecher der Diktatur, der derzeit hier in Chile in Haft sitzt“, sagt Cullmann. Dessen Besuch zeige Kasts Verhältnis zur chilenischen Vergangenheit. Das Thema Menschenrechte oder das Gedenken an Gräueltaten wie Folter und von Mord seien für ihn keine Priorität.
Osvaldo Torres sieht auch die internationale Gemeinschaft in der Verantwortung: „Die internationale extreme Rechte hat eigene Thinktanks und ist sehr aktiv. Daher ist die Unterstützung durch Menschenrechtsorganisationen und durch demokratische Regierungen entscheidend. Genauso wie Projekte, die die Menschenrechte und das Völkerrecht stabilisieren.“ Damit die demokratischen Institutionen bewahrt blieben, warnt Torres.








