
Debatte über Wehrdienst Im Bundestag blitzt Kompromissbereitschaft durch
Stand: 16.10.2025 18:28 Uhr
Nach dem hitzigen Streit der vergangenen Tage über den Gesetzentwurf zum neuen Wehrdienst klingen im Bundestag plötzlich versöhnliche Töne an. Verteidigungsminister Pistorius präsentiert sich kompromissbereit – ebenso Unionspolitiker.
Die Pläne für einen neuen Wehrdienst haben in den vergangenen Tagen und Wochen für viel Zündstoff gesorgt. Nun war der Gesetzentwurf erstmals Thema im Bundestag. Verteidigungsminister Boris Pistorius verteidigte dabei das Vorhaben, zeigte sich gleichzeitig aber auch offen für Änderungsvorschläge.
Der SPD-Politiker sprach sich in der ersten Beratung im Parlament erneut dafür aus, ganze Jahrgänge zu mustern: „Wir müssen wissen, wer unser Land im Spannungs- und Verteidigungsfall mit welchen Qualifikationen verteidigen kann“, betonte er. Zu anderen Vorschlägen sagte er aber auch: „Ich finde das okay, ich bin offen dafür, das parlamentarische Verfahren ist genau dafür da, das zu diskutieren.“
Zugleich stellte der Verteidigungsminister klar: „Reicht Freiwilligkeit nicht, wird es keinen Weg vorbei geben an einer verpflichtenden Heranziehung“, allerdings nur „unter der Maßgabe eines Bundestagsbeschlusses“.
SPD unzufrieden mit Vorschlag zum Losverfahren
Der Gesetzentwurf sieht vor, über einen verbindlichen Fragebogen und die Wiedereinführung der Musterung für junge Männer auf freiwilliger Basis mehr Personal für die Bundeswehr zu gewinnen. Uneinig sind die Koalitionspartner Union und SPD aber darüber, wie weit Freiwilligkeit gehen soll.
In den vergangenen Tagen hatten sie über Änderungen an dem Entwurf verhandelt, weil die Union Vorkehrungen für eine Verpflichtung fordert, sollten sich nicht genügend Freiwillige finden. Ein Vorschlag der Unionsfraktion war, junge Männer per Losverfahren zur Musterung einzuladen und gegebenenfalls zum Dienst zu verpflichten, wenn sich nicht genügend Freiwillige finden.
Die SPD-Fraktion insgesamt stellte sich aber in einer hitzigen Sitzung nicht hinter das Konzept, besonders Pistorius selbst wandte sich dagegen. Eine gemeinsame Pressekonferenz der Fraktionen wurde am Dienstagabend in letzter Minute abgesagt.
Pistorius und Spahn loben „leidenschaftliche“ und „harte“ Debatte
Vor dem Bundestag ging der Verteidigungsminister nun noch einmal auf den Streit ein. Alles weniger als eine „leidenschaftliche, offene, auch hitzige Debatte“, wäre für ihn eine Enttäuschung gewesen, erklärte er. „Dieses Thema verdient eine ehrliche und offene Debatte, weil es das Leben vieler, vieler Menschen betrifft.“
Ähnlich äußerte sich auch Unions-Fraktionschef Jens Spahn: „Dass wir gelegentlich diskutieren, dass wir debattieren, dass wir – ja auch hart – verhandeln: Das gehört dazu.“ Gleichzeitig betonte, dass es im weiteren Verfahren einen Kompromiss geben werde. „Entscheidend ist, dass wir am Ende zu Entscheidungen kommen. Und das wird diese Koalition, wie in den letzten Monaten auch, ohne Zweifel.“
Auch Röttgen kompromissbereit
Unionsfraktionsvize Norbert Röttgen, der an der Erarbeitung des Los-Vorschlags beteiligt war, verteidigte diesen. Wenn es die militärische Aufgabe sei, aus einem Jahrgang mit mehreren 100.000 Männern für den militärisch notwendigen Bedarf einige 10.000 zu ermitteln, stelle sich die Frage der Wehrgerechtigkeit, die der Bundestag beantworten müsse. Diese Frage sei im Gesetzentwurf bisher nicht beantwortet.
„Nach dem Zufallsverfahren trifft jeden Mann die gleiche Chance, das gleiche Risiko“, sagte er. In dieser Gleichheit liege die Fairness. Man sei aber offen für andere Vorschläge, betonte auch Röttgen. Die SPD-Verteidigungspolitikerin Siemtje Möller, die ebenfalls an den Alternativvorschlägen zu Pistorius‘ Gesetzentwurf beteiligt war, sagte, man werde eine für alle Seiten tragfähige Lösung finden.
Kritik aus der Opposition
Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge sprach von einem Schlamassel. „Keiner weiß, wie es jetzt weitergeht“, sagte sie. Die Linken-Abgeordnete Desiree Becker kritisierte die Bundesregierung: „Sie schüren Angst und Unsicherheit bei den jungen Menschen.“ Die AfD kritisierte die Pläne ebenfalls. Der Abgeordnete Rüdiger Lucassen nannte ein Losverfahren den „Gipfel der Ungerechtigkeit“.
Einig ist sich die schwarz-rote Koalition darin, dass die Bundeswehr deutlich größer werden soll. Heute sind es etwa 183.000 aktive Soldatinnen und Soldaten, 260.000 sollen es in den nächsten Jahren werden. Auch die Reserve soll wachsen. Begründet wird dies mit einer veränderten Bedrohungslage in Europa angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine.
Bundeskanzler Friedrich Merz wiederholte am Morgen in einer Regierungserklärung im Bundestag, man wolle die Bundeswehr zur „stärksten konventionellen Armee in der Europäischen Union machen“ und fügte hinzu: „Uns leitet dabei ein klarer Grundsatz: Wir wollen uns verteidigen können, damit wir uns nicht verteidigen müssen.“ Auf den Streit über den Wehrdienst-Gesetzentwurf ging Merz dabei nicht explizit ein.