Der außenpolitische Berater von Bundeskanzler Friedrich Merz, Günter Sautter, hat vorsichtig positiv auf den Vorschlag von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen reagiert, das in Europa eingefrorene Milliardenvermögen Russlands der Ukraine zu geben. „Die Diskussion in der EU war bisher zu langsam, aber jetzt kommt sie in Bewegung“, sagte er am Wochenende während der Konferenz „Yalta European Strategy“ in Kiew. „Und sie bewegt sich in die richtige Richtung“, fuhr er fort.
Von der Leyen hatte in ihrer jüngsten Rede zur Lage der Europäischen Union beschrieben, wie das seit Anfang des Großangriffs auf die Ukraine eingefrorene russische Staatsvermögen der Ukraine zugänglich gemacht werden könnte. Die Gesamtsumme ist nicht ganz klar, aber sie könnte weltweit bei 260 Milliarden Euro liegen. Drei Viertel davon liegen in Europa, aber gegenwärtig wird das Geld nicht angetastet. Nur die Erträge aus seiner Bewirtschaftung gehen an die Ukraine. Also viel geringere Summen.
Kiew soll „Reparationsdarlehen“ bekommen
Sautters Stellungnahme signalisiert eine mögliche Kurskorrektur. Aus Brüssel war bis vor kurzem zu hören, dass jeder Versuch, die eingefrorenen russischen Milliarden der Ukraine zu geben, vor allem an Deutschland und Frankreich scheitere. Auch Belgien, wo etwa zwei Drittel des Geldes liegen, habe Sorgen.
Die Zurückhaltung in Belgien, Deutschland, und Frankreich beruhte einerseits auf der Sorge, dass staatliche Anleger Europa meiden könnten, wenn Russland seine Einlagen weggenommen würden. Außerdem wäre zumindest nach Auskunft der Regierung von Kanzler Olaf Scholz so eine Konfiskation völkerrechtswidrig, weil das Prinzip der Staatenimmunität die Einziehung fremden Staatsvermögens angeblich in jedem Fall verbietet. Allerdings sind viele Fachleute auch anderer Meinung.
Von der Leyens Vorschlag dürfte auch deshalb in Berlin auf Interesse stoßen, weil er dieser Sorge Rechnung trägt. Nach ihrem Plan soll das russische Geld nämlich nicht formell konfisziert werden. Es soll als „Reparationsdarlehen“ an die Ukraine gehen. Wenn Russland dann eines Tages verpflichtet werde, Kriegsentschädigungen zu zahlen, soll die Summe verrechnet werden. Russland müsste der Ukraine dann entsprechend weniger bezahlen. Nach von der Leyens Darstellung bedeutet dieses Vorgehen, dass Russlands Aktiva im Prinzip „nicht angetastet“ werden. „Die Ukraine wird das Geld zurückgeben, sobald Russland Reparationen bezahlt“.
Kramp-Karrenbauers ähnlicher Vorschlag
Es gibt Grund zur Annahme, dass die Bundesregierung sich solchen Überlegungen immer weiter öffnet. Man sieht in Berlin, dass es Sinn haben könnte, diesen Hebel zu nutzen, wenn es juristisch und politisch machbar erscheint.
Das Konzept von der Leyens ähnelt einem Vorschlag, den die frühere CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer zusammen mit dem Journalisten Hugo Dixon und dem Juristen Lee Buchheit im Mai in der Zeitschrift „Internationale Politik“ vorgestellt hat. Schon dort taucht der Begriff des „Reparationsdarlehens“ auf. Dort heißt es, Die EU und andere Partner „würden der Ukraine bis zu 300 Milliarden Dollar leihen. Im Gegenzug würde Kiew „seinen Anspruch gegen Russland auf Kriegsreparationen als Sicherheit verpfänden.“
Dieser Mechanismus sei rechtlich unbedenklich, weil er auf dem Grundsatz aufbaue, „dass ein Land Wiedergutmachung für Schäden leisten muss, die es durch illegale Handlungen verursacht hat.“ Es wird darauf verweisen, dass die Generalversammlung der Vereinten Nationen sich längst für die Einrichtung eines Entschädigungsmechanismus ausgesprochen hat. In Den Haag werde jetzt schon ein Schadensregister eingerichtet.
Putin würde für Waffenstillstand belohnt
Auch die Sondersituation Belgiens kommt sowohl bei von der Leyen als auch bei Kramp-Karrenbauer zur Sprache. Von der Leyen sagte in ihrer Rede ohne das Land direkt zu nennen, die Risiken dieses Verfahren sollten „gemeinsam getragen“ werden. Kramp-Karrenbauer und ihre Ko-Autoren sind hier konkreter. Sie schreiben, notfalls könne die EU „Belgien eine Entschädigung zur Deckung etwaiger Restrisiken gewähren“.
In der Bundesregierung werden schon Modelle der Verwirklichung analysiert. Dazu gehört der Gedanke, dass das Geld nicht auf einmal an die Ukraine gehen sollte, sondern in aufeinander folgenden Tranchen von jeweils ein paar Dutzend Milliarden Euro. Auch das ist im Papier von Kramp-Karrenbauer und ihren Mitautoren vorweggenommen. Dort ist von halbjährlichen Tranchen von je 50 Milliarden Dollar die Rede.
Zur Begründung heißt es, so könne man für Russland einen Anreiz zum Frieden schaffen. Die Auszahlung der Gelder solle nämlich pausieren, sobald Präsident Wladimir Putin einem Waffenstillstand zustimme, und sofort wieder aufgenommen werden, wenn er ihn breche. Auf diese Weise sehe Putin, dass seine Weigerung, die Waffen ruhen zu lassen, unweigerlich dazu führe, dass „mehr von seinem Vermögen an seinen Feind fließt.“