
Stand: 21.10.2025 07:21 Uhr
Forschung aus den USA zeigt: Wenn Frühgeborene regelmäßig die Stimme ihrer Mutter hören, regt das die Entwicklung des Sprachzentrums im Gehirn an. Auch Musiktherapie kann das Gehirn fördern und Stress abbauen.
Etwa jedes zehnte neugeborene Kind weltweit ist eine Frühgeburt. Es kommt vor der 37. Schwangerschaftswoche zur Welt. Auch wenn sich die Überlebenschancen dank moderner Medizin immer weiter verbessern, zeigen viele dieser Kinder später eine verzögerte Entwicklung – auch im Hinblick auf ihre Sprachfähigkeiten.
Ein Forschungsteam der kalifornischen Stanford-Universität konnte jetzt in einer Studie nachweisen: Wenn Frühgeborene regelmäßig die Stimme ihrer Mutter hören, fördert das die Entwicklung des Sprachzentrums im Gehirn.
Stimme der Mutter nachts vorgespielt
Schon früh in der Schwangerschaft nehmen Embryos die Stimme ihrer Mutter als Schallwellen wahr. Ab der 26. Schwangerschaftswoche ist ihr Gehör so weit ausgeprägt, dass sie auch die Stimmen anderer Bezugspersonen wahrnehmen.
Kommt ein Kind zu früh auf die Welt, hört es diese vertrauten Geräusche weniger häufig als Kinder, die weiter im Mutterleib bleiben. Auch wenn Eltern auf Frühgeborenenstationen Zeit mit ihren Kindern verbringen, bekommen Frühchen die Stimme ihrer Mutter und anderer Bezugspersonen im Schnitt weniger häufig zu hören als Kinder, die erst später auf die Welt kommen.
Um zu untersuchen, welchen Effekt die Stimme der Mutter auf die Gehirnentwicklung hat, teilten die Forschenden 46 Frühgeborene in zwei Gruppen ein. Die Frühchen in der einen Gruppe bekamen nachts regelmäßig eine Aufnahme zu hören, in der ihre Mutter einen Auszug aus dem Kinderbuch Paddington Bär vorliest. So hörten sie ihre Stimme auch abseits der regulären Besuchszeiten. Die andere Gruppe bekam keine Aufnahmen vorgespielt.
Sprachzentrum besser entwickelt
Auf Hirnscans, die im Rahmen einer Routineuntersuchung entstanden, schaute sich das Forschungsteam schließlich an, wie sich das Gehirn der Frühchen in beiden Gruppen entwickelt hatte. Besonders interessierte die Forschenden dabei ein Bereich in der linken Gehirnhälfte, der mit der Verarbeitung von Sprache zusammenhängt.
Die Kinderärztin Melissa Scala, die an der Studie beteiligt war, fasst das Ergebnis zusammen: „Das Faszinierende war, dass bei den Babys, die die Stimme ihrer Mutter zusätzlich gehört hatten, die Sprachzentren im Gehirn besser entwickelt waren.“ Wenn Frühchen regelmäßig die Stimme ihrer Mutter hören, könnte das demnach ihre Sprachfähigkeiten fördern.
Auch Musiktherapie fördert die Gehirnentwicklung
Nicht nur die Stimme der Mutter kann die Gehirnentwicklung von Frühgeborenen fördern, sondern auch Musiktherapie. Das zeigen Forschungsergebnisse des Universitätsklinikums Essen.
Demnach verbessert Musiktherapie den Aufbau der sogenannten weißen Substanz im Gehirn der Frühchen. So werden die Bereiche im Gehirn bezeichnet, die hauptsächlich aus Nervenfasern bestehen. Ist mehr weiße Substanz vorhanden, sind die Gehirnzellen besser miteinander verknüpft und können Informationen besser austauschen. Zudem hat Musik einen positiven Effekt auf das Wohlbefinden der Frühchen, da sie Stressindikatoren wie die Herz- und Atemfrequenz senkt.
Nicht nur Kinder profitieren
Auch für Eltern ist eine Frühgeburt mit Stress verbunden. Die Kinderärztin Melissa Scala, die an der neuen Studie aus den USA beteiligt war, geht davon aus, dass auch die Eltern davon profitieren, wenn den Frühchen Aufnahmen der Mutterstimme vorgespielt werden. Das gebe ihnen das Gefühl, auch außerhalb der Besuchszeiten für ihre Kinder da sein zu können.
Auch die Musiktherapeutin Susann Kobus, die die Musiktherapie an der Uniklinik Essen aufgebaut hat, hält die Wirkung auf das Stresslevel der Eltern für einen wichtigen Nebeneffekt: „Wir haben herausgefunden, dass die Mütter durch Zuwendung wie Musiktherapie weniger stressbelastet sind.“ Zudem zeigen die Erfahrungen aus Essen, dass Musiktherapie auch die Bindung zwischen Mutter und Kind stärken kann.
Das gemeinsame Musizieren mit Therapeutinnen und Therapeuten könne Eltern zudem dazu animieren, auch von sich aus zu singen oder mit ihren Frühchen zu sprechen. So können sie auch unabhängig von der Therapie ihrem Kind ein Gefühl von Geborgenheit geben. „Jedes Wort, alles, was man seinem Kind erzählt, bringt schon Sicherheit“, erklärt Kobus.
Angebot in Deutschland noch ausbaufähig
Laut Susann Kobus gibt es bereits mehrere Frühgeborenenstationen in Deutschland, die eine Musiktherapie anbieten. Die Studie aus den USA zeigt für die Musiktherapeutin jedoch, dass dieses Angebot noch weiter ausgebaut werden sollte. Eine Kombination aus Musiktherapie und der Stimme der Mutter könnte demnach besonders wirksam sein, schätzt die Expertin.
Es müsse aber nicht unbedingt die Stimme der Mutter sein. Diese habe zwar einen besonders starken Effekt, „weil einfach die Mutterstimme die Stimme ist, die das Kind als erstes gehört und wahrgenommen hat“. Aber auch Vater, Geschwister und andere wichtige Bezugspersonen können ihren Teil zur Entwicklung der Frühchen beitragen.