Stand: 15.09.2025 12:29 Uhr
Wirtschaftsministerin Reiche setzt in der Energiewende auf mehr Gaskraftwerke und lässt prüfen, ob ein längerer Umstieg Kosten dämpfen würde. Forschende warnen: Das könnte teuer werden.
500 Milliarden Euro Sondervermögen für Verteidigung und Infrastruktur sind eine Menge Geld, aber sie reichen nicht, um das Stromnetz für die Energiewende fit zu machen. 651 Milliarden Euro sind dafür insgesamt nötig, haben die Universität Mannheim und das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung in einer Studie errechnet. Dazu kommen die Kosten für den Bau von mehr Windturbinen, Photovoltaikanlagen und Co. für die CO2-freie Stromerzeugung.
Der Aufwand ist nötig, weil die Energiewende den Strombedarf sprunghaft ansteigen lässt. Ob Verkehr, Heizungen oder Prozesswärme in der Industrie – fast alles, was derzeit noch fossile Energieträger antreiben, soll künftig elektrisch laufen. Deshalb wird sich der Strombedarf in Deutschland nach einer Prognose des jüngsten Ariadne-Reports bis 2045 mehr als verdoppeln.
Nur wenige – besonders energieintensive – Bereiche dürfen länger auf Erdöl und Erdgas zurückgreifen – Flug- und Schiffsverkehr etwa oder Teile der chemischen Industrie. Längerfristig sollen aber auch dort synthetische Brennstoffe und grüner Wasserstoff zum Einsatz kommen. Die müssen dann ebenfalls mit Strom aus erneuerbaren Quellen hergestellt werden.
Ersparnis bei Brennstoffen
Allerdings sind die hohen Ausgaben nur eine Seite der Medaille. „Wir werden auf der anderen Seite sehr viel Geld für fossile Brennstoffe sparen, die wir dann nicht mehr importieren müssen“, sagt Tom Brown, der an der Technischen Universität Berlin die Energiesysteme der Zukunft modelliert. Der technische Fortschritt sorgt außerdem dafür, dass die Stromerzeugung immer effizienter wird. „In der Photovoltaik sind die Wirkungsgrade mit jeder neuen Produktgeneration gestiegen“, erklärt Bernd Rech vom Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie. Neue Halbleitermaterialien versprechen weitere Verbesserungen. „Der Flächenbedarf wird geringer, denn auf der gleichen Fläche kann man mehr Energie erzeugen.“ Auch jedes neue Windrad liefert mehr Strom als frühere Modelle.
In den vergangenen Jahren hatte der Ausbau der erneuerbaren Energiequellen den Strompreis allerdings zunächst steigen lassen – ein Wettbewerbsnachteil für die deutsche Industrie. Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) will deshalb mehr flexible Gaskraftwerke bauen lassen, die bei Dunkelheit und Flaute Strom liefern. Möglichst nah an den Großverbrauchern postiert würden sie Netzkapazitäten sparen. Zudem könnten sie Kosten senken, argumentiert Reiche, weil ein großer Anteil gesicherter Kraftwerksleistung den Strompreis drücke.
Erneuerbarer Strom am günstigsten
Manche Forschende fürchten allerdings das Gegenteil. Ein Grund: Die modernen Anlagen können Strom aus Wind und Sonne mittlerweile konkurrenzlos günstig erzeugen. Inklusive Investitions- und Betriebskosten kommt das Fraunhofer-Institut für Solare Systeme in seiner aktuellen Analyse der Stromgestehungskosten auf einen Erzeugerpreis von fünf bis zwölf Cent pro Kilowattstunde – je nach Standort. Deutlich teurer ist Strom aus modernen Gaskraftwerken. Je nach Gaspreis schlagen zwanzig bis dreißig Cent pro Kilowattstunde zu Buche. „Das gilt für die flexiblen Gaskraftwerke, die wir für die Energiewende brauchen“, schränkt Fraunhofer-Ingenieur Christoph Kost ein. „Die haben einen geringeren Wirkungsgrad als Gasturbinen, die durchgehend laufen.“
Statt neuer Gaskraftwerke könnten künftig Speichertechnologien einen Großteil der natürlichen Schwankungen bei der Stromerzeugung aus Wind und Sonne ausgleichen. In den vergangenen Jahren sind Batteriespeicher deutlich leistungsfähiger und günstiger geworden, Wissenschaftler erwarten weitere Fortschritte in den kommenden Jahren. Sie empfehlen, große Batteriespeicher vor allem in Süddeutschland direkt an Solaranlagen zu postieren. Das könnte ebenfalls Netzkapazitäten sparen, weil bei viel Sonne und gleichzeitig wenig Energieverbrauch ein Teil des Stromes nicht ins Netz eingespeist, sondern gespeichert würde. Bei wenig Sonne könnten die Batterien dann einspringen.
Grüner Wasserstoff
Analog empfehlen Forschende im Norden nahe der großen Windkraftanlagen sogenannte Elektrolyseure zu installieren, die bei viel Wind aus dem überschüssigen Strom grünen Wasserstoff produzieren. Der könnte entweder später verstromt werden oder in energieintensiven Industriezweigen als Brennstoff zum Einsatz kommen. Eine Studie der Uni Hannover und des Instituts für solare Systemtechnik (ISFH) hat gezeigt, dass diese Speicherverteilung im Land Netzausbau und damit Kosten sparen könnte.
Werde dieser Ausbau verzögert, könnten dagegen Mehrkosten zwischen 25 und 60 Milliarden Euro entstehen, sagt ISFH-Physiker Raphael Niepelt. „Vor allem würde keine erneuerbare Energie verschwendet, weil die Anlagen nicht wegen Netzüberlastung abgeschaltet werden müssen.“