analyse
Stand: 10.12.2025 06:00 Uhr
Trump-Gefolgsmann Kevin Hassett gilt an den Märkten als der wahrscheinlichste Nachfolger von Jerome Powell an der Spitze der US-Notenbank. Experten sehen die Unabhängigkeit der Fed in Gefahr.
Sorgt die US-Notenbank für eine vorweihnachtliche Bescherung an den Börsen? Vor dem Zinsentscheid der Federal Reserve (Fed) heute Abend ist der Zinsoptimismus der Anleger jedenfalls groß. Laut dem Fed Watch Tool der CME Group rechnen rund 90 Prozent der Marktteilnehmer mit einer Zinssenkung um 0,25 Prozentpunkte. Dafür spricht in erster Linie der schwache Arbeitsmarkt.
Was die weiteren geldpolitischen Aussichten anbelangt, so herrscht innerhalb der Fed derzeit eine ungewöhnlich tiefe Spaltung. Die Notenbank ist zerstritten wie selten zuvor. Hinzu kommt ein weiterer Unsicherheitsfaktor: Im Mai endet die Amtszeit von Jerome Powell als Fed-Vorsitzender.
„Mit Blick auf das kommende Jahr rechnen wir bis Mai nur mit einer weiteren Zinssenkung“, betont Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. Danach, unter Powells Nachfolger, dürfte das Zinssenkungstempo wieder deutlich anziehen.
Trump hat einen Favoriten
Doch wer folgt auf Powell an der Spitze der Notenbank? Das Rätselraten an den Märkten dürfte schon bald ein Ende haben. Trump kündigte während einer Kabinettssitzung im Weißen Haus in der vergangenen Woche an, bereits „Anfang nächsten Jahres“ den neuen Vorsitzenden bekannt zu geben. Und einen persönlichen Favoriten hat er auch schon, wie er danach klarstellte.
„Ich nehme an, ein potenzieller Fed-Chef ist auch hier“, sagte Trump. „Ich weiß nicht, wer das sagen darf – potenziell. Er ist eine angesehene Person, das kann ich Ihnen versichern. Danke, Kevin.“
Wofür steht Kevin Hassett?
Gemeint ist Kevin Hassett, derzeit Direktor des National Economic Council – und damit Trumps oberster Wirtschaftsberater. Als solcher dürfte er an der Spitze der US-Notenbank eine klare Agenda verfolgen.
„Ein Fed-Vorsitzender Kevin Hassett würde für einen noch wachstumsfreundlicheren Kurs stehen“, betont Georg von Wallwitz vom Vermögensverwalter Eyb & Wallwitz. Hasset schätze die Risiken einer zu straffen Geldpolitik größer ein als die Risiken einer höheren Inflation. Von Wallwitz ist überzeugt: „Unter Hassett würde die Fed einen offensiveren Kurs einschlagen.“
Hassett ist Trump loyal ergeben
Das wäre dann eine Geldpolitik ganz nach Trumps Geschmack. Schließlich hatte der US-Präsident in den vergangenen Monaten immer wieder versucht, die Notenbank zu mehr Zinssenkungen zu drängen.
Am derzeitigen Fed-Chef Powell perlten diese Versuche der Einflussnahme zwar ab – unter Hassett dürfte sich das aber ändern. Denn Hassett ist gegenüber Präsident Trump „sehr, sehr loyal“, wie Michael Brown, leitender Forschungsstratege bei Pepperstone, betont.
US-Zinsen bald auf Sieben-Jahres-Tief?
„Wenn Hassett übernimmt, dann dürfte die amerikanische Notenbank den Leitzins deutlich senken auf 2,5 Prozent“, ist Commerzbank-Chefökonom Krämer überzeugt. Zum Vergleich: So niedrig war der Leitzins in den USA seit sieben Jahren nicht mehr.
Das dürfte zwar die Aktienmärkte zumindest kurzfristig antreiben – Börsenexperten und Ökonomen sind von dieser Aussicht trotzdem alles andere begeistert. Sie befürchten, dass eine zu aggressive Zinssenkungspolitik eine neue Inflationswelle auslösen könnte.
In diese Richtung deuten auch die jüngsten Marktreaktionen: So machten die Renditen für zehnjährige US-Staatsanleihen einen Satz nach oben, während der Dollar an Wert einbüßte.
Wall-Street-Banker besorgt wegen Hassett
Laut der Financial Times haben bereits mehrere hochrangige Wall-Street-Banker und -Investoren ihre Besorgnis über eine mögliche Ernennung von Kevin Hassett zum Fed-Chef gegenüber dem US-Finanzministerium zum Ausdruck gebracht.
Sie fürchten, dass Hassett die Zinsen willkürlich senken könnte – nur um Trump zu gefallen. Und das, selbst wenn die Inflation weiterhin über dem Zwei-Prozent-Ziel der Fed liegt. Einige Marktexperten hätten daher andere Kandidaten wie etwa Rick Rieder von BlackRock oder den Fed-Gouverneur Christopher Waller bevorzugt, gelten diese doch als unabhängiger von Trump.
1970er-Jahres als mahnendes Beispiel
Die große Gefahr: Das Ansehen der Institution Fed könnte unter einem Chef, der in erster Linie auf Geheiß des US-Präsidenten agiert, massiv leiden. Welche dramatischen Folgen das haben kann, zeigt ein Blick in die Geschichte. UBS-Chefökonom Paul Donovan ist nicht der Einzige, der Parallelen zu den 1970er-Jahren befürchtet.
Damals hielt Fed-Chef Arthur Burns die Zinsen auf Druck von US-Präsident Richard Nixon künstlich niedrig. Die Konsequenz: Die Preise schossen in die Höhe. Am Ende des Jahrzehnts lag die Inflation bei über 13 Prozent – gleichzeitig stagnierte die Wirtschaft.
Erst in den 1980er-Jahren konnte diese „Stagflation“ durch den neuen Fed-Chef Paul Volcker gestoppt werden: mit drastischen Zinserhöhungen bis auf mehr als 20 Prozent. Der „Volcker-Schock“ löste eine schwere Rezession aus, konnte aber letztlich die Inflation eindämmen – und die Glaubwürdigkeit der Fed wiederherstellen.
US-Staatsanleihen und Dollar als „erste Opfer“
Seither galt die Unabhängigkeit der Fed als unantastbar. Sie ist Grundlage für den Status des Dollars als Weltreservewährung und für die Attraktivität von US-Staatsanleihen als „sicherer Hafen“.
Ein Notenbank-Chef, der sich nur dem Willen des US-Präsidenten beugt, würde das Vertrauen der Anlegerinnen und Anleger in die Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit der Fed erodieren. Das könnte zu massiven Verwerfungen an den Börsen führen.
„Für die Märkte ist entscheidend, dass Hassett im Fall höherer Inflation zeigt: Auch wenn der Wind aus Washington weht, bleibt die Fed Steuermann eines eigenen Kurses – und lässt die Teuerung nicht laufen“, unterstreicht von Wallwitz. Gelinge ihm das nicht, würde man das sehr deutlich an den Reaktionen der Finanzmärkte sehen: „US-Staatsanleihen und der Dollar wären die ersten Opfer.“
Wehe, wenn die Unabhängigkeit der Fed angegriffen wird
Das würde dann im nächsten Schritt auch die USA der Möglichkeit berauben, ihre gigantisch hohe Staatsverschuldung von aktuell über 38 Billionen Dollar über die Kapitalmärkte zu refinanzieren.
Sollte Kevin Hassett also tatsächlich der neue Fed-Chef werden und am Ende nur als Gehilfe Trumps agieren, so hätte das Folgen weit über die USA hinaus. Nicht weniger als die Stabilität des globalen Finanzsystems stünde auf dem Spiel.









