Katastrophe von Novi Sad 2024 Serbien gedenkt der Opfer – und verlangt Antworten
Stand: 01.11.2025 05:17 Uhr
Vor einem Jahr stürzte das Vordach des Bahnhofs in Novi Sad ein, 16 Menschen kamen ums Leben. Heute gedenken Tausende Serben der Opfer – und fordern, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.
Beifall und ermunternde Zurufe begrüßen Jana und ihre Freunde, als sie am Mittwochabend die Vororte von Belgrad erreichen. Passanten applaudieren, machen den jungen Leuten Mut. Janas Gruppe hat schon 130 Kilometer Fußmarsch hinter sich.
Am Montag sind die Studenten in Janas Heimatstadt im Osten Serbiens aufgebrochen. Sie haben einen Zwischenstopp in Belgrad eingelegt, dann ging es gestern weiter, nochmal circa 80 Kilometer bis Novi Sad.
Breite Unterstützung für Proteste
Wohin sie auch auf dem Sternmarsch gekommen seien, durch kleine Ortschaften und Dörfer: Überall hätten ihnen die Leute auf dem Land zugeklatscht, ihnen Wasser und Essen angeboten. Jana, die an der Pädagogischen Fakultät der Belgrader Universität studiert, ist von den Reaktionen berührt: „Wir sind von allen Begrüßungen, die wir in den Städten und kleineren Ortschaften auf der Route erfahren haben, total begeistert.“
Mit dem Marsch wollten sie auch zeigen, dass es nicht mehr ausreiche, dass nur die Studierenden auf die Straße gingen, sagt Jana. „Wir fordern das Volk auf, sich auch gemeinsam mit uns zu erheben, denn dieser Kampf ist nicht mehr nur unserer, sondern ein gemeinsamer von uns allen.“
Auf dem Weg zur Kundgebung in Novi Sad übernachten viele im Freien.
Demonstrierende wollen gedenken – und mahnen
Was sie sich von der geplanten Massenkundgebung in Novi Sad erwartet? Janas Antwort dürfte die Stimmungslage unter den Demonstranten – und vermutlich auch die eines Großteils der Bevölkerung – wiedergeben: „Wir erwarten, dass sie ohne Zwischenfälle abläuft, dass wir uns versammeln, um den verstorbenen Opfern in Ruhe zu gedenken.“
Damit wollten sie auch zeigen, dass sie sich an alles erinnern, erklärt die Studentin. Auch daran, dass weiterhin niemand von den für den Einsturz Verantwortlichen zur Verantwortung gezogen wurde.
16 Menschen sterben bei Dacheinsturz
Der 1. November 2024: Um 11:52 Uhr löst sich das Vordach des Bahnhofsgebäudes in Novi Sad aus den Verankerungen, begräbt unter einer Wolke von Staub und Schutt 16 Menschen. Der Schock sitzt tief – landesweit.
Viele Menschen in Serbien haben noch die Ankündigung von Staatspräsident Aleksander Vucic im Ohr, der am Unglücksabend versicherte: „Ich fordere von der Staatsanwaltschaft in Novi Sad, von der Regierung der Republik Serbien, dass die für das Unglück verantwortlichen Personen einen Prozess bekommen und streng bestraft werden.“
Gutachten beklagt hohes Maß an Korruption
Nichts davon geschah. Es gibt bislang keine einzige Anklage, geschweige denn ein Gerichtsurteil. Vor wenigen Tagen übergab eine unabhängige Untersuchungskommission aus serbischen Professoren, Juristen und Experten dem EU-Parlament ihre Ergebnisse.
„Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass es ein hohes Maß an Korruption gibt, das bis in die höchsten Ebenen des Staates reicht“, sagte eine pensionierte Richterin am Obersten Gerichtshof bei der Übergabe des Gutachtens.
Für den Landwirtschaftsstudenten Lav, der beim Fußmarsch von Belgrad nach Novi Sad mitmacht, ist das ein wesentlicher Grund für die Massenproteste. Der Slogan seiner Fakultät mache deutlich, „dass das gesamte Staatssystem bis ins Mark verfault ist. In allen Sphären der Gesellschaft schafft das Verhältnisse, die gewöhnlichen Menschen das Leben unmöglich machen.“
Studenten-Koalition laut Umfrage vorne
Wie stark Staatspräsident Vucic unter Druck steht, zeigt eine aktuelle Meinungsumfrage des unabhängigen serbischen Instituts CRTA: Vucics Serbische Fortschrittspartei würde bei einer sofortigen Neuwahl nur 32 Prozent der Stimmen erhalten. Eine von Studenten geführte Koalition würde dagegen auf 44 Prozent der Stimmen kommen.
Für die Studentin Jana lautet die politische Botschaft der Massenkundgebung in Novi Sad: „Wir haben nicht vor aufzugeben, bis wir eine Veränderung sehen.“ Diese Veränderung sei bisher noch nicht sichtbar. „Abgesehen davon, dass sich das Volk geeint hat, dass wir alle noch zahlreicher sind.“









