analyse
Machtkämpfe in Chinas Führung? Die verlorenen Posten
Stand: 25.10.2025 02:02 Uhr
Amtsinhaber verschwinden plötzlich, Positionen werden leise neu besetzt: Chinas kommunistische Führungsriege kann sich unter Staatschef Xi nicht sicher fühlen. Steckt tatsächlich nur Korruptionsbekämpfung dahinter?
Seit April war er einfach verschwunden. He Weidong, Chinas zweitmächtigster General, fehlte bei wichtigen Treffen des Politbüros und anderer Führungsgremien. Die staatlich kontrollierten Medien stellen in solchen Fällen keine Fragen. Gerüchte im abgeschotteten chinesischen Internet werden zensiert. Der Machtapparat läuft weiter, als wäre nichts passiert.
Erklärungen gibt es oft erst Monate später – wie jetzt, zum vierten Plenum des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas, das gerade zu Ende gegangen ist. Ein Treffen, bei dem es um langfristige Wirtschaftsstrategien ging, aber auch um das Führungspersonal der KP.
He, hieß es kurz vor dem Treffen, habe seinen Posten verloren, werde aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen und vor ein Militärgericht gestellt. Das gleiche Schicksal treffe acht weitere Kommandeure.
Chinas General He Weidong war seit April verschwunden. Jetzt heißt es, er werde vor ein Militärgericht gestellt.
Ein Zeichen von Konsequenz?
Die Begründung bleibt ohne konkrete Details. Die Beschuldigten hätten die Parteidisziplin verletzt und sich sehr schwerer Pflichtverletzungen zu Schulden kommen lassen, so ein Sprecher des Militärs. Das Vorgehen gegen die Kommandeure zeige, dass die Führung der Partei den Kampf gegen Korruption bis zum Ende führen werde. Nachfolger auf Hes Posten des Vizevorsitzenden in der mächtigen Militärkommission soll Zhang Shengmin werden, einer der führenden Antikorruptionsermittler im Militär.
In anderen Bereichen des Staatsapparats geht es ähnlich zu. Minister verschwinden und werden ausgetauscht. Zuletzt traf es einen Vertreter für Außenpolitik in der Partei, Liu Jianchao, der bereits als der neue Außenminister gehandelt wurde und zu Gesprächen in Hauptstädte rund um den Globus geschickt worden war.
Im Visier der Antikorruptionsermittler
Korruption und zweifelhafte Geschäfte gelten in Chinas Machtapparat und besonders im Militär als weitverbreitet – trotz jahrelanger Kampagnen gegen die Korruption. Es gibt keine Institutionen außerhalb der Kommunistischen Partei, die eine unabhängige Kontrolle ausüben. Dafür hat die KP eigene Disziplinarkommissionen und eine eigene Gerichtsbarkeit.
Wer ins Visier der Antikorruptionsermittler gerät, so scheint es, ist oft auch aus anderen Gründen in Ungnade gefallen. Vor allem kurz nachdem Staats- und Parteichef Xi Jinping 2012 die mächtigsten Ämter nach und nach übernahm, wurden viele hochrangige Funktionäre, die Xis Vorgängern verpflichtet waren, von ihren Posten entfernt.
Es trifft auch Funktionäre, die Xi einst einsetzte
„Früher musste Xi die alte Garde loswerden, um seine Macht zu festigen. Damals war das von großen Propaganda-Kampagnen zur Korruptionsbekämpfung begleitet“, sagt Yang Zi, der an der Nanyang Technological University in Singapur zu Chinas politischem System und der Volksbefreiungsarmee forscht.
Xi war mit den Säuberungen erfolgreich. Er gilt heute als einer der mächtigsten Staats- und Parteichefs der Volksrepublik. Seine „Xi-Jinping-Gedanken“ haben Verfassungsrang; die Begrenzung der Amtszeit schaffte er ab.
Doch die Säuberungen nehmen auch knapp 13 Jahre nach seinem Amtsantritt kein Ende. Nun trifft es auch Funktionäre, die Xi einst selbst eingesetzt hat. „Allein die Vermutung von illoyalem Verhalten kann in solchen Systemen mit einem einzelnen starken Herrscher dazu führen, dass jemand in Ungnade fällt“, sagt Yang.
Er sieht, wie viele Analysten, in der jüngsten Säuberungswelle ein Zeichen für Xis Stärke, weil der Staats- und Parteichef so viele wichtige Posten in einem Handstreich neu verteilen kann.
Manche Posten bleiben auch unbesetzt – etwa im Vorsitz der Zentralen Militärkommission der Kommunistischen Partei, der Xi vorsteht. Dadurch konzentriert sich die Macht noch weiter in seinen Händen. Die Armee in China wird von der Kommunistischen Partei geführt, nicht von der Regierung.
Wettstreit um die Gunst der Führung
„In einem Ein-Parteien-System werden sich immer neue Seilschaften bilden“, sagt Yang. Weil es keine personellen Brüche durch Wahlen gibt, sind viele auf die Gunst ihrer Vorgesetzten angewiesen, um weiterzukommen. „Dadurch bilden sich immer neue Gruppen im Wettstreit um die Gunst der Führung. Wird eine Gruppe in den Augen der Führung zu stark, wird sie abgesetzt.“
Xi sitzt nach Meinung vieler Experten fest im Sattel, auch wenn immer wieder anderslautende Gerüchte auftauchen. Auch Gerüchte über mögliche Planspiele für eine Nachfolge haben sich bislang nicht bestätigt.
„Sollte Xi eines Tages darüber nachdenken, die Macht abzugeben, dürfte er nach einem loyalen und nicht zu starken Nachfolger suchen“, sagte Yang. Der Nachfolger wäre von Xi abhängig, könne dessen politisches Erbe bewahren und sich nicht gegen Xi und dessen Familie wenden. „Aber ich glaube nicht, dass die Frage nach Xis Nachfolge in naher Zukunft eine Rolle spielen wird.“









