Er hat es tatsächlich geschafft: Jonas Gahr Støre bleibt norwegischer Ministerpräsident. Seine sozialdemokratische Arbeiterpartei (AP) kam bei den Parlamentswahlen nach Auszählung von 99 Prozent der Stimmen auf 28,2 Prozent und wurde damit stärkste Kraft. Das kommt insofern einer Sensation gleich, als die AP in den Umfragen um Neujahr herum bei gerade mal 15 Prozent lag und es nur noch eine Frage von Wochen zu sein schien, bis Støre die Parteiführung würde abgeben müssen.
Aber dann drehte der Wind: Erst zerbrach die Koalition mit der Zentrumspartei und Støre führte eine Minderheitsregierung, die ausschließlich aus Ministern seiner eigenen Partei bestand und sich plötzlich politisch klar profilieren konnte. Vor allem aber kam dann das, was in Norwegen alle den Stoltenberg-Effekt nannten: Støre zauberte den beliebtesten Politiker des Landes aus dem Hut, Jens Stoltenberg, der zehn Jahre lang Nato-Generalsekretär war und zuvor selbst Norwegen als Ministerpräsident geführt hatte. Stoltenberg wurde Finanzminister, schien sich in dieser Rolle vom ersten Tag an wohl zu fühlen und gab Støre enormen Rückenwind.
Im Vergleich zur Wahl von 2021 legte die Arbeiterpartei um zwei Prozentpunkte und fünf oder sechs Sitze im Parlament zu. „Wir wussten, dass es hart werden würde, und es war hart“, sagte Støre vor seinen jubelnden Anhängern. „Wir wussten, dass es knapp werden würde, und es war knapp. Und wir wussten, dass wir alles geben mussten, und wir haben alles gegeben. Deshalb ist es fantastisch, mit Ihnen zusammenzustehen und zu sagen, dass wir es geschafft haben.“

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Die zweite große Gewinnerin des Abend ist Sylvi Listhaug von der rechtspopulistischen Fortschrittspartei (FrP), die mit Erna Solberg von der Konservativen Partei offen darum konkurriert hatte, wer im Falle eines Sieges des rechten Lagers den Führungsanspruch erheben darf. Während Solberg, seit 21 Jahren Vorsitzende der Konservativen Partei und zehn Jahre lag Ministerpräsidentin, auf einen gemäßigten Kurs setzte, provozierte Listhaug in so ziemlich allen Bereichen. Sie plädierte für eine komplette Abschaffung der Vermögenssteuer, nannte die Klimaaktivistin Greta Thunberg eine schwedische Bandenkriminelle, versprach, die Sozialleistungen für Einwanderer auf den niedrigsten Stand in Europa zu senken, und zitierte, was das umstrittene Thema der Öl- und Gasförderung anging, gern Donald Trump: „Drill, Baby, drill!“
Bei den Konservativen steht die Langzeitvorsitzende Solberg infrage
Gerade bei jungen Männern kam ihre scharfe Rhetorik sehr gut an, die FrP kam auf etwa 24 Prozent der Stimmen, verdoppelte damit ihr Ergebnis von 2021 und ist nun zweitstärkste Partei. Solbergs Konservative, bislang stärkste Kraft im konservativen Lager, rutschten auf 14,6 Prozent ab; noch am Wahlabend wurden Forderungen nach ihrem Rücktritt als Parteivorsitzende laut.
Mitentscheidend für den Ausgang der Wahl dürfte auch Donald Trump gewesen sein: Nach dessen Wiederwahl und den ersten chaotischen Momenten der neuen US-Regierung wurde der Wunsch nach Stabilität und Verlässlichkeit immer stärker. Støre, der selbst schon mal Außenminister war, gab sich als Garant einer „sicheren Regierungsführung“, wie er mantraartig wiederholte. Sylvi Listhaug hingegen schreckte anscheinend unentschiedene Wähler aus der bürgerlichen Mitte ab. So zogen in Umfragen viele Unterstützer der liberal gemäßigten Venstre-Partei Støre im Verein mit Stoltenberg klar einer von Listhaug geführten Regierung vor. Venstre verpasste mit 3,6 Prozent den Wiedereinzug ins Parlament, was das konservative Lager am Ende nochmals schwächte.
Der rot-grüne Flügel, der auf 87 der 169 Sitze kommen dürfte, besteht neben der Arbeiterpartei aus der Sozialistischen Linkspartei, der Zentrumspartei, der Roten Partei und der Grünen Partei, die erstmals über die Vier-Prozent-Hürde kam. Es dürfte sehr schwer werden, all diese Parteien unter einen Hut zu bringen. „Wenn die bisherige Regierungsführung des Landes schon anspruchsvoll war, wird sie im Vergleich zu dem, was noch kommen wird, ein Sommertag sein“, kommentierte der öffentlich-rechtliche Sender NRK den Ausgang.