AfD-Kampagne Lehrer unter Druck
Stand: 11.11.2025 10:28 Uhr
AfD-Funktionäre wollen an die Lehrpläne in den Schulen herangehen. Schon jetzt setzt die Partei bundesweit Pädagogen unter Druck, denen sie Indoktrination vorwirft, wie eine Kontraste-Recherche zeigt. Bildungsministerin Prien ist besorgt.
Von Silvio Duwe, Chris Humbs, Markus Pohl, RBB
Seit mehr als 20 Jahren ist Roland Feucht Schuldirektor. Der Theologe leitet das katholische Maristengymnasium im niederbayerischen Fürstenzell. „Maristen gegen Faschisten“ steht auf einem von Schülern gemalten Transparent, das in der Aula hängt. Feucht hat damit kein Problem: „Wenn wir von Faschismus sprechen, positionieren wir uns ja nicht parteipolitisch, sondern gegenüber einer unmenschlichen Ideologie.“
Dieser Auffassung folgend beteiligte sich die Schule 2024 an einem Aufruf zu einer Demonstration im nahe gelegenen Passau. Anlass waren die damals bekannt gewordenen Remigrations-Pläne rechtsextremer Kreise. Man habe ein Zeichen setzen wollen für Demokratie und gesellschaftliche Vielfalt, sagt Feucht.
„Verstoß gegen das Neutralitätsgebot“
Doch das hatte ein Nachspiel: Abgeordnete der AfD prangerten in einer Anfrage an die Bayerische Staatsregierung einen „Verstoß gegen Neutralitätsgebot“ an. Feucht musste sich erklären, sah sich unter Druck gesetzt – auch wenn das zuständige Bildungsministerium schließlich kein Fehlverhalten erkennen konnte. „Das macht schon etwas mit einem“, sagt Feucht.
Allein in Bayern hat die AfD nach Recherchen des ARD-Politikmagazins Kontraste seit Anfang 2024 neun solcher Anfragen gestellt. Zuletzt traf es eine Mittelschule in Landshut. Ein Lehrer hatte dort im Fach Deutsch ein Arbeitsblatt verteilt, in dem zu lesen war, dass der Verfassungsschutz die AfD als gesichert rechtsextrem einstufe und nun beobachte, „weil sie gefährlich für Freiheit und Gerechtigkeit sein könnte“.
Verunsicherung bei Lehrkräften
Die Bildungsforscherin Rita Nikolai von der Universität Augsburg hat die vielen Anfragen der AfD im Bayerischen Landtag analysiert. Die Professorin glaubt, die Partei wolle Lehrkräfte gezielt verunsichern: „Das führt dazu, dass man dann vielleicht politische Themen nicht anspricht, weil man Angst davor hat, denunziert zu werden und man Befürchtungen vor disziplinarrechtlichen Konsequenzen hat“, so Nikolai.
Auf Kontraste-Anfrage bestritt die AfD-Fraktion diese Vorwürfe: Ihr gehe es nicht um Einschüchterung von Lehrern, sondern darum, Missstände zu beheben, etwa „ideologisch übergriffige Praktiken“ linkslastiger Lehrer.
Wie sich Lehrerinnen und Lehrer in den Klassenzimmern zu verhalten haben, ist im sogenannten „Beutelsbacher Konsens“ festgelegt – ein bildungspolitischer Kompromiss aus den 1970er-Jahren. Zentral sind zwei Prinzipien: Erstens das Überwältigungsverbot, wonach Lehrer die Schüler nicht mit ihrer eigenen politischen Meinung überwältigen dürfen. Und zweitens das Diversitätsgebot, wonach unterschiedliche politische Ansichten im Unterricht ausgewogen Platz finden sollen.
Schule soll nicht wertneutral sein
Gleichzeitig sind Lehrende angehalten, die Schüler im Geiste der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu bilden. So ist das auch in den Schulgesetzen der Länder festgelegt. „Wir sind in der Schule nicht wertneutral, und das sollen wir auch nicht sein, sondern der Bildungsauftrag der Schule orientiert sich am Grundgesetz“ – so formulierte es Bundesbildungsministerin Karin Prien (CDU) im Interview mit Kontraste.
Was aber bedeutet das im Fall der AfD, die in mehreren Bundesländern und möglicherweise auch bald im Bund als gesichert rechtsextrem eingestuft ist – auch wenn sie sich dagegen gerichtlich wehrt?
Lehrerverband kritisiert AfD
„Gesichert rechtsextremistisch und freiheitlich-demokratisch, das geht nicht zusammen“, sagt etwa Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands. Über den Charakter der AfD in der Schule zu diskutieren, gehöre sogar zum Auftrag von Pädagogen.
„Ich unterstelle der AfD, dass sie ganz bewusst immer von Neutralitätsgebot spricht, obwohl wir das gar nicht haben“, sagt Fleischmann. Damit wolle die Partei Kritik an ihr ersticken. Die AfD in Bayern widerspricht: Es gehe ihr ausschließlich um die konsequente Umsetzung des „Beutelsbacher Konsens“.
AfD macht bundesweit Stimmung
Bundesweit macht die AfD Stimmung gegen Lehrer, die aus ihrer Sicht die notwendige Neutralität vermissen lassen. In Berlin betreibt die Partei ein Portal „Neutrale Schule“, wo Vorfälle im Unterricht gemeldet werden können. Eine ähnliche Webseite gibt es von der AfD in Niedersachsen. In Sachsen-Anhalt brachte die AfD Anfang Oktober im Landtag einen Antrag ein, Lehrenden politische Äußerungen im Unterricht gänzlich zu untersagen.
Geschrieben hatte den Antrag Hans-Thomas Tillschneider, stellvertretender Landesvorsitzender und Kulturbeauftragter der Partei. Ein Dorn im Auge sind Tillschneider vor allem Demokratie- und Antirassismus-Projekte wie das Netzwerk „Schule ohne Rassismus“. Es gebe kaum noch Rassismus in Deutschland, sagt Tillschneider: „Diese Programme sind ein Etikettenschwindel, sie werden missbraucht, um die AfD zu bekämpfen.“ Es gehe um die „Niederhaltung der patriotischen Opposition“.
AfD will Lehrpläne ändern
Schon jetzt strickt Tillschneider Pläne, sollte die AfD nach der Landtagswahl im nächsten Jahr in Sachsen-Anhalt regieren. Derzeit liegt die Partei in den Umfragen klar auf dem ersten Platz. „Mehr Bismarck, weniger Hitler“, bringt Tillschneider etwa seine Vorstellungen für die Lehrpläne in Geschichte auf den Punkt. Das 19. Jahrhundert sei unterbelichtet und für die Identität der Deutschen wichtiger als das 20. Jahrhundert.
Bundesbildungsministerin Karin Prien sieht die Kampagne der AfD gegen vermeintliche Indoktrination an den Schulen mit großer Sorge. Historisch sei der Siegeszug von Extremisten immer auch über das Thema Bildung verlaufen. „Die AfD hat offensichtlich ein Problem, wenn es um die Auseinandersetzung mit dem Thema Rassismus oder etwa Themen der Demokratiebildung geht“, so Prien. Die AfD wolle nicht, dass Kinder zu mündigen Bürgern erzogen werden.
Welche Konsequenzen der Feldzug der AfD gegen vermeintlich linke Pädagogen haben kann, zeigte sich kürzlich in Brandenburg. Der Schulleiter der Grace-Hopper-Gesamtschule in Teltow hatte einem Zehntklässler ein Schulpraktikum in der AfD-Landtagsfraktion verweigert, da die Partei in Brandenburg als gesichert rechtsextrem eingestuft sei.
Flut von Gewaltaufrufen
Einen Auftritt einer AfD-Politikerin, in der sich diese über die Entscheidung empörte, teilte auch das rechtsextreme Compact-Magazin auf YouTube. Was folgte, war eine Flut von Drohungen und Gewaltaufrufen gegen den Schulleiter: „Hausbesuch. Peng Zack Bumm! Auuaa auuaa…“, schrieb etwa ein anonymer Nutzer. Ein weiterer Post: „Schulleiter abschieben zum aufhängen (sic)“.
Darauf angesprochen distanzierte sich der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion in Brandenburg, Dennis Hohloch, zwar: „Wenn das so der Fall sein sollte, ist das natürlich nicht richtig.“ Gleich darauf legte Hohloch aber noch einmal nach: „So ein Direktor hat sich der Kritik auszusetzen. Er hat offensichtlich seine Rolle im demokratischen Haus Schule nicht verstanden.“ Der Schulleiter möchte sich angesichts der Drohungen nicht mehr öffentlich äußern.









