Leben in einer Senioren-WG Auf der Suche nach Gemeinschaft
Stand: 11.12.2025 17:27 Uhr
Bereits 2035 wird ein Viertel der Menschen in Deutschland 67 Jahre und älter sein. Eine gesellschaftliche Herausforderung, denn schon jetzt fehlen Pflege- und Seniorenheimplätze. Wie wäre es dann mit einer WG?
In der offenen Küche der „Villa Stein“ in Allendorf im Taunus herrscht ausgelassene Stimmung. Die Kaffeemaschine zischt, Teller klappern, Brötchen, Wurst und Marmelade stehen auf einem großen Esstisch. Alles wirkt eingespielt, dabei wohnen Barbara Stein, Monika Werneke, Monika Zaidi und Sonja Mörbe erst seit zwei Wochen unter einem Dach. Zuvor hatten sie nichts miteinander zu tun.
Die vier Frauen sind zwischen 69 und 77 Jahre alt, haben in verschiedenen Orten und Städten gelebt, als Porzellanmalerin, selbstständige Fotografin, Ingenieurin oder im Büro gearbeitet. Ein Teil von ihnen ist verwitwet, die meisten haben Kinder. Was sie verbindet: Alle suchen Gemeinschaft und können sich ein Leben als sockenstrickende Oma im Lehnstuhl nicht vorstellen. Deshalb haben sie sich ein Appartement mit Bad in der „Villa Stein“ gemietet.
Gemeinsam mit einer weiteren Frau, einem Mann und Hund Tavo teilen sie sich Wohnküche, Wohnzimmer und Hauswirtschaftsraum. Vor dem 500 Quadratmeter großen Haus grasen die drei Ziegen Lucky, Luke und Nanni.
„Auf einmal so allein da zu sitzen, das war hart“
„Keimzelle“ der Alters-Lebensgemeinschaft ist Barbara Stein. Die 69-Jährige wohnte jahrzehntelang mit Mann und zwei Töchtern in dem Haus am Ortsrand, das jetzt „Villa Stein“ heißt. Hier waren auch die Geschäftsräume ihres Abbruchunternehmens untergebracht.
Nach dem Tod ihres Mannes und einer eigenen schweren Krankheit fiel die Ingenieurin in ein tiefes Loch, fühlte sich im großen Haus verloren und einsam. Gefühle, die sie zuvor nicht kannte. „Durch unser Unternehmen hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt immer Menschen um mich, war viel auf Baustellen. Und privat habe ich so gut wie alles mit meinem Mann gemacht“, erzählt Stein. „Auf einmal so allein da zu sitzen, das war hart. Mir fehlte jeglicher Antrieb, alles war eintönig, nicht mal das Essen hat mir noch geschmeckt.“
Gemeinsam mit Tochter Angelika kam sie auf die Idee, eine Alters-WG im früheren Familien- und Geschäftshaus unterzubringen. Gesagt, getan. Angelika Stein übernahm das Haus, suchte Mieter für anfangs drei Zimmer, Küche, Gemeinschaftsbad. Interessenten waren schnell gefunden, alles schien perfekt zu laufen.
Barbara Stein ist die „Keimzelle“ der Alters-WG im Taunus.
Herausforderungen einer WG-Gründung
Doch schon bald begann der Ärger. „Ich musste lernen, dass ältere Menschen sehr großen Wert aufs eigene Bad legen und jeder Zahnbecher einen festen Platz braucht“, erinnert sich Angelika Stein schmunzelnd. Und auch anderweitig hatten ihre Mieter ganz genaue Vorstellungen, forderten unter anderem mehr eigenen Stauraum in der Küche und separate Schuhschränke.
Und damit gingen die Umbauarbeiten los. Das Haus wurde Schritt für Schritt entkernt, die Küche verlegt und vergrößert, es entstanden sechs Appartements, alle mit eigenem Bad. Die Größe schwankt zwischen 30 und 47 Quadratmeter, die Miete kostet inklusive aller Nebenkosten und Pauschalen maximal 750 Euro.
Rund 150.000 Euro hat Angelika Stein in den großangelegten Umbau investiert. Rückblickend sagt sie, sie sei viel zu naiv an das Projekt herangegangen. Dass seniorengerecht nicht nur barrierefrei heißt, sei ihr erst im Laufe der Zeit klar geworden: „Ältere Menschen haben beim Wohnen höhere Ansprüche als junge. Schnell und unkompliziert mal eine Senioren-WG aus dem Boden stampfen geht nicht.“
Gemeinsames Wohnen liegt im Trend
Vor allem, weil viele aus der Boomer-Generation, geboren zwischen circa 1946 und 1964, in Sachen Wohnen verwöhnt sind. Jana Lunz beschäftigt sich bei der Körber-Stiftung mit den Themen Alter und Demografie. Fast zwei Drittel der Babyboomer wohnen laut der Expertin in Eigentum. Und selbst wenn sie zur Miete wohnten, hätten sie in der Regel viel Platz und günstige Mieten.
Selbstbestimmung, Eigenständigkeit und Privatsphäre spielten für diese Altersgruppe eine genauso große Rolle wie für Jüngere. Mit zunehmendem Alter nehme bei vielen jedoch der Wunsch nach Sicherheit und sozialen Kontakten zu. Bei der Suche nach der für sie optimalen Wohnform im Alter könnten dabei nicht mehr alle auf familiäre Hilfe bauen, erklärt Lunz. Weil sie keine oder weniger Kinder haben als frühere Generationen oder die Kinder weit weg leben.
Das Interesse an betreutem Wohnen, Pflegewohngemeinschaften und selbstorganisierten Senioren-WGs nimmt zu. Immerhin könnten sich mittlerweile rund 25 Prozent der Babyboomer vorstellen, in eine Alters-WG einzuziehen, so Lunz. Eine Entwicklung, die den vielerorts angespannten Wohnungsmarkt entlasten könnte.
Wer ist WG-tauglich?
Mitbewohnerin Sonja Mörbe sagt, der Einzug in die „Villa Stein“ sei die beste Entscheidung ihres Lebens gewesen. Die Mischung aus Privatsphäre und Gemeinschaft empfindet die frühere Büroangestellte in ihrer WG als ideal. Ihr gefällt auch die Vorstellung, einen externen Pflegedienst zu buchen oder eine Haushaltshilfe zu engagieren, sollten sich die Bewohner nicht mehr selbst versorgen können.
Die 69-Jährige sagt aber, dass längst nicht jeder WG-tauglich sei. Bei manchen zeige sich das schon bei der Vorstellungsrunde, bei anderen erst nach dem Einzug. „Viele entwickeln im Laufe ihres Lebens Eigenheiten, die ein Zusammenleben schwer oder gar unmöglich machen“, sagt Mörbe. Sie plädiert deshalb für einen klaren Blick auf das Wohnmodell. Jeder müsse sich vorab selbst fragen, ob er offen, tolerant und kompromissbereit genug für diese Lebensform sei. Dann, so glaubt sie, könne das Abenteuer Alters-WG nicht nur gelingen, sondern auch das Leben bereichern.
Ihre Mitbewohnerin Monika Zaidi nickt zustimmend und ergänzt: Das wirklich Tolle sei, dass man sich in einer WG auch selbst immer wieder neu kennenlernt – durch Gespräche mit anderen, aber auch durch Konflikte. Es bleibe also spannend – auch im fortgeschrittenen Alter. „Was will man mehr?“, fragt die 71-Jährige.









