Donnerstag, September 11, 2025

Afghanen mit deutscher Aufnahmezusage: Warum Ortskräfte der Bundeswehr schlechter gestellt sind

Afghanen mit deutscher Aufnahmezusage Warum Ortskräfte der Bundeswehr schlechter gestellt sind

Analyse | Berlin · Als im Sommer 2021 die internationalen Truppen aus Afghanistan abzogen und die Taliban die Macht übernahmen, wurden Ortskräfte der Bundeswehr zurückgelassen. Jetzt haben sie wieder das Nachsehen. Was steckt dahinter?

Wunstorf: Ein Transportflugzeug vom Typ Airbus A400M der Luftwaffe hebt im Sommer 2021 auf dem Fliegerhorst Wunstorf in der Region Hannover ab. Damals begann die Bundeswehr mit der Evakuierung deutscher Staatsbürger aus Kabul. Viele Ortskräfte, die ebenfalls mitfliegen sollten, blieben zurück.

Wunstorf: Ein Transportflugzeug vom Typ Airbus A400M der Luftwaffe hebt im Sommer 2021 auf dem Fliegerhorst Wunstorf in der Region Hannover ab. Damals begann die Bundeswehr mit der Evakuierung deutscher Staatsbürger aus Kabul. Viele Ortskräfte, die ebenfalls mitfliegen sollten, blieben zurück.

Foto: dpa/Hauke-Christian Dittrich

Die humanitäre Aufnahme gefährdeter Menschen aus Afghanistan wurde vor vier Jahren mit der Gefahr für die Ortskräfte der Bundeswehr begründet. Doch jetzt haben die Helfer der deutschen Streitkräfte erneut das Nachsehen – wegen eines rechtlichen Details mit ernsthaften Folgen. Worum geht es?

Der Generalmajor a.D., Markus Kurczyk, ist Projektleiter beim Patenschaftsnetzwerk Ortskräfte. Er war in drei Einsätzen insgesamt fast drei Jahre in Afghanistan, zuletzt von Januar 2019 bis Februar 2020. Heute setzt er sich in dem Verein auch für Ortskräfte ein, die darauf warten, nach Deutschland einreisen zu dürfen. Er erinnert an die Stimmung im Sommer 2021. Damals, als in Deutschland noch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) regierte, endete am Hindukusch der 20-jährige, internationale Afghanistaneinsatz, die Taliban eroberten das Land in rasender Geschwindigkeit zurück. Trotz gegenteiliger Zusicherungen wurden bei dem Abzug der Bundeswehr afghanische Ortskräfte zurückgelassen – auch weil mühsame Visa- und Aufnahmeprozesse schnelles Handeln verhinderten.

Neue Programme erhöhten Aufnahmezahlen – zum Nachteil für Ortskräfte

Als im Herbst desselben Jahres die Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP ihre Regierung bildeten, beschlossen sie humanitäre Aufnahmeprogramme, um Menschen in Sicherheit zu bringen, die wegen ihrer Tätigkeit für die deutschen Streitkräfte oder ihres Einsatzes für Menschenrechte und Demokratie unter dem Taliban-Regime bedroht waren.

Dass Deutschland so viele Aufnahmen von Menschen aus Afghanistan beschlossen habe, „hing damit zusammen, dass viele Ortskräfte der Bundeswehr im Sommer 2021 nicht rechtzeitig aus dem Land gebracht wurden“. Er sagt: „Der Fakt, dass jene Menschen, die den Soldaten beim Einsatz Tag für Tag geholfen haben, zurückgelassen wurden, hat hierzulande den öffentlichen Druck erzeugt, die Ortskräfte rauszuholen.“

Das Ortskräfteverfahren – über das gefährdete Helfer nach Deutschland kommen durften – gab es zwar schon seit 2013. Es erwies sich aber in der Notsituation als zu langsam und zäh. Die Bundesregierung legte daher weitere Programme auf: das Bundesaufnahmeprogramm, ein Menschenrechtsprogramm und ein Überbrückungsprogramm. So landeten im Laufe des zweiten Halbjahres 2021 zahlreiche Personen auf den Listen besonders gefährdeter Menschen, die eben keine Ortskräfte waren. Am Ende hatten über die verschiedenen Programme fast 50.000 Afghaninnen und Afghanen eine Aufnahmezusage, mehr als 35.000 sind eingereist. Kurczyk sagt: „Jetzt hat sich die Stimmung gedreht und ausgerechnet die Ortskräfte haben rechtlich den schlechtesten Stand.“

Unterschiedliche rechtliche Grundlagen erschweren Rettung

Auch das hat eine Vorgeschichte: Bevor in Berlin die Regierung wechselte, sorgten in Deutschland Charterflüge für Aufregung, die Afghaninnen und Afghanen mit Aufnahmezusage von Pakistan aus nach Deutschland brachten. Die schwarz-rote Koalition vereinbarte daher im Koalitionsvertrag, dass die humanitären Aufnahmeprogramme „soweit wie möglich“ beendet werden sollen. In Pakistan warteten da noch mehr als 2.000 aus Afghanistan geflüchtete Menschen mit Aufnahmezusagen darauf, nach Deutschland einreisen zu dürfen.

Die SPD-Fraktion pocht weiter darauf, sie ins Land zu holen, Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) besteht darauf, jeden Einzelfall auf Rechtsverbindlichkeit und Sicherheit zu prüfen. Darüber wurde auch am Donnerstag (11. September) im Bundestag diskutiert. SPD-Außenpolitikerin Derya Türk-Nachbaur sagte unserer Redaktion: „Besonders die afghanischen Ortskräfte und ihre Familien haben ihr Leben für den Einsatz an der Seite Deutschlands riskiert. Wir tragen Verantwortung für ihre Sicherheit.“

Kein rechtlicher Anspruch für Ortskräfte

Doch stehen die Chancen der Ortskräfte, nach Deutschland zu gelangen, schlechter als bei anderen. „Das liegt daran, dass die Zusagen auf unterschiedlichen Paragrafen im Aufenthaltsgesetz basieren“, sagt Kurczyk. Er weist auf einen aktuellen Beschluss des Berliner Oberverwaltungsgerichts hin. Demnach ist die Aufnahmezusage gegenüber Ortskräften nach Paragraf 22 Satz 2 nicht bindend. Die Zusage gegenüber Menschenrechtsaktivisten, die über das Bundesaufnahmeprogramm nach Paragraf 23 Absatz 2 einreisen wollen, ist hingegen rechtlich bindend. „Sie können also ihr Recht auf Einreise notfalls einklagen, die Ortskräfte nicht“, beklagt der frühere Luftwaffengeneral.

Juristische Grauzonen behindern Schutz

Ein Pressesprecher des Berliner Gerichts bestätigt auf Anfrage rechtliche Unterschiede zwischen Ortskräfteverfahren und Bundesaufnahmeprogramm. Beim Ortskräfteverfahren gibt es demnach eine „bloße Aufnahmeerklärung“, beim Bundesaufnahmeprogramm handelt es sich um „bestandskraftfähige Verwaltungsakte“. Auch das Bundesinnenministerium erklärte, dass die einen Zusagen Verwaltungsakte sind, die anderen aber nicht.

Was das bedeutet? Einige jener Helfer der Bundeswehr, bei denen im Sommer 2021 die Mehrheit der Bevölkerung der Meinung war, sie müssten gerettet werden, bleiben im Zweifel zurück. Zuletzt hatte das Patenschaftsnetzwerk laut Kurczyk zu 20 Ortskräften Kontakt, die in Pakistan gestrandet waren. „Acht von ihnen sind nicht mehr dort, sondern wieder nach Afghanistan abgeschoben worden.“

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Wunstorf: Ein Transportflugzeug vom Typ Airbus A400M der Luftwaffe hebt im Sommer 2021 auf dem Fliegerhorst Wunstorf in der Region Hannover ab. Damals begann die Bundeswehr mit der Evakuierung deutscher Staatsbürger aus Kabul. Viele Ortskräfte, die ebenfalls mitfliegen sollten, blieben zurück.

Foto: dpa/Hauke-Christian Dittrich

Die humanitäre Aufnahme gefährdeter Menschen aus Afghanistan wurde vor vier Jahren mit der Gefahr für die Ortskräfte der Bundeswehr begründet. Doch jetzt haben die Helfer der deutschen Streitkräfte erneut das Nachsehen – wegen eines rechtlichen Details mit ernsthaften Folgen. Worum geht es?

Der Generalmajor a.D., Markus Kurczyk, ist Projektleiter beim Patenschaftsnetzwerk Ortskräfte. Er war in drei Einsätzen insgesamt fast drei Jahre in Afghanistan, zuletzt von Januar 2019 bis Februar 2020. Heute setzt er sich in dem Verein auch für Ortskräfte ein, die darauf warten, nach Deutschland einreisen zu dürfen. Er erinnert an die Stimmung im Sommer 2021. Damals, als in Deutschland noch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) regierte, endete am Hindukusch der 20-jährige, internationale Afghanistaneinsatz, die Taliban eroberten das Land in rasender Geschwindigkeit zurück. Trotz gegenteiliger Zusicherungen wurden bei dem Abzug der Bundeswehr afghanische Ortskräfte zurückgelassen – auch weil mühsame Visa- und Aufnahmeprozesse schnelles Handeln verhinderten.

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Als im Herbst desselben Jahres die Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP ihre Regierung bildeten, beschlossen sie humanitäre Aufnahmeprogramme, um Menschen in Sicherheit zu bringen, die wegen ihrer Tätigkeit für die deutschen Streitkräfte oder ihres Einsatzes für Menschenrechte und Demokratie unter dem Taliban-Regime bedroht waren.

Dass Deutschland so viele Aufnahmen von Menschen aus Afghanistan beschlossen habe, „hing damit zusammen, dass viele Ortskräfte der Bundeswehr im Sommer 2021 nicht rechtzeitig aus dem Land gebracht wurden“. Er sagt: „Der Fakt, dass jene Menschen, die den Soldaten beim Einsatz Tag für Tag geholfen haben, zurückgelassen wurden, hat hierzulande den öffentlichen Druck erzeugt, die Ortskräfte rauszuholen.“

Das Ortskräfteverfahren – über das gefährdete Helfer nach Deutschland kommen durften – gab es zwar schon seit 2013. Es erwies sich aber in der Notsituation als zu langsam und zäh. Die Bundesregierung legte daher weitere Programme auf: das Bundesaufnahmeprogramm, ein Menschenrechtsprogramm und ein Überbrückungsprogramm. So landeten im Laufe des zweiten Halbjahres 2021 zahlreiche Personen auf den Listen besonders gefährdeter Menschen, die eben keine Ortskräfte waren. Am Ende hatten über die verschiedenen Programme fast 50.000 Afghaninnen und Afghanen eine Aufnahmezusage, mehr als 35.000 sind eingereist. Kurczyk sagt: „Jetzt hat sich die Stimmung gedreht und ausgerechnet die Ortskräfte haben rechtlich den schlechtesten Stand.“

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Doch stehen die Chancen der Ortskräfte, nach Deutschland zu gelangen, schlechter als bei anderen. „Das liegt daran, dass die Zusagen auf unterschiedlichen Paragrafen im Aufenthaltsgesetz basieren“, sagt Kurczyk. Er weist auf einen aktuellen Beschluss des Berliner Oberverwaltungsgerichts hin. Demnach ist die Aufnahmezusage gegenüber Ortskräften nach Paragraf 22 Satz 2 nicht bindend. Die Zusage gegenüber Menschenrechtsaktivisten, die über das Bundesaufnahmeprogramm nach Paragraf 23 Absatz 2 einreisen wollen, ist hingegen rechtlich bindend. „Sie können also ihr Recht auf Einreise notfalls einklagen, die Ortskräfte nicht“, beklagt der frühere Luftwaffengeneral.

Juristische Grauzonen behindern Schutz

Ein Pressesprecher des Berliner Gerichts bestätigt auf Anfrage rechtliche Unterschiede zwischen Ortskräfteverfahren und Bundesaufnahmeprogramm. Beim Ortskräfteverfahren gibt es demnach eine „bloße Aufnahmeerklärung“, beim Bundesaufnahmeprogramm handelt es sich um „bestandskraftfähige Verwaltungsakte“. Auch das Bundesinnenministerium erklärte, dass die einen Zusagen Verwaltungsakte sind, die anderen aber nicht.

Was das bedeutet? Einige jener Helfer der Bundeswehr, bei denen im Sommer 2021 die Mehrheit der Bevölkerung der Meinung war, sie müssten gerettet werden, bleiben im Zweifel zurück. Zuletzt hatte das Patenschaftsnetzwerk laut Kurczyk zu 20 Ortskräften Kontakt, die in Pakistan gestrandet waren. „Acht von ihnen sind nicht mehr dort, sondern wieder nach Afghanistan abgeschoben worden.“

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