Stand: 09.12.2025 16:46 Uhr
Innenminister Dobrindt wollte nur noch die Afghanen aufnehmen, die er aufnehmen muss. Mit einer Ausnahme: Ortskräfte. Für die habe man eine Verantwortung. Doch diese Zusage hält er nun nicht ein.
Es ist nicht die erhoffte Nachricht, die bei einigen ehemaligen afghanischen Ortskräften der Bundesregierung dieser Tage in Pakistan eintrifft. Ganz im Gegenteil. Statt der in Aussicht gestellten Visa für die Einreise nach Deutschland bekommen sie diese Nachricht: „Nach einer weiteren ausführlichen Prüfung wurde festgestellt, dass – anders als ursprünglich angenommen – keine Grundlage besteht für die Zusage einer Aufnahme in Deutschland.“
In den Schreiben, die vor einer Woche verschickt wurden und der ARD vorliegen, heißt es weiter: „Wir bitten Sie höflichst, das Hotel bis Dienstag, 9. Dezember 2025 zu verlassen.“ Innerhalb weniger Tage sollten sie also die Unterkunft verlassen, in der sie seit Monaten mit ihren Familien untergebracht sind. Sie wurden dort von der deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) betreut, während sie auf den Abschluss ihrer Visaverfahren für Deutschland warteten.
123 Ortskräfte und ihre Familien haben nach Angaben der Hilfsorganisation Kabul Luftbrücke in den vergangenen zwei Wochen eine solche Absage bekommen. Das sind mehr als die Hälfte der Personen mit Zusagen aus dem Ortskräfteverfahren, die zuletzt noch in Pakistan auf Visa für Deutschland warteten.
Absage ohne Begründung
Die Betroffenen haben in Afghanistan vor der Machtübernahme der Taliban für die Bundesregierung gearbeitet – etwa für das Bundesentwicklungsministerium oder das Auswärtige Amt. Die Bundesregierung hatte ihnen zugesagt, sie in Deutschland aufzunehmen.
Ibrahim Noori ist einer von ihnen. Sein echter Name ist ein anderer. Aus Sicherheitsgründen möchte er anonym bleiben. Er habe elf Jahre lang für ein Polizei-Alphabetisierungs-Programm gearbeitet, das von der GIZ verwaltet wurde, erzählt er im ARD-Interview. Er habe in diesem Rahmen auch Menschenrechte, Gewalt gegen Frauen, Kinderrechte und Grundsätze der Demokratie unterrichtet.
Nach der Machtübernahme der Taliban seien er und seine Familie deswegen bedroht worden, hätten mehrfach fliehen müssen. Schließlich seien sie nach Pakistan gegangen, weil ihr Leben gefährdet gewesen sei. Außerdem hatten sie von der Bundesregierung Aufnahmezusagen nach dem Ortskräfteverfahren bekommen.
In Islamabad hätten sie mehrfach Interviews in der deutschen Botschaft durchgeführt, seien zuversichtlich gewesen, dass sie Visa bekommen würden. Doch dann kam Anfang Dezember die Absage.
„Sie haben uns keine weitere Erklärung gegeben, warum wir abgelehnt worden sind“, sagt Noori. „Das war der Moment, in dem ich zusammengebrochen bin – wirklich zusammengebrochen. Alle Hoffnungen, die ich hatte, wurden zerschlagen.“
Dobrindts Versprechen
Hoffnung gemacht hatte ihnen und anderen Ortskräften erst Ende November Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU). Hoffnung, dass sie sehr bald Visa bekommen würden, obwohl die schwarz-rote Koalition nur noch die Afghaninnen und Afghanen aufnehmen will, die eine verbindliche Aufnahmezusage haben, was auf Ortskräfte nach Auffassung der Bundesregierung nicht zutrifft.
An ihrer Aufnahme habe die Bundesregierung ein „politisches Interesse“, hatte Dobrindt gesagt. Etwas anderes gilt für Menschenrechtsaktivisten, Anwälten oder Journalisten, denen die Bundesregierung über die Menschenrechtsliste und das Überbrückungsprogramm eine Aufnahme zugesagt hatte.
„Ortskräfte sind für uns Personen, für die wir eine nachlaufende Verantwortung sehen.“ Einziger Vorbehalt, den der Minister machte: Es dürften keine Sicherheitsbedenken gegen eine Einreise sprechen.
Bundesregierung begründet nicht, woran Aufnahme scheitert
Dem Bundesinnenministerium zufolge wurden in den vergangenen Wochen die noch ausstehenden Verfahrensschritte für Personen in Pakistan aus dem Ortskräfteverfahren durchgeführt. „Die persönlichen Befragungen für diese Fälle sind noch nicht vollständig abgeschlossen.“
In jedem Stadium des Verfahrens könnten sich Erkenntnisse ergeben, die zu einer Aufhebung der Aufnahmezusagen führen können. Dies könnten sicherheitsrelevante Erkenntnisse sein. Aber auch: die Feststellung, dass eine Gefährdung nicht vorliege. Unter diesen zweiten Vorbehalt hatte der Innenminister sein Versprechen vergangene Woche nicht gestellt.
Ob die Aufnahme der betroffenen Ortskräfte nun an Sicherheitsbedenken scheitern soll oder ob es nachträglich Zweifel an der Gefährdung der Betroffenen gab, lässt die Bundesregierung im Dunkeln. Nicht nur Noori und seine Familie haben keine Begründung bekommen. Nachfragen dazu beantwortet das Innenministerium nicht. Auch das Auswärtige Amt und das Bundesentwicklungsministerium, in deren Zuständigkeit viele der Ortskräfte fallen, reagieren ausweichend.
Auch die Frage, wie viele Ortskräfte seit und trotz Dobrindts Versprechen Absagen bekommen haben, bleibt unbeantwortet. Das Auswärtige Amt ignoriert die Frage gänzlich, das Entwicklungsministerium zieht sich darauf zurück, dass es dazu „keine statistische Erfassung“ gebe.
Menschenrechtsbeauftragter: Nicht-Aufnahme „unmenschlich“
Deutlich hingegen wurde der Bundestagsabgeordnete Lars Castellucci (SPD), der Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung ist. Er sei dafür, nicht nur den Ortskräften, sondern allen rund 2.000 Afghaninnen und Afghanen mit Aufnahmezusage eine Einreise nach Deutschland zu ermöglichen: „Das ist eine kleine Gruppe, denen wir Zusagen gemacht haben, die seit vielen Jahren jetzt auf eine Aufnahme nach Deutschland warten. Es ist unmenschlich, ihnen jetzt einfach zu sagen, dass es nicht geht“, sagte er der ARD.
Es gebe eine „moralische Verpflichtung“ sie aufzunehmen, so Castellucci. Die Bundesregierung dürfe sich nicht „in Misskredit bringen”, indem sie Versprechen, die sie gegeben habe, am Ende nicht einhalte.
Er liegt damit allerdings nicht auf einer Linie mit seiner Fraktion, die mehrheitlich die Migrationspolitik des Innenministers unterstützt – auch in dieser Sache. Einen Antrag der Grünen im Bundestag von vergangener Woche, allen wartenden Afghaninnen und Afghanen mit Aufnahmezusage Visa zu erteilen, lehnten 110 von 120 SPD-Abgeordnete ab. Zehn stimmten nicht ab – darunter Castellucci.
Eilanträge gegen Auszug
Beim Verwaltungsgericht Berlin versuchen derweil mehrere Betroffene, ihren Auszug aus den GIZ-Gästehäusern aufzuschieben. Entschieden worden sei darüber noch nicht, nachdem das Auswärtige Amt mitgeteilt habe, dass die Betroffenen doch nicht ausziehen müssten, solange die Grenze zwischen Pakistan und Afghanistan zu sei, heißt es aus dem Gericht.
Seit Monaten kommt es immer wieder zu Gefechten zwischen Pakistan und Afghanistan. Die Grenzübergänge sind deshalb derzeit für einzelne Reisende geschlossen.
Die Bundesregierung hat den in Pakistan wartenden Menschen deshalb Anfang Dezember ein weiteres Angebot gemacht: Flugtickets von Islamabad nach Kabul. Wer das Angebot nicht annehme, könne doch noch in der Unterkunft bleiben – allerdings nur, bis der Grenzübergang Torkham wieder für einzelne Reisende geöffnet werde.
Wartenden könnte bald Abschiebung drohen
Noori und seine Familie haben keine anwaltliche Unterstützung. Sie fragen sich, wohin sie nun gehen sollen. „Wenn wir zurück nach Afghanistan gehen, weiß ich nicht, was für ein Schicksal uns erwartet.“ Für seine Frau ist eine Rückkehr unvorstellbar. „Ich kann nicht dorthin zurückkehren und als Lehrerin arbeiten. Wenn wir nach Afghanistan zurückkehren, fühle ich mich, als wären wir bereits tot.“
Die Frage ist auch, wie lange Pakistan ihren Aufenthalt im Land noch hinnehmen wird. Bereits im Sommer wurden zahlreiche Afghanen – auch solche mit deutschen Aufnahmezusagen – abgeschoben. Die Bundesregierung hatte daraufhin mit der pakistanischen Regierung verhandelt, dass dies bis Jahresende nicht mehr passiert.
Im Gegenzug sollte Deutschland seine Aufnahmeprogramme bis dahin abschließen. Nun zeichnet sich aber ab, dass das wohl nicht klappen wird. Eine Fristverlängerung mit Pakistan konnte dennoch nicht verhandelt werden. „Das ist eine Nach-Nachfrist. Wir haben keinerlei Anzeichen dafür, dass es irgendeine Art von Verlängerungsmöglichkeit gibt“, sagt ein Sprecher des Auswärtigen Amts.









