Stand: 29.10.2025 08:50 Uhr
Bundeskanzler Merz reist heute zum Antrittsbesuch in die Türkei. Zu besprechen gibt es viel – die Türkei ist in vielen Feldern ein wichtiger Partner. Misstöne sind nach Ansicht von Experten eher nicht zu erwarten.
„Die Beziehungen zu Deutschland sind für uns mit die wichtigsten“, stellt Gökhan Turan Ende September fest. Er ist türkischer Botschafter in Deutschland und kündigt damals den Besuch von Bundeskanzler Friedrich Merz in der Türkei an. Tatsächlich ist die EU größter Handelspartner der Türkei – und innerhalb der EU ist es Deutschland. Darauf werden Merz und der Präsident der Türkei, Recep Tayyip Erdoğan, aufbauen wollen.
Politikwissenschaftler: Misstöne sind nicht zu erwarten
Misstöne oder gar öffentlich geäußerte Kritik von Merz am Vorgehen der Türkei gegen die Oppositionspartei CHP und deren Präsidentschaftskandidaten Ekrem İmamoğlu seien nicht zu erwarten, sagt der Politikwissenschaftler an der Istanbuler Sabanci-Universität, Berk Esen, im ARD-Interview. Im Gegenteil: „Ich erwarte keine große Veränderung in den bilateralen Beziehungen. Und weil die SPD nicht mehr der größere Partner in der Koalitionsregierung ist, könnte die Kritik an den autokratischen Schritten der Regierung eher abnehmen.“
Was könnte Merz „im Gepäck“ haben?
Zumal die Türkei auch für Deutschland ein wichtiger Partner ist: In der NATO als Land an der Südostflanke etwa und wegen der Beziehungen der Türkei sowohl zu Russland als auch zur Ukraine. Und wohl auch wegen der Beziehungen der Türkei zu den Machthabern in Syrien. Deutschland möchte mehr Geflüchtete nach Syrien abschieben. Die Türkei könnte dabei eine wichtige Rolle spielen, heißt es in Berlin.
Für die Außenpolitikexpertin des Senders T24, Barçın Yinanç, bedeutet das unter dem Strich: Pragmatismus statt Kritik. „Natürlich ist die Inkonsequenz Europas eine große Enttäuschung. Die in der Vergangenheit so betonten und verteidigten europäischen Werte werden der Realpolitik geopfert“, sagt Yinanç.
Stattdessen rätseln türkische Journalisten, was Merz „im Gepäck“ haben könnte. Doch Angebote oder Zusagen sind nicht zu erwarten. Es ist ein Antrittsbesuch. Zudem müssen sich Merz und Erdogan erst einmal kennenlernen. In Deutschland heißt es in Unionskreisen, Erdogan und die Türkei seien für Merz bislang eine „Blackbox“. Einen Besuch im September vergangenen Jahres hatte Merz, damals noch Oppositionsführer, kurzfristig abgesagt. Neulich in Ägypten zur Feier des Friedensplans für Gaza sind sich Merz und Erdogan aber begegnet und haben sich freundlich begrüßt.
Große Themenpalette
Gleichwohl liegen die Themen auf der Hand. Neben Gaza und der weiteren türkischen Rolle dort dürfte es in den Gesprächen etwa um das europäische Rüstungs- und Verteidigungsprojekt SAFE gehen. Die EU stellt dafür 150 Milliarden Euro bereit. Davon möchte auch die Türkei profitieren. Deutschland könnte darauf drängen, das Land enger einzubinden. Auch weitere Visa-Erleichterungen stehen auf der türkischen Wunschliste – und natürlich die schon lange diskutierte Erweiterung der Zollunion, meint Politikwissenschaftler Esen: „Die Türkei drängt die EU zu neuen Verhandlungen und einer Erweiterung der Zollunion. Aber die EU bleibt seit vielen Jahren unverbindlich.“
Zur Sprache kommen könnte zudem das europäisch-türkische Flüchtlingsabkommen. Für die Türkei geht es dabei vor allem um Geld, sagt Esen. „Erdogan könnte ein Folgeabkommen anstreben, um von der EU einige finanzielle Zugeständnisse zu erhalten.“
Alles in allem dürfte es ein spannungsfreier Besuch werden – mit dem Ziel, die Beziehungen beider Länder zueinander weiter auszubauen – ganz so, wie es sich der türkische Botschafter in Deutschland, Turan, wünscht: „Ich hoffe, dass dieser Besuch einen positiven Beitrag leisten wird.“









