Erdsystemmodellierung Weltklima auf der Kippe?
Stand: 20.11.2025 08:56 Uhr
Auf der Weltklimakonferenz geht es darum, die Erderwärmung einzudämmen. Falls das nicht gelingt, könnten einige Bereiche dauerhaft geschädigt werden – etwa die Korallenriffe. So steht es im Global Tipping Points Report.
Weltweit hat die Konzentration des Treibhausgases Kohlendioxid in der Atmosphäre in diesem Jahr wieder neue Rekordwerte erreicht. Sie ist derzeit so hoch wie seit über 800.000 Jahren nicht und steigt rasch weiter: „Wir haben noch nie einen solch starken Anstieg der Konzentration von Kohlendioxid gesehen. Der Anstieg betrug 3,5 Parts per Million. Das ist der größte Anstieg seit wir Messungen haben. Und die haben auf dem Vulkan Mauna Loa auf Hawaii im Jahr 1957 begonnen“, sagt Oksana Tarsova, Klimaphysikerin bei der Weltmeteorologischen Organisation WMO in Genf.
1,5 Grad überschritten
2025 wird nach Angaben der WMO das dritt- oder zweitwärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen werden. Die globale Erwärmung dürfte zum Jahresende bei knapp unter 1,5 Grad liegen. Wird die Klimapolitik nicht deutlich intensiviert, steigen die Temperaturen bis 2100 aber um 2,8 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit.
Die in Paris 2015 einst beschlossene Höchstgrenze von weniger als anderthalb Grad wird nicht zu halten sein, meint UN-Generalsekretär António Guterres: „Eines steht fest: Wir werden nicht in der Lage sein, die globale Erwärmung in den nächsten Jahren unter 1,5 Grad zu halten. Über dieses Ziel hinaus zu schießen ist unvermeidbar.“ Das heißt nicht, dass die Erhöhung nicht eines Tages auch wieder geringer ausfallen kann, aber zunächst mal werden die Werte wohl die 1,5 Grad überschreiten. Eine der Folgen: zunehmende und schwer zu berechnende Instabilitäten im Erdsystem.
Erdsystem mit Kipppunkten
Auf der Weltklimakonferenz thematisiert der Frankfurter Klimaforscher Nico Wunderling zusammen mit anderen eine aktuelle Studie, die zeigt: Manche Entwicklungen im Erdsystem könnten nicht mehr umkehrbar sein. „Dadurch, dass wir jetzt eineinhalb Grad überschreiten werden, bringen wir entscheidende Kipppunkte des Erdsystems in Gefahr. Und das ist der Amazonas-Regenwald. Das ist der Golfstrom als Teil der atlantischen Umwälzzirkulation oder auch Eisschilde auf Grönland oder der Antarktis.“
Korallen nicht zu retten
Für viele Korallenriffe ist es wohl bereits zu spät. Der Kipppunkte-Report hält 1,2 Grad Erwärmung für die Grenze, die die empfindlichen riffbildenden Tierchen noch aushalten. Doch da liegen die globalen Temperaturen bereits darüber. Je nach dem wie warm es noch wird werden drei Viertel bis 99 Prozent der Korallen absterben.
Ein extremer Verlust für die Artenvielfalt der Meere. Und ein Existenzproblem für Millionen Menschen besonders in ärmeren Ländern der Tropen. Die intakten Riffe sind natürliche Barrieren gegen Stürme und Erosion, Fischerei und Tourismus liefern Lebensgrundlagen.
Süßwasser schwächt Golfstrom
Ein Problem bereiten auch die weltweit rasant abschmelzenden Gletscher, insbesondere die riesigen Flächen in Arktis und Grönland. Würde das Grönlandeis komplett abschmelzen, würde der Meerespiegel um sieben Meter steigen.
Das wird zwar lange dauern, aber bereits heute verdünnen die riesigen Süßwassermengen des Schmelzwassers das salzige Wasser im Atlantik. Und das hat Folgen: Das Wasser sinkt nicht mehr so stark ab, wichtige Strömungen wie die Mittelatlantische Umwälzströmung AMOC, zu der der Golfstrom gehört, schwächen sich ab und könnten eines Tages komplett versiegen.
Ein Kollaps der Meeresströmung ist viel wahrscheinlicher als bisher angenommen, sagt Physiker Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Klimaforscher aus den Niederlanden, Großbritannien und Deutschland haben eine Studie veröffentlicht, nach ihren Berechnungen könnte die Strömung schon in den kommenden zehn bis zwanzig Jahren so weit geschwächt, dass der Prozess unumkehrbar wird – und zwar weit bevor die Meereszirkulation im kommenden Jahrhundert ganz zusammenbrechen könnte.
Für Europa wäre das fatal. Denn als Teil der AMOC versorgt die gigantische „Wärmpumpe Golfstrom“ bislang Europa mit warmem Wasser aus der Karibik. Erdsystemforscher Nico Wunderling von der Uni Frankfurt erläutert: „Die neuesten Studien, die zeigen eigentlich, dass nach 2100 das Risiko für ein Kippen der AMOC, also ein Kippen des Golfstroms, noch mal deutlich zunimmt.“
Regenwald großflächig bedroht
Ein weiterer möglicher Kipppunkt im Erdsystem sind die – noch – riesigen Wälder Amazoniens. Zwar liegen dort die Entwaldungsraten dieses Jahr so niedrig wie selten, doch rund 18 Prozent Urwald fehlen bereits. Bald könnte ein Kipppunkt erreicht sein, wo dann auch der noch intakte Regenwald gefährdet ist.
Denn der Regenwald hat einen stark geschlossenen Wasserkreislauf. Das meiste Regenwasser verdunstet, bildet Wolken und regnet wieder ab. Sind aber die gerodeten Flächen zu groß, bricht dieser Kreislauf zusammen, weiß Wunderling: „Also beim Amazonas-Regenwald ist es ja so, dass globale Erwärmung und Abholzung zusammenwirken. Und die neuste Forschung eben im Global Tipping Points Report hat ergeben, dass 20 bis 25 Prozent an Abholzung im Amazonas-Regenwald zusammen mit 1,5 bis 2,0 Grad – vielleicht wenn wir Glück haben 2,5 Grad – zu großskaligen Veränderungen führen könnte.“
Emissionen wieder auf Null
Statt geschlossenem Regenwald entsteht nach Überschreiten des Kipppunkts vielleicht eine Savanne oder steppenartige Ödnis, das weiß keiner. Klar ist: Es wäre das Ende des – noch – größten tropischen Regenwalds der Welt.
Damit das nicht passiert, fordert Nico Wunderling wie viele andere Klimaforscher auch: „Wir müssen schauen, dass wir so schnell wie möglich die Emissionen auf Null kriegen und dann sogar negativ werden. Das heißt also, ein Überschreiten der 1,5 Grad müssen wir zum Ende des Jahrhunderts wieder auf unter 1,5 Grad zurück führen.“ Das wäre dann vielleicht gerade noch rechtzeitig, um Katastrophen ungeahnten Ausmaßes durch Überschreiten von Kipppunkten zu verhindern.










