Weltklimakonferenz Wo Deutschland bei den Klimazielen steht
Stand: 11.11.2025 11:42 Uhr
Deutschland will bis 2045 klimaneutral sein – so steht es im Gesetz. Gleichzeitig rutscht die Klimapolitik inmitten der Wirtschaftskrise immer weiter in den Hintergrund. Wo steht Deutschland aktuell?
CO2 kompensieren beim Fliegen, klimaneutrales Essen, Klima-Zertifikate für Firmen. „Klimaneutral“ als Begriff kann irreführend sein. Das zeigt eine Studie der Universität Göttingen. Zu oft wird er als Marketing-Trick verwendet.
Fakt ist aber: Deutschland hat sich verpflichtet, bis 2045 klimaneutral zu sein. So steht es im Gesetz. Aber was bedeutet das? Im Grunde ist eine Zahl entscheidend: die Null. Alle klimaschädlichen Emissionen, vor allem CO2-Emissionen aus der Verbrennung von Öl, Kohle und Gas, müssen runter. Die unvermeidbaren Rest-Emissionen sollen ausgeglichen werden – zum Beispiel durch Aufforstung. So will Deutschland unterm Strich bei null Emissionen herauskommen.
Net Zero: Was heißt Klimaneutralität?
Mit dem Begriff ist in der Regel Treibhausgasneutralität gemeint. Fast alle Staaten der Welt haben im Pariser Klimaabkommen beschlossen, die Emissionen klimaschädlicher Gase (v.a. CO2) so weit zu reduzieren, dass die Erderwärmung auf möglichst 1.5 Grad begrenzt wird. Gleichzeitig sollen der Atmosphäre aktiv Treibhausgase entzogen werden, zum Beispiel durch Speicherung von CO2 im Boden.
Klima oder Wirtschaft – wer gewinnt?
Eine Hürde auf dem Weg zur Klimaneutralität ist die wirtschaftliche Krise in Deutschland – die hohe Inflation, hohe Energiekosten und eine schwächelnde Produktion. Die Bundespolitik steht zunehmend vor einer Herausforderung: Wie sieht eine wirtschaftsfreundliche Klimapolitik aus?
Ökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat darauf eine klare Antwort. „Je schneller wir in Richtung Klimaneutralität voranschreiten, desto früher schaffen wir Vorteile für die Wirtschaft“, so Kemfert.
Das deckt sich mit den Studienergebnissen des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK). „Erneuerbare Energien und Elektrifizierung – das sind die großen Märkte der Zukunft“, sagt Gunnar Luderer. Er forscht am PIK zu Deutschland als Innovationsstandort. Um weiterhin ein erfolgreiches Industrieland zu sein, müsse Deutschland sich trauen, in Innovationen der Verkehrs- und Energiewende zu investieren.
Den größten Anteil der Emissionen macht die Energiewirtschaft aus, vor allem der Einsatz fossiler Brennstoffe zur Strom- und Wärmeproduktion. Das zeigen die aktuellen Zahlen des Umweltbundesamts. Ähnlich wichtig sind chemische Prozesse im Industriesektor sowie der Verkehrssektor. Zwei dieser Sektoren zeigen besonders gut, wo Deutschland aktuell auf dem Weg zur Null steht.
Beim Einsatz erneuerbarer Energien war Deutschland 2024 weltweit unter den Top Fünf. Bis 2030 sollen 80 Prozent des deutschen Stroms aus erneuerbaren Energien kommen – aus Forschersicht durchaus ein erreichbares Ziel. Wenn Deutschland ins Stromnetz investiere und seine Speichertechnologien ausbaue, so Kemfert vom DIW, werde der Strom durch erneuerbare Energien langfristig die günstigste Option.
Und das ist auch nötig: Klimafreundlicher Strom soll die fossilen Energieträger Öl, Kohle oder Gas ersetzen, also Wärmepumpen statt Gaskessel, Elektroautos statt Verbrennermotoren.
Sorgenkind Verkehrssektor
Genau diese Verbrennermotoren, die den Großteil der Emissionen im Verkehrssektor ausmachen, sind allerdings das Sorgenkind der deutschen Klimaziele. Seit 1990 verursachen Pkw und Lkw einen immer größeren Anteil der deutschen Emissionen. Durch den hohen Benzin- und Dieselverbrauch verfehlt der Straßenverkehr die aktuellen Emissionsziele.
Laut dem Umweltbundesamt liegt im Straßenverkehr großes Potenzial zur Veränderung: durch mehr ÖPNV, nachhaltige Kraftstoffe und Elektroautos. Selbst ohne Klimaschutz würde die Verkehrswende kommen, sagt auch Experte Luderer vom PIK. „Wir werden nahezu komplett auf Elektromobilität umsteigen, die Frage ist nicht mehr ob, sondern wann“. Der Grund: Elektroautos werden immer günstiger.
Aktuell sind laut Kraftfahrt-Bundesamt bereits 19 Prozent aller neu zugelassenen Autos in Deutschland reine Elektroautos. Mittlerweile ist das auch politischer Konsens. „Die Zukunft ist elektrisch“, sagte der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Alexander Schweitzer (SPD), Ende Oktober beim Treffen der Länderchefs. Dem International Council on Clean Transportation zufolge sind die Emissionen aus Produktion und Nutzung von E-Autos mittlerweile 73 Prozent niedriger als bei Verbrennerautos.
„Klimaneutralität ist bis 2045 machbar“
Aus den Berechnungen des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung sticht eine zentrale Erkenntnis hervor: Je früher Deutschland auf E-Mobilität, nachhaltige Industriezweige und Gebäude umstellt, desto besser kann sich die Wirtschaft entwickeln. Das hat laut Gunnar Luderer zwei zentrale Gründe: Zum einen brauchen Unternehmen Planbarkeit – und die Elektrifizierung setze sich gerade in Industrieländern durch. Zum anderen werden fossile Energien zunehmend knapper und teurer, während erneuerbare Energien günstiger werden: „Klimapolitik ist für diese Entwicklung letztlich nur eine Beschleunigung.“
Klimaneutralität bis 2045 ist nach Luderers Einschätzung möglich – und wohlgemerkt im Gesetz festgeschrieben. Um das Ziel zu erreichen, sind aber tiefe Umbrüche notwendig, vom Ausbau des Stromnetzes über private Heizungen bis zum E-Auto. Entscheidend ist aus Sicht der Klimaforscher, dass von den politischen Entscheidungen möglichst alle profitieren können – angefangen mit günstigem Strom und E-Autos.
