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BND, MAD und Verfassungsschutz Geheimdienstchefs warnen deutlich vor Russland
Stand: 13.10.2025 17:38 Uhr
Einmal im Jahr stellen sich die Chefs der drei deutschen Geheimdienste einer öffentlichen Befragung. Ihre Warnungen waren diesmal sehr deutlich. Deutschland stehe schon jetzt im Feuer.
„Wir dürfen uns nicht zurücklehnen und denken, ein russischer Angriff kommt frühestens 2029. Wir stehen schon jetzt im Feuer“, sagt Martin Jäger, seit Kurzem der neue Präsident des Bundesnachrichtendienstes. 2029 nennt Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius immer wieder als Zeitpunkt, zu dem Russland zu einem Angriff auf NATO-Gebiet in der Lage sei.
Dass das bereits früher der Fall sein könnte, diese Einschätzung können vielleicht nur wenige so hintergründig treffen wie Jäger. Er war zuvor als deutscher Botschafter in der Ukraine. Zwei Jahre und zwei Monate hat sein Einsatz dort gedauert. In der Zeit habe er mehr als 1.000 Luftalarme miterlebt und zahlreiche tatsächliche Luftangriffe, „wo Sie merken, wie die Wände wackeln, wenn eine Rakete einschlägt“, bemerkt er später an anderer Stelle.
Deutliche Warnungen vor Russland
Drei Geheimdienste gibt es in Deutschland: den Bundesnachrichtendienst BND mit dem noch taufrischen Präsidenten Jäger, das Bundesamt für Verfassungsschutz mit Präsident Sinan Selen, ebenfalls erst seit wenigen Wochen im Amt, und den Militärischen Abschirmdienst MAD mit Präsidentin Martina Rosenberg. Sie arbeitet bereits seit 2020 in dieser Position.
Verschwiegenheit gehört zum Job der drei, aber einmal im Jahr gibt es eine öffentliche Befragung durch das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr). Das PKGr gilt als das geheimste Gremium im Bundestag. Es tagt in abhörsicheren Räumen, ihre Handys müssen die ins Gremium gewählten Bundestagsabgeordneten vor den Treffen abgeben. Seine Aufgabe ist die parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste.
Bei den öffentlichen Befragungen werden keine Staatsgeheimnisse ausgeplaudert – aber wer den drei Präsidenten genau zuhört, erfährt einiges. Die Warnungen vor Russland sind mehr als deutlich.
„Neue Qualität der Konfrontation“
Sabotageversuche, Spionagedrohnen, Brandstiftung, generell Angriffe auf die kritische Infrastruktur vonseiten Russlands beschreibt Martina Rosenberg vom Militärischen Abschirmdienst. Der MAD ist unter anderem für den Schutz der Bundeswehr verantwortlich, zum Beispiel dafür, dass Soldatinnen und Soldaten nicht von ausländischen Agenten angeworben werden, die Bundeswehr nicht von Extremisten unterwandert wird. Man könne nicht beruhigt zur allgemeinen Tagesordnung übergehen, meint Rosenberg. Russland verbreite das Gefühl von Unsicherheit und Machtlosigkeit.
Sinan Selen vom Verfassungsschutz ergänzt: In der deutschen Bevölkerung sei noch nicht angekommen, wie massiv die russische Bedrohung mittlerweile sei. In ost- und nordeuropäischen Ländern sehe das ganz anders aus.
Dort sei auch der Bevölkerung klar, was Jäger vom BND formuliert: Er ist sich sicher, dass Russland „wenn nötig auch eine direkte militärische Auseinandersetzung mit der NATO nicht scheuen würde“. Russlands Handeln sei darauf angelegt, „die NATO zu unterminieren, europäische Demokratien zu destabilisieren, unsere Gesellschaften zu spalten und einzuschüchtern.“
Drohnen in fremden Lufträumen oder Auftragsmorde an Oppositionellen im Ausland nennt Jäger eine „neue Qualität der Konfrontation“. Auffallend ist, wie offen gerade Jäger klarere Konsequenzen fordert. „Es stellt sich hier tatsächlich für mich die Frage: Wollen wir diese Vorgänge, Ereignisse, diese Entwicklungen einfach weiter beobachten und verzeichnen oder kommen wir an einen Punkt, wo wir dann nicht doch mal aktive Gegenmaßnahmen ergreifen müssen?“
Sinan Selen bringt das so auf den Punkt: „Fakt ist: Es passiert, wir können es sehen und wir dürfen es nicht zulassen.“
Hamas in Deutschland?
Generell spielen gesellschaftliche Destabilisierungsversuche eine große Rolle bei der Befragung. Alle drei Geheimdienstchefs sehen auch nach der Freilassung der deutschen Geiseln in Gaza eine anhaltende Gefahr durch die Hamas und Antisemitismus in Deutschland. Auch der Friedensprozess in Gaza werde nicht dazu führen, dass die Gefährdung in Deutschland abnimmt, meint Selen.
Gerade in den sozialen Medien entfalte antisemitische Propaganda eine große Wirkung, insbesondere bei sehr jungen Nutzerinnen und Nutzern. Oft habe man es mit 12- bis 14-Jährigen zu tun, die sich sehr schnell radikalisierten. Der IS beispielsweise nutze dies stark, auch die Hamas.
Teilweise lägen gerade bei sehr jungen Menschen nur wenige Wochen oder Monate zwischen dem Erstkontakt mit extremistischen Inhalten „und dem Tatentschluss: Kaufe dir ein Messer und töte Ungläubige“, sagt Selen.
Jäger prognostiziert auch, dass die Hamas nach Europa ausweichen könnte, wenn sie aus Gaza verdrängt wird. Gerade in Deutschland sehe die Hamas ein Handlungsfeld.
Rechtsextremismus in der Bundeswehr
In der Bundeswehr hingegen sei ausländischer Extremismus eher selten, meint Rosenberg. Dort habe der Rechtsextremismus den größten Anteil. Trotz verstärkter Kontrollmaßnahmen seien die Zahlen rechtsextremistischer Vorfälle in der Bundeswehr „leider nicht“ zurückgegangen. „Aber sie sind zumindest konstant geblieben.“
Die Bundeswehr setze verstärkt auf Präventionsmaßnahmen, um das demokratische Wertebewusstsein zu festigen. Mit solchen Programmen habe man im vergangenen Jahr rund 11.000 Soldatinnen und Soldaten erreicht.
Auch Desinformationskampagnen spielten eine immer größere Rolle – mit dem Ziel, „Zweifel an der Stärke und der Einheit der NATO zu säen und die Moral der Soldatinnen und Soldaten und der Zivilbeschäftigten zu beeinträchtigen“, sagt die Chefin des MAD. Als Beispiel nannte sie den Einsatz von Deepfakes, also gefälschter, aber realistisch wirkender Videos und Fotos. Aber es gehe auch um gezielte Falschinformationen vor Wahlen, das sei in allen europäischen Ländern zu beobachten.
Geheimdienstchefs bitten um Unterstützung
Die drei Geheimdienstchefs bitten die Bundesregierung und Kanzler Friedrich Merz um rasche Gesetzesreformen. Die Dienste müssten in die Lage gebracht werden, der aktuellen Gefährdungslage angemessen begegnen zu können.
Merz hatte erst Mitte September angekündigt, dass die Nachrichtendienste mehr Geld erhalten werden. Zudem sagte er zu, „bessere rechtliche Rahmenbedingungen für die Nachrichtendienste“ zu schaffen. Reformvorschläge für Nachrichtendienst-Gesetze seien in verschiedenen Ministerien in Arbeit oder teils sogar schon vom Kabinett verabschiedet. Welche neuen Befugnisse sie erhalten werden und wie viel Geld fließen könnte, ist noch nicht öffentlich bekannt.