
Stand: 18.10.2025 13:58 Uhr
Mit einer Reform will die schwarz-rote Koalition härtere Sanktionen für Bürgergeld-Bezieher ermöglichen. Wirtschaftsforscher Fratzscher spricht von einem „populistischen Ablenkungsmanöver“. Auch ver.di-Chef Werneke übt Kritik.
Die Kritik an der Bürgergeld-Reform reißt nicht ab. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, kritisierte die von der Bundesregierung geplante Reform scharf. In der Neuen Osnabrücker Zeitung bezeichnete er das Vorhaben als „ein populistisches Ablenkungsmanöver“.
Er bezweifle, dass die Reform, mehr Menschen in Arbeit bringen werde. Es gebe nur sehr wenige Bürgergeld-Beziehende, die das System missbrauchten, sagte der Wirtschaftsforscher. Die meisten Bürgergeld-Empfänger hätten gesundheitliche Probleme oder keine Qualifikation. Dann helfe „auch die strengste Sanktion nicht dabei, sie in Arbeit zu bringen“. Es gehe der Bundesregierung darum, „vermeintlich Faule“ zu bestrafen, „damit der Rest der Bevölkerung sich besser fühlt“.
Auch Gewerkschaftschef ver.di, Frank Werneke, übte im Interview mit den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland Kritik: Die Reform könne „mehr Schaden anrichten als Nutzen bringen“. Er warnte davor, unverschuldet in Not geratene Menschen zu stigmatisieren. Das Reformvorhaben werde zulasten von Betroffenen, Beschäftigten in Jobcentern und Gerichten gehen, sagte Werneke. In den Jobcentern würden „künftig noch mehr Konflikte ausgetragen“ und die Gerichte würden „viele Verschärfungen wieder kassieren“.
Sozialverband befürchtet verschärfte Wohnungsnot
Auch der Sozialverband Deutschland kritisierte die Reform. Obwohl es an bezahlbarem Wohnraum fehle, solle es künftig möglich sein, die Mietkosten für Menschen im Sozialleistungsbezug komplett zu streichen. „Das finden wir verantwortungslos“, sagte Vorstandsvorsitzende Michaela Engelmeier in den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Es treffe nicht nur diejenigen, die mit dieser Maßnahme gerügt werden sollten, betonte Engelmeier. Menschen im Leistungsbezug dürften es grundsätzlich noch schwerer haben, eine Wohnung zu finden. „Denn auch die Vermieter wissen nun: Bürgergeld-Beziehenden eine Wohnung zu überlassen, birgt die Gefahr, dass das Amt die Miete womöglich nicht mehr bezahlt.“
Ministerium sieht keine „nennenswerten Einsparungen“
Am Freitag hatte das Arbeitsministerium einen ersten Entwurf für die Reform des Bürgergelds vorgelegt. Das Bürgergeld soll künftig „Grundsicherung für Arbeitssuchende“ heißen und im Laufe des kommenden Jahres in Kraft treten. Einer der Kernpunkte: Beziehende sollen früher und in größerem Umfang als bisher die Leistungen gekürzt werden, wenn sie Termine versäumen oder ein Jobangebot ablehnen. Bei mehrfachen Verstößen soll es sogar möglich sein, ihnen das Geld komplett zu streichen – inklusive der Zahlungen für Miete und Heizung.
Damit sollen vor allem Gelder eingespart werden. Die in dem Entwurf aufgeführten geschätzten Einsparungen sind jedoch erheblich niedriger als die zuvor von Bundeskanzler Friedrich Merz genannte Zielmarke. Im kommenden Jahr könnten mit dem Wechsel zur Grundsicherung 86 Millionen Euro eingespart werden, wie aus dem Gesetzentwurf hervorgeht, der dem ARD-Hauptstadtstudio vorliegt. 2027 werden die erwarteten Einsparungen derzeit auf 69 Millionen Euro geschätzt.
Dem gegenüber stehen die Gesamtausgaben des Bundes für das Bürgergeld. Sie lagen im vergangenen Jahr Angaben der Bundesagentur für Arbeit zufolge bei rund 47 Milliarden Euro. Die Einsparungen allein aufgrund der Gesetzesänderungen fallen daher kaum ins Gewicht.
Änderungen noch möglich
Laut Haushaltsentwurf für 2026 will das Arbeitsministerium beim bisherigen Bürgergeld dennoch 1,5 Milliarden Euro einsparen. Diese Summe soll auch dadurch zustandekommen, dass neue Geflüchtete aus der Ukraine nicht mehr unter das Bürgergeld fallen, sondern die geringeren Asylbewerberleistungen erhalten. Von Sparbeträgen in Milliardenhöhe dank der neuen Grundsicherung ist beim Ministerium jedoch keine Rede.
Änderungen am Entwurf sind noch möglich. Nach der regierungsinternen Abstimmung, Anhörungen von Verbänden und anderen Verfahrensschritten soll die Reform noch dieses Jahr vom Kabinett auf den Weg gebracht werden und geht dann ins parlamentarische Verfahren. Im Detail kann sich also noch einiges ändern.