analyse
Unruhe wegen Bürgergeld Das große Grummeln in der SPD
Stand: 31.10.2025 18:43 Uhr
In der SPD herrscht Unruhe. Teile der Basis haben ein Mitgliederbegehren gegen die Reformpläne beim Bürgergeld gestartet. Viele fordern ein schärferes sozialdemokratisches Profil. Hat die Parteispitze die Lage noch im Griff?
Es ist kein gutes Bild, das die SPD in diesen Tagen nach außen abgibt, sagen Beobachter, die sich seit Jahren mit der Partei beschäftigen. Eine von ihnen ist Andrea Römmele, Politikwissenschaftlerin an der Hertie School in Berlin: „Es ist ein Bild des großen Fragezeichens und ein Bild der Uneinigkeit.“
Die Sozialdemokraten haben in den vergangenen Wochen mehrmals Anlass gegeben, sich zu wundern. Bei verschiedenen Themen wirkt die Partei unsortiert. Zum Teil sendet sie widersprüchliche Signale. Beispiel Wehrdienst: Die Fraktionsspitze im Bundestag einigt sich kürzlich mit der Union auf ein Losverfahren für die Bundeswehr – der zuständige SPD-Verteidigungsminister Boris Pistorius und die Fraktion protestieren und kassieren das Ganze wieder ein.
Ablehnung von Bürgergeldreform
Beispiel Bürgergeld: Die SPD-Spitze einigt sich im Koalitionsausschuss Anfang Oktober mit der Union auf eine Reform. Teile der Basis haben nun ein Mitgliederbegehren gestartet, lehnen die von Bundesarbeitsministerin und SPD-Chefin Bärbel Bas angekündigten Sanktionen ab.
Alles kein Problem, kein Grund zur Aufregung – heißt es von der Parteispitze. Mit Blick auf das Mitgliederbegehren erklärt die stellvertretende Parteivorsitzende und saarländische Ministerpräsidentin, Anke Rehlinger, im ARD-Interview der Woche: Dass es in einer Partei wie der SPD, die wie keine andere für soziale Gerechtigkeit stehe, dazu eine Debatte gebe, sei nicht ungewöhnlich. „Ich respektiere, wenn einige unserer Mitglieder dazu eine andere Auffassung haben. Gleichwohl teile ich sie nicht.“
Erwartbare Diskussionen
Ähnliches ist aus dem Parteivorstand zu hören, zum Beispiel von Ronja Endres, SPD-Chefin in Bayern: „Es hat mich nicht überrascht, dass es so ein Mitgliederbegehren gibt.“ Eine größere Überraschung wäre gewesen, wenn es zu diesem Thema keine Diskussionen in der Partei gäbe.
Die Devise der Parteispitze lautet offenbar: Ruhe bewahren und Kurs halten – bei diesem und anderen Themen. Für steigende Nervosität sorgt bei vielen Genossen allein der Blick auf die Umfragen. Nach dem historisch schlechten Wahlergebnis von 16,4 Prozent bei der Bundestagswahl im Februar rutschte die SPD im ARD-DeutschlandTrend noch weiter ab – derzeit kommt sie auf 14 Prozent.
Stellvertretende SPD-Chefin beobachtet „Unwohlsein“
Die stellvertretende SPD-Chefin Rehlinger begründet die Unruhe in der Partei auch mit der zum Teil harten Auseinandersetzung mit dem Koalitionspartner, der Union. So seien viele Parteimitglieder verunsichert über Aussagen des Kanzlers und weiterer CDU- und CSU-Politiker, wonach der Sozialstaat in dieser Form nicht mehr finanzierbar sei. Rehlinger spricht von einem „Unwohlsein“ und „Störgefühl“.
Viele Sozialdemokraten hätten zum Beispiel mit Blick auf die Bürgergeldreform bei solchen Sätzen Sorge, „dass es nicht nur bei den beschlossenen Korrekturen bleiben soll, sondern dass eben andere noch anderes wollen“. Es wäre sinnvoll, nicht immer „noch Öl ins Feuer zu gießen“, appelliert Rehlinger an die Union. Und sie betont im ARD-Interview: Die SPD sitze nicht im Bremserhäuschen, „aber sie ist auch nicht auf einer Amokfahrt, wenn es darum geht, diesen Sozialstaat fit zu machen“.
Politikwissenschaftlerin: SPD hat ein Problem an der Spitze
Politikexpertin Andrea Römmele sieht das Problem für die wachsende Unruhe in der Partei in der SPD-Führung: Es „ruckle“ an der Spitze, sagt sie im Interview mit dem ARD-Hauptstadtstudio. „Es scheint eine gewisse Diskrepanz zwischen der Parteiführung bzw. der Koalitionsspitze und der parlamentarischen Fraktion sowie der Mitglieder zu geben.“ Sie vermisst den „Dreiklang“ der drei SPD-Machtzentren: Partei, Fraktion und Regierung.
Doch wer kann für diesen Dreiklang sorgen? Die beiden Parteivorsitzenden – Lars Klingbeil und Bärbel Bas – sind in ihren Ministerien und im Regierungsalltag gebunden und müssen mit dem Kanzler eng zusammenarbeiten. Der Chef der SPD-Bundestagsfraktion, Matthias Miersch, kann das bisher nicht ausgleichen.
In der Partei wünschen sich aber viele „klare Kante“ und ein „schärferes Profil“ – insbesondere mit Blick auf die Regierungskoalition. Ronja Endres aus dem Parteivorstand wünscht sich beispielsweise „mit sozialdemokratischen Projekten deutlich sichtbarer zu werden“. Die sozialdemokratische Handschrift müsse deutlicher werden.
„Man braucht eine Führungspersönlichkeit“
Politikwissenschaftlerin Römmele sagt: Die SPD brauche eine positive Erzählung, wie sie der wachsenden Ungleichheit im Land entgegentreten will. Dieses Narrativ brauche die Partei für die Basis, für die Wählerinnen und Wähler und „natürlich auch gegenüber der Union“. Sie rät, mutiger zu sein. Und: „Man braucht eine Führungspersönlichkeit, hinter der sich die Genossinnen und Genossen auch vereinen. Und das muss der Spitze gelingen.“
Dazu gehöre auch ein Bild von einer Partei, die wisse, was sie will und an einem Strang zieht. Sonst sei es kaum möglich, aus dem Umfragetief herauszukommen.









