Marode Infrastruktur Wo sind Deutschlands Problembrücken?
Stand: 07.10.2025 10:39 Uhr
Tausende Brücken im Land gelten als sanierungsbedürftig. Doch so genau weiß das niemand. Neue Ideen könnten helfen, die Bauwerke besser zu kontrollieren und schneller instand zu setzen.
Hauchdünn – nur so dick wie ein menschliches Haar – und transparent ist das Innere eines Glasfaserkabels. Kaum zu erkennen ist es, wenn es nicht von einer Schutzschicht umschlossen ist. Die äußeren Hüllen, die dem Kabel mal eine gelbe, mal eine blaue Farbe verleihen, machen es robust, biegsam und schützen es vor Feuchtigkeit oder Beschädigungen. So ummantelt sind die Kabel vielseitig einsetzbar, zum Beispiel an deutschen Brücken.
Dort können sie als Sensoren eingesetzt werden, die das Bauwerk überwachen. Dieses spezielle Monitoring-Verfahren haben Balthasar Novák, Professor an der Universität Stuttgart und sein Team entwickelt. Dafür machen sie es sich zunutze, dass ein Teil des Lichtes, das durch die Glasfaser geleitet wird, vom Material selbst zurückgestreut wird. Dieses zurückgestreute Licht erzeugt für jeden Abschnitt der Faser ein charakteristisches Muster.
Wird die Brücke nun belastet, etwa durch Verkehr, dann verändert sich auch das Muster. So lassen sich bereits kleinste Risse unter einem Millimeter Größe erkennen und genau lokalisieren – noch bevor das menschliche Auge sie überhaupt sehen kann. „Wenn man das jetzt auf ein Bauwerk aufgeklebt hat, dann besteht die Möglichkeit, dass man Schädigungen genau erkennen kann“, erklärt Balthasar Novák.
Verfahren in Pilotprojekten im Einsatz
Dieses Verfahren wird derzeit vor allem bei Pilotprojekten eingesetzt, an Brücken, die aufgrund von schon bekannten Mängeln besonders überwacht werden müssen. Für eine flächendeckende Nutzung ist das Verfahren laut Novák aber bisher nicht geeignet – zu groß die zu analysierende Datenmenge, die das Ergebnis der Messungen ist.
Bisher werden Brücken händisch geprüft: Alle sechs Jahre klettern Ingenieure für eine Hauptprüfung unter jede deutsche Brücke, um zu entschieden, ob sie sanierungsbedürftig ist oder nicht. Marco Schmidt ist seit 26 Jahren Prüfingenieur und führt diese standardisierten Prüfverfahren für Hessen Mobil durch. „Wir schauen, in welchem Zustand die Brücke ist und achten dabei speziell auf Risse und Hohlstellen“, erklärt er.
Nach der Prüfung gibt es die Note
Jedes Stück einer Brücke wird dabei geprüft. Abplatzungen, Hohlräume, Risse – all das ist entscheidend. So eine Brückenprüfung kann an einer Brücke wie der Neckarbrücke West in Hirschhorn bis zu einer Woche dauern. Am Ende bekommt jede Brücke eine Zustandsnote, ähnlich der Schulnoten. Die Skala reicht von 1,0 bis 4,0. Zuletzt hatte die Neckarbrücke West eine 2,0.
Je schlechter die Zustandsnote einer Brücke ist, desto dringender sind Sanierungen oder Erneuerungen. Dabei könnten aber auch schon fehlende Leitplanken, die die Tragfähigkeit einer Brücke nicht verschlechtern, zu schlechten Zustandsnoten führen, so Experte Schmidt. Die Noten allein sagen also nur wenig über den tatsächlichen Sanierungsbedarf aus.
Klare Aufgaben im Brückenmodernisierungsprogramm
Um diesen Bedarf zu ermitteln, werden neben der Zustandsnote auch etwa das Alter der Brücke, der Traglastindex und weitere Faktoren berücksichtigt. Sie entscheiden am Ende darüber, ob eine Brücke saniert, verstärkt oder ersetzt werden muss. Auf wie viele Brücken das hierzulande insgesamt zutrifft, weiß aber niemand so genau. Denn die Daten zu kommunalen Brücken werden bei keiner deutschen Behörde gesammelt erfasst, nicht einmal die Gesamtzahl aller deutschen Brücken ist zweifelsfrei bekannt. Es gibt lediglich Schätzungen, die besagen, dass es in Deutschland insgesamt rund 130.000 Brücken gibt.
Klarer ist die Datenlage immerhin bei den Bundesfernstraßen, für die das Bundesverkehrsministerium zuständig ist. Dort hat man sich bereits 2022 mit dem Zustand der Brücken auf Bundesfernstraßen beschäftigt. Fazit des sogenannten Brückenmodernisierungsprogramms: Alleine auf den wichtigsten Straßen des Autobahnnetzes müssen nach demnach in dieser Dekade rund 4.000 Brücken modernisiert werden. Dazu kommen rund 3.000 Brücken auf Bundesstraßen und weitere 1.000 Brücken auf Autobahnen, die außerhalb des Kernnetzes liegen.
Wie schlecht es um Deutschlands Autobahnbrücken bestellt ist, war also schon damals bekannt, es wurde im Brückenmodernisierungsprogramm sogar ein Arbeitsauftrag formuliert: Rund 400 Brücken sollen allein auf den Autobahnen jedes Jahr instandgesetzt werden. Ein Zwischenfazit, dass der Bundesrechnungshof im April dieses Jahres zog, verheißt für das Programm allerdings nichts Gutes. „Die Autobahn GmbH des Bundes (Autobahn GmbH) ist mit der Umsetzung des Brückenmodernisierungsprogrammes deutlich im Rückstand“, schreibt der Bundesrechnungshof.
Rahmedetal-Brücke als Blaupause?
Dabei gibt es Beispiele, die Hoffnung machen: Die Rahmedetal-Brücke in Lüdenscheid musste nach einer Prüfung 2021 sofort gesperrt werden, sie wurde kurz darauf gesprengt. Jetzt läuft der Neubau im Eiltempo, die Eröffnung der neuen Brücke steht wohl kurz bevor.
Auch weil dort vieles anders lief, als man es normalerweise aus Deutschland gewohnt ist: Mit parallelen und beschleunigten Genehmigungsverfahren und ohne Klage wurde der Wiederaufbau genehmigt. Denn die Brücke wurde zur Chefsache gemacht, der damalige Verkehrsminister Volker Wissing kümmerte sich höchstpersönlich um den Neubau. Entscheidend dafür war sicher die Bedeutung als wichtiger Verkehrsknotenpunkt zwischen Ruhr- und Rhein-Main-Gebiet, aber auch, dass jeder Monat ohne Brücke Stadt und Region rund 25 Millionen Euro kostete, wie das ifo-Institut schätzt.
Damit ist auch klar: Die Rahmedetal-Brücke dürfte wohl keine generelle Blaupause für Brückenbaustellen in Deutschland sein. Das sagt auch das Bundesverkehrsministerium auf plusminus-Anfrage: „Rahmede ist eine Ausnahmesituation. Gleichwohl zeigt das Projekt, dass schnelles Bauen möglich ist. […] Grundsätzlich sind Bauzeiten nicht beliebig verkürzbar. Eine starke Verkürzung ist häufig nur mit hohem Aufwand und damit mit deutlichen Mehrkosten möglich.“
2,5 Milliarden Euro für Autobahnbrücken
Die Kosten für den Erhalt der Brückenbauwerke in Bundesverantwortung waren auch bei den Verhandlungen um den Bundeshaushalt ein Thema. Im nun beschlossenen Haushalt für 2025 sind die Mittel im Kernhaushalt dafür ganz gestrichen und stattdessen in das Sondervermögen verschoben worden.
Über das Sondervermögen stellt der Bund nun 2,5 Milliarden Euro für die Erhaltung der Autobahnbrücken bereit – obwohl die Instandsetzung der Autobahnbrücken eigentlich eine Aufgabe ist, die aus dem Kernhaushalt finanziert werden müsste. Doch schon seit Jahren waren die Ausgaben dafür nicht mehr klar erkennbar, sondern unter dem Stichwort „Ingenieurbauwerke“ zusammengefasst. Nun gibt es also immerhin eine klare Summe.
Priorisieren ist wichtigste Aufgabe
Um das Geld auch sinnvoll ausgeben zu können, müsse man die Baustellen nun richtig priorisieren, sagt Brückenexperte Novák: „Wir wissen ziemlich gut, wo unsere Problembauwerke sind. Die gilt es jetzt schnell abzuarbeiten, und dafür müssen wir jetzt eine Reihenfolge finden.“
Daran, eine solche Reihenfolge schnell und leicht zu finden, arbeitet der Ingenieur Christian Ganz. Mit der Beratungsfirma Dress und Sommer hat er ein Brückenprognose-Tool entwickelt. Dieses sogenannte Erhaltungsmanagement hilft Städten, Kommunen und Ländern dabei, zunächst den Status quo zu ermitteln und dann eine langfristig Erhaltungsstrategie umzusetzen. So bekommen Städte und Kommunen also Empfehlungen, wie sie zum Beispiel Personal und Geld sinnvoll für die Brückeninstandhaltung einsetzen – und das ohne Verkehrskollaps.
„Jeder kleine Schaden wird über die Zeit zu einem großen. Dann ist der Aufwand höher und es wird mehr Geld gebraucht. Und das führt zu genau der Situation, die wir heute in Deutschland haben“, so Ganz. Oft würden auf Länderebene die Baustellen noch manuell gemanagt – eine Mammutaufgabe, so Ganz: „Das sind Tausende Bauwerke und die kann man nicht mehr manuell managen. Das funktioniert nicht. „Der Ingenieur arbeitet gerade in Frankfurt am Main an einer solchen Priorisierung. Und auch anderswo ist das Tool von Dress und Sommer schon im Einsatz, unter anderem auch in Nürnberg, Oberhausen und Baden-Württemberg.