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Stand: 07.11.2025 17:31 Uhr
In Großbritannien wird die Debatte über die Unterbringung Geflüchteter durch Falschinformationen befeuert. Klar ist, dass die Kosten für die Unterbringung massiv steigen werden.
In den sozialen Medien geht das Video eines Mannes viral, der sich als ehemaliger Mitarbeiter eines Hotels in der Grafschaft Norfolk im Osten Englands vorstellt, in dem Geflüchtete untergebracht wurden. Er behauptet, die Menschen bekämen kostenlos teure Smartphones auf Kosten der Steuerzahler zur Verfügung gestellt. Außerdem erhielten die dort untergebrachten Menschen 70 Pfund (umgerechnet ca. 80 Euro) pro Woche.
Das Video wurde mehrfach, teils in Auszügen, auf Facebook, TikTok und Instagram verbreitet. Allein auf dem Kurznachrichtendienst X hat ein Post zum Video mehr als eine Million Aufrufe. Behauptungen wie diese werden immer wieder in sozialen Medien über die Unterbringung von Asylbewerbern in Großbritannien verbreitet.
Falschbehauptung zu Smartphones
Allerdings sind mehrere Aussagen in dem Video missverständlich oder schlichtweg falsch – so etwa die Behauptung, Asylbewerber bekämen auf Staatskosten kostenlos teure Smartphones. So eine Leistung wird von staatlicher Seite nicht bereitgestellt. Allerdings gibt es teils private Initiativen, die gebrauchte Smartphones spenden.
Auch die Summe an Geld, die Geflüchteten in Hotels bereitgestellt wird, ist übertrieben. Tatsächlich bekommen sie nach Angaben der Regierung rund 50 Pfund die Woche als Selbstversorger oder knapp zehn Pfund pro Woche, wenn Mahlzeiten in der Unterkunft gestellt werden.
Teils werden noch höhere Summen, wie etwa 2.000 Pfund, in den sozialen Medien genannt, die Asylbewerber angeblich bekämen, um in Hotels einzuziehen. Das ist nicht korrekt, wie etwa der Stadtrat von Liverpool ausdrücklich festhielt.
In den sozialen Medien werden weitere Videos mit ähnlicher Stoßrichtung verbreitet, denen zufolge Geflüchtete in teuren Luxushotels untergebracht würden. Auch die Behauptung, dass dafür andere Gäste ausquartiert würden, findet Verbreitung.
Unterbringung in Hotels oft fragwürdig
Dabei gibt es zahlreiche Beispiele von Fällen, in denen die Unterbringung von Asylbewerbern in Hotels alles andere als luxuriös erscheint. So berichten Medien unter anderem von überfüllten Zimmern, in denen es kaum Privatsphäre gebe. Die BBC berichtet von mangelnder Hygiene, unter anderem von schmutzigen Matratzen, kaputten Sanitäreinrichtungen und abgelaufenen Nahrungsmitteln, die man dort an die Menschen ausgebe.
Zwar sind die Hotels eigentlich nicht als Dauerlösung gedacht, dennoch haben Menschen dort unter fragwürdigen Umständen teils schon mehrere Jahre verbracht, während über ihren Aufenthaltsstatus entschieden wird.
Dessen ungeachtet befeuern solche Behauptungen eine Debatte in Großbritannien, die schon längst nicht mehr nur in sozialen Medien ausgetragen wird. Schon seit Monaten finden landesweit immer wieder Proteste vor Hotels statt, in denen Asylbewerber untergebracht werden. In einschlägigen Facebook-Gruppen kursieren „Karten der Schande“, auf denen landesweit Hotels einzeichnet sind, in denen Geflüchtete untergebracht werden sollen.
Zuletzt Proteste in Southampton
So gab es am vorvergangenen Wochenende in der südenglischen Hafenstadt Southampton Proteste. Auch am vergangenen Wochenende versammelten sich dort laut Medienberichten mehrere hundert Menschen vor dem „Highfield House Hotel“, um gegen die Unterbringung von Asylbewerbern zu protestieren.
Aufgerufen zu der Demonstration hatte unter anderem eine Organisation namens „Southampton Patriots“. Unterstützt werden solche Proteste auch von bekannten rechtsextremen Aktivisten wie zum Beispiel Stephen Yaxley-Lennon, bekannt unter dem Namen Tommy Robinson. Yaxley-Lennon hatte auf X zur Teilnahme an der Demonstration aufgerufen.
Auch die rechtspopulistische Partei Reform UK beteiligt sich an der Stimmungsmache gegen die Hotelunterbringung von Asylbewerbern. Vertreter von Reform attackieren teils scharf die amtierende Labour-Regierung von Keir Starmer und werfen ihr vor, für die Unterbringung in Hotels verantwortlich zu sein.
Tatsächlich aber war diese Art der Unterbringung in Großbritannien bereits unter den Vorgänger-Regierungen der konservativen Tories insbesondere in der Pandemie massiv angestiegen, wie eine Untersuchung der Universität Oxford zeigt.
„Wohnen ist ein sehr emotionales Thema“
Warum verfängt das Thema Unterbringung von Geflüchteten offenbar so sehr? Professor Andrew Chadwick von der Abteilung Kommunikation und Medien an der Loughborough University forscht zu Desinformation in sozialen Medien. Einer der Gründe für den Erfolg von Falschbehauptungen zu dem Thema: „Wohnen ist ein sehr emotionales Thema.“
„Für Menschen gibt es kaum etwas emotionaleres als Essen und Unterbringung. Es ist eine sehr grundlegende Ebene, auf der dieses Thema zu den Menschen durchdringt.“ Ein Thema dabei sei das Gefühl von Ohnmacht gegenüber der Politik – und von einer Ungerechtigkeit.
Ein Gefühl, dass dabei dominiere: „Wenn ich es mir als Einzelperson nicht leisten kann, jede Woche meine Lebensmittel einzukaufen, und wenn dann rechtsextreme Aktivisten im Internet übertreiben, in welchem Ausmaß Geflüchtete versorgt werden, finden sie einen recht fruchtbaren Boden in einer bestimmten Gruppe der Gesellschaft.“
Narrative über Unterbringung erreicht auch Unpolitische
Narrative zu Themen wie Wohnen, Gesundheitsversorgung oder Schulen seien eng mit Fragen zur Einwanderung verknüpft, so Chadwick. Gleichzeitig seien sie im Alltag auf lokaler und kommunaler Ebene für viele Menschen von Bedeutung. So fänden bestimmte Narrative zu diesen Themen auch Anklang bei Menschen, die selbst nicht unbedingt mit einer bestimmten Partei oder Bewegung verbunden seien.
Wenngleich die Debatte mit teils missverständlichen, übertriebenen oder schlichtweg falschen Behauptungen befeuert wird, ist die Unterbringung von Asylbewerbern unbestritten sehr teuer für die britische Regierung. Das belegen Zahlen aus einem Bericht, den vor einigen Tagen der parlamentarische Innenausschuss veröffentlicht hat.
Kosten für Unterbringung werden massiv steigen
Daraus geht hervor, dass die Zahl der in Hotels untergebrachten Geflüchteten im Langzeitvergleich gesunken ist – von rund 56.000 im September 2023 auf rund 32.000 im Juni 2025. Gleichzeitig gehen die Autoren des Berichtes aber davon aus, dass sich die erwarteten Kosten für Verträge zur Unterbringung für den Zeitraum zwischen 2019 und 2029 verdreifachen werden – auf eine Summe von insgesamt rund 15 Milliarden Pfund (umgerechnet rund 17 Milliarden Euro).
Als Gründe dafür nennt der Bericht unter anderem die Corona-Pandemie, die steigende Zahl von so genannten „small boat arrivals“; also Flüchtlingsbooten, die über den Ärmelkanal nach Großbritannien kommen, und die Pläne der Vorgängerregierung, Menschen nach Ruanda abzuschieben.
Labour-Regierung will Unterbringung in Hotels beenden
Der Staat ist nach der UN-Menschenrechtskonvention dazu verpflichtet, geflüchteten Menschen eine Unterkunft zu stellen, während über ihren Asylantrag entschieden wird. Die Labour-Regierung von Premierminister Keir Starmer hat versprochen, bis spätestens 2029 keine Geflüchtete mehr in Hotels unterzubringen.
Zuletzt machte sie Schlagzeilen mit dem Vorschlag, künftig Asylbewerber statt in Hotels in militärischen Gebäuden unterzubringen. 2024 hatte das „National Audit Office“ des britischen Parlaments allerdings noch festgestellt, dass so eine Unterbringung voraussichtlich mehr Geld kosten würde als die Unterbringung in Hotels.









