Stand: 16.12.2025 10:14 Uhr
In den vergangenen Jahren sind die Lebensmittelpreise in Deutschland so stark gestiegen wie in kaum einem anderen Land Europas. Die Landwirte verdienen gleichzeitig immer weniger. Wie kann das sein?
Seit dem Ukrainekrieg sind die Lebensmittelpreise stark gestiegen und belasten viele Menschen zunehmend. Zugleich stehen Bäuerinnen und Bauern unter enormem Preisdruck. Viele bekommen nicht ausreichend Geld für ihre Produkte. In manchen Sparten werden Lebensmittel sogar teilweise unter den Produktionskosten verkauft. Ende 2023 kam es deshalb auch zu Bauernprotesten.
Die vorherige Bundesregierung beschloss, sich das einmal genauer anzuschauen. Und beauftragte daraufhin die Monopolkommission, diesen Zusammenhang zu untersuchen. Das Ergebnis: Ein wichtiger Faktor für die Probleme ist die wachsende Konzentration im Lebensmittelsektor, besonders im Handel. Die vier großen Ketten Edeka, Rewe, Aldi und die Schwarz-Gruppe (Lidl, Kaufland) kontrollieren über 85 Prozent des Marktes, wie das im November veröffentlichte Sondergutachten der Monopolkommission feststellt.
Starke Preisanstiege in Deutschland
Laut Tumaso Duso, Vorsitzender der Monopolkommission, ermöglicht die enorme Marktmacht auch eine zunehmende Preismacht. „Die Preise steigen hier schneller als in fast allen anderen europäischen Ländern. Bei Milcherzeugnissen sind sie zum Beispiel um 75 Prozentpunkte gestiegen.“ Das sei der stärkste Anstieg in ganz Europa. Laut einer Studie, die im Auftrag der EU-Kommission erstellt wurde, sind Grundnahrungsmittel in Deutschland vergleichsweise teuer und der Lebensmitteleinzelhandel (LEH) ist stärker konzentriert als etwa in Frankreich, Polen und Belgien.
Über 60 Prozent der Deutschen achten deshalb beim Einkauf von Lebensmitteln auf den Preis. Viele Kundinnen und Kunden äußern gegenüber Plusminus ihren Unmut, müssen sich stark einschränken. „Es ist auf jeden Fall teurer geworden. Richtig viel teurer“, sagt etwa eine alleinerziehende Mutter bei ihrem Einkauf in Berlin. Sie muss bei den Discountern zunehmend auf sogenannte „Rettertüten“ zurückgreifen. Dabei wird Obst und Gemüse, das bald abläuft oder beschädigt ist, für drei Euro angeboten. Anders könnte die Mutter es sich nicht mehr leisten, ihren Kindern regelmäßig Obst und Gemüse zu kaufen und so eine ausgewogene und gesunde Ernährung zu gewährleisten, sagt sie.
Steigen Gewinnmargen bei Einzelhändlern?
Steffen Vogel zeigt, dass wirtschaftlich Schwache in Deutschland besonders unter den Preisanstiegen leiden. Der Wissenschaftler von der NGO Oxfam hat sich mit den ansteigenden Preisen beschäftigt: „Aber wir sehen nicht, dass der Ukraine-Angriff den zum Teil exorbitanten Preisanstieg erklären könnte. Beispielsweise hat sich innerhalb von einem Monat Mineralwasser um fast 30 Prozent verteuert.“ In seiner Untersuchung stellte er fest, dass die Preise der Eigenmarken der Discounter besonders stark zugenommen haben. „Bei den günstigen Eigenmarken, also den Produkten der Supermärkte, sehen wir, dass die fast doppelt so stark gestiegen sind wie die Preise bekannter Markenhersteller.“
Auch die Monopolkommission sagt, dass die Gewinnmargen der Einzelhändler steigen. „Wir sehen, dass die Gewinne zunehmend bei den Lebensmittelherstellern und im Lebensmitteleinzelhandel hängen bleiben. Die Schere zwischen den Verbraucherpreisen im Supermarkt und den Preisen, die die Landwirtschaft für ihre Produkte erhält, geht immer weiter auseinander – vor allem in der Fleisch- und Milchwirtschaft“, sagt Duso von der Monopolkommission. Die vier Supermarktketten streiten das nach ARD-Anfrage ab. „Im harten Wettbewerb der Handelsunternehmen kann es sich kein Akteur leisten, seine Margen auf Kosten der Kundinnen und Kunden zu erhöhen“, sagt Björn Fromm, Präsident im Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels e.V.
Supermarktketten produzieren eigene Lebensmittel
Dabei weitet sich die Marktmacht der vier großen Einzelhandelsunternehmen auch auf die Sektoren der Lebensmittelherstellung aus. Zunehmend produzieren Aldi, Lidl und Co. auch ihre eigenen Lebensmittel. So ist Edeka inzwischen der größte Bäcker mit den meisten Filialen in Deutschland. Auch im Fleischsektor sind Akteure wie Aldi mit eigenen Schlachtereien aktiv. Die sogenannte „Vertikale-Integration“ im Lebensmittelsektor sieht Duso deshalb besonders kritisch.
Da sie die Marktmacht der Unternehmen noch weiter erhöhe: „Was in den letzten Jahren verstärkt dazugekommen ist, sind mehr und mehr Eigenmarken und eigene Produktionsstätten. Diese vier Einzelhändler, spielen jetzt auch eine bedeutende Rolle auf der Herstellerebene.“ Duso meint: Mit dieser zunehmenden Konzentration in der gesamten Wertschöpfungskette, also auf allen Stufen der Herstellung, können die Lebensmittelhersteller zunehmend die Preise bestimmen: ob nach oben oder nach unten.
Druck auf Milchbauern erhöht sich
Die Marktmacht der Discounter kann man dramatisch am Butterpreis erleben. Ein Stück Butter kostet aktuell 99 Cent und ist damit so billig wie seit acht Jahren nicht mehr. Das ist zwar gut für den Verbraucher, aber die Milchbauern leiden. Bei Kleve (Nordrhein-Westfalen) betreibt Bauer Elmar Hannen seine Landwirtschaft. Im letzten Jahr erzielte Milchbauer Hannen „auskömmliche Preise“ für seine Milch. Doch jetzt ziehen dunkle Wolken auf, wie er sagt. „Wir kommen von einem Niveau zwischen 50 und 55 Cent, und wenn er um 10 Cent sinkt, dann werden wir wieder unter die Produktionskosten rücken. Dann wird es für uns und unseren Betrieb echt schwierig.“
Im Durchschnitt beginnen Milchbauern in Deutschland, ab circa 57 Cent pro Liter Milch zu verdienen, so Branchenexperten. Nicht nur Hannen befürchtet, dass der Milchpreis in den nächsten drei Wochen weiter abstürzt, wenn Lidl, Aldi und Co. ihren Preiskampf fortsetzen. „Dann verlieren wir wieder viele Betriebe. Wir haben jetzt schon, dass die nächsten Generationen sagen: Wofür soll ich einsteigen?“
Dabei zeigen Beispiele in Frankreich und Spanien, dass es funktionieren kann. Dort schreibt der Gesetzgeber vor, dass es keine Verträge unter den Produktionskosten gibt. Dass solche Verträge bald auch in Deutschland gelten, ist allerdings zu bezweifeln. Beim letzten Treffen der Agrarminister in Brüssel hat der deutsche Agrarminister Alois Rainer (CSU) einen entsprechenden Vorschlag der EU-Kommission abgelehnt.









