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Schweden als Vorbild? Nur noch digital bezahlen – bis das Netz ausfällt
Stand: 25.10.2025 18:51 Uhr
In Schweden wird fast alles digital bezahlt. Scheine und Münzen? Fast verschwunden. Das ist bequem, hat aber auch Nachteile – nicht nur, wenn das Netz gestört ist.
Von Ann-Brit Bakkenbüll, ARD Stockholm
Die schwedische Gesellschaft ist weit fortgeschritten in Sachen Digitalisierung. Cash ist hier schon lange nicht mehr King. Für viele Schwedinnen und Schweden ist das bargeldlose Bezahlen bequem und zeitsparend. Doch die Entwicklung hat ihre Schattenseiten.
Bargeld verschwindet nicht nur zunehmend aus den Portemonnaies, sondern auch aus der Infrastruktur. Bankfilialen bieten immer seltener Ein- oder Auszahlungen an, Geldautomaten werden abgebaut, immer wenige Geschäfte akzeptieren Barzahlungen.
Inzwischen liegt der Anteil von Bargeldzahlungen in Schweden bei nur etwa einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Das bedeutet, dass nur rund ein Prozent aller Transaktionen und Geldbewegungen im Land noch bar abgewickelt wird – einer der niedrigsten Werte weltweit. Zusammen mit Norwegen gehört Schweden zu den Ländern mit dem geringsten Bargeldanteil.
Digitaler Fortschritt mit sozialem Preis
Während viele Bürgerinnen und Bürger das bargeldlose Bezahlen als praktischen Fortschritt empfinden, wächst die Sorge um soziale Gerechtigkeit und die Versorgungssicherheit. Initiativen wie Kontantupproret („Der Bargeld-Aufstand“) setzen sich für den Erhalt des Bargelds als gängige Bezahlalternative ein.
Björn Eriksson, Gründer der Organisation, warnt, dass ein Teil der Bevölkerung, der mit digitalen Zahlungsmitteln nicht umgehen könne oder wolle, durch die Entwicklung ausgegrenzt werde. Ein soziales Problem, wie er meint:
Du schließt Menschen aus, die damit Schwierigkeiten haben. Das können Menschen mit körperlichen Behinderungen sein, Frauen, die mit gewalttätigen Männern leben und deren Kontostand kontrolliert wird, Menschen, die damit einfach nicht zurechtkommen – viele Ältere oder solche, die auf dem Land leben, wo es keinen Empfang gibt.
Für ihn ist klar: In einer funktionierenden Gesellschaft muss es vielfältige Zahlungswege geben – Bargeld oder auch die Möglichkeit, offline mit Karte zu bezahlen. So habe der Kunde die Wahlfreiheit beim Bezahlen und niemand werde ausgeschlossen.
Verletzlichkeit digitaler Zahlungssysteme
Mit der fortschreitenden Digitalisierung des Zahlungssystems wachsen auch die Risiken. Die Gefahr von Cyberangriffen oder technischen Störungen hat deutlich zugenommen. Immer wieder werden einzelne Akteure im Zahlungsverkehr Ziel von Attacken oder Ausfällen.
Die schwedische Zentralbank stuft die Bedrohungslage für den Finanzsektor weiterhin als hoch ein, auch wegen der angespannten geopolitischen Lage. Zwar gilt das schwedische Finanzsystem als widerstandsfähig, doch muss es kontinuierlich weiterentwickelt werden, um auf neue Bedrohungen vorbereitet zu sein.
In solchen Krisensituationen zeige sich der Wert von Bargeld als Notfall-Backup, meint Elin Ritola von der Riksbank.
Bargeld funktioniert auch dann, wenn Strom oder Datenkommunikation ausfallen. Es ist weniger anfällig für Cyberangriffe und somit ein wichtiger Bestandteil der Sicherheitsarchitektur. Wir empfehlen, Bargeld für Lebensmittel oder Medikamente in einer Menge für etwa eine Woche zuhause vorzuhalten.
Auch das schwedische Verteidigungsministerium weist im Rahmen der nationalen Krisenvorsorge auf die Bedeutung von Bargeld hin – auch als Teil einer umfassenden Strategie zur Stärkung der zivilen Verteidigung. Das Ministerium empfiehlt, Bargeld als Teil der individuellen Notfallvorsorge bereitzuhalten, um handlungsfähig zu bleiben.
Wie die Bargeldinfrastruktur erhalten?
Die Versorgung mit Bargeld ist in Schweden längst zu einer politischen Frage geworden. Im Januar 2024 setzte die Regierung unter Ministerpräsident Ulf Kristersson die sogenannte „Cash Inquiry“ ein. Die Untersuchungskommission hatte den Auftrag, Vorschläge zu erarbeiten, wie die Bargeldinfrastruktur erhalten und an die veränderten Rahmenbedingungen angepasst werden kann.
Im vergangenen Dezember präsentierte die Kommission ihre Empfehlungen, darunter die Einführung einer Bargeldannahmepflicht für Geschäfte, die lebenswichtige Güter wie Lebensmittel und Medikamente verkaufen.
Zudem sollten, dem Bericht zufolge, Banken gesetzlich verpflichtet werden, flächendeckend Bargeldauszahlungen und -einzahlungen zu gewährleisten. So solle sichergestellt werden, dass Bargeld auch in ländlichen Regionen und in Krisenzeiten weiterhin nutzbar bleibt.
Mehr Druck auf die Banken?
Die schwedische Zentralbank unterstützt diese Vorschläge und fordert den Gesetzgeber schon länger zum Handeln auf, auch weil Banken von der Digitalisierung profitieren und wenig Interesse daran zeigten, die Bargeldversorgung flächendeckend aufrechtzuerhalten.
So habe die abnehmende Bargeldnutzung den Banken finanzielle Vorteile gebracht – laut eigenen Analysen in Höhe von rund drei Milliarden schwedischen Kronen. „Daher gibt es durchaus Grund, den Druck auf die Banken zu erhöhen“, mein Elin Ritola.
Im Ernstfall seien Menschen, die ausschließlich auf digitale Zahlungsmittel setzen, schnell abgeschnitten. Daher sei es nötig, bestehende Gesetze zu erweitern und die Bargeldnutzung verbindlich zu sichern.
E-Krone als Alternative
Vor diesem Hintergrund arbeitet die schwedische Zentralbank derzeit an der Entwicklung der E-Krone, eine digitale Form von Bargeld, die direkt bei der Zentralbank geführt wird. Sie soll Bargeld ergänzen, nicht ersetzen, und auch bei Strom- oder Internetausfällen als sicheres Zahlungsmittel funktionieren.
Vorteile sind die hohe Sicherheit durch Zentralbank-Backup, schnelle Zahlungen – auch offline – und besserer Datenschutz als bei vielen privaten Zahlungsdiensten. Die E-Krone wird derzeit in Pilotprojekten getestet. Ein Einführungstermin steht noch nicht fest.
Bargeld und der Notfall-Plan B
Auch wenn Bargeld im schwedischen Alltag fast unsichtbar geworden ist, bleibt es ein wichtiger Baustein der nationalen Sicherheitsarchitektur. Cyberrisiken, Stromausfälle oder technische Störungen zeigen, dass eine rein digitale Zahlungswelt verwundbar ist.
In Krisenzeiten ist Bargeld mehr als nur ein Zahlungsmittel – es ist ein Stück Resilienz. Vielleicht gewinnt es mit dieser Perspektive ein wenig königlichen Glanz zurück.
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