Stand: 17.12.2025 20:56 Uhr
Die Ukraine versucht zunehmend, Russland mit Angriffen im Landesinneren unter Druck zu setzen. Dafür wird auch die eigene Entwicklung von Drohnen und Raketen ausgebaut. Was bewirken die Luftangriffe bislang?
Die Maschinen laufen voll automatisiert. Es sind Wickelmaschinen, die einen Faden aus Kohlefaser um einen Rahmen aus Metall spannen, Schicht um Schicht. Was so entsteht, ist der Rumpf einer Langstreckendrohne mit einer Reichweite von weit mehr als 1.000 Kilometern.
„Der Faden wird mit gleichförmiger Spannung aufgezogen“, erklärt Iryna Terech, die technische Leiterin des Unternehmens Fire Point. Die Produktionsstätten, die sie zeigt, liegen tief unter der Erde. So sind sie von russischen Luftangriffen geschützt.
Die Automatisierung sei wichtig, um die Kampfdrohnen mit den Namen „FP-1“ und „FP-2“ in großer Stückzahl herstellen zu können, erklärt Terech.
Iryna Terech mit zwei Besuchern vor einem „Flamingo“-Marschflugkörper des Unternehmens Fire Point.
Fast täglich Drohnenangriffe auf Russland
Die Ukraine will Russland Paroli bieten im Luftkampf – und kommt diesem Ziel immer näher. Fast täglich bestätigt Moskau Angriffe mit Dutzenden Drohnen aus der Ukraine.
Nach russischer Darstellung werden diese meist erfolgreich bekämpft, aber Videoaufnahmen – von den Drohnen selbst, von Überwachungskameras oder von Hobbyfilmern – zeigen etwas anderes: Raffinerien, Treibstoffdepots, Ölterminals und zuletzt auch eine russische Bohrinsel im Kaspischen Meer werden getroffen und so in Brand gesetzt, wie die Aufnahmen zeigen.
Als Beispiel kann die Nacht auf Mittwoch dienen: Die Ukraine griff nach eigenen Angaben zum inzwischen zehnten Mal dieses Jahr die Raffinerie des Unternehmens Rosneft im russischen Rjasan an. Die Stadt liegt südöstlich von Moskau und mehr als 500 Kilometer von der Grenze zur Ukraine entfernt.
Weitere Ziele der Nacht waren eine Raffinerie im Gebiet Krasnodar im russischen Südwesten und ein Ölreservoir im Gebiet Rostow, etwas weiter nördlich.
Auswirkungen auf Russlands Wirtschaft
Die Einschläge werden zwar durch Videomaterial dokumentiert – wie groß der Schaden jeweils ist, lässt sich von außen aber schwer beurteilen. Die Raffinerie in Rjasan habe nach einem Angriff Mitte November ihren Betrieb bis Monatsende eingestellt, berichtete etwa die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf Quellen in Russland.
Reuters berichtete aber auch, die Ölverarbeitung in Russland sei 2025 im Jahresvergleich nur um drei Prozent zurückgegangen. Das Land verfüge über ungenutzte Kapazitäten, so die Agentur. Andere Schätzungen gehen von größeren Auswirkungen auf die russische Wirtschaft aus.
So berichtete die Agentur Bloomberg von einem Rückgang bei der Benzinproduktion in Russland um fast zehn Prozent zwischen Juni und Oktober – wegen der intensiveren ukrainischen Luftschläge. Im Jahresvergleich betrage der Rückgang fünf Prozent, so Bloomberg. Russland produziere so wenig Benzin wie seit fünf Jahren nicht mehr. Gleichzeitig steigt der russische Benzin-Import, unter anderem aus Belarus.
Private Videos zeigen, dass es in Russland spätestens seit August immer wieder in vielen Regionen zu einer Benzinknappheit kommt. Die Videos dokumentieren Schlangen an Tankstellen sowie teils geschlossene Tankstellen. Im Juli beschloss die russische Regierung, aus Angst vor Defiziten ein Exportverbot für Benzin. Dieses wurde nach Angaben des russischen Branchendienstes Naftorynok soeben bis Ende Februar 2026 verlängert.
Es gibt allerdings keine verlässlichen Angaben dazu, wie groß der wirtschaftliche Schaden für Russland wirklich ist. Der Sprecher der ukrainischen Armeeführung, Dmytro Lychowij, sagte vor kurzem bei einer Pressekonferenz, die Schäden, die die Ukraine mit Luftschlägen ins russische Hinterland anrichtet, gingen „in die Milliarden US-Dollar“. Sie seien um ein Vielfaches größer als die Summe, „die wir für die Drohnen ausgeben“, so Lychowij. Überprüfen lässt sich diese Angabe nicht.
Eigenentwicklung von Raketen
Neben Langstreckendrohnen entwickelt die Ukraine inzwischen auch Raketen. Gerade setzt sie die erste von ihr entwickelte ballistische Rakete vom Typ „Sapsan“ ein, mit einer Reichweite von 300 Kilometern. Ballistische Raketen haben eine elliptische Flugbahn. Sie steigen steil in große Höhen auf, um sich dann mit großer Geschwindigkeit fast senkrecht auf ihr Ziel zu stürzen.
Die Firma Fire Point hat auch den Marschflugkörper „Flamingo“ entwickelt. Er fliegt – wie eine Drohne – direkt über der Erdoberfläche, ist aber erheblich größer und kann viel mehr Sprengstoff mit sich führen.
Anders als in Russland sind in der Ukraine große Teile des Rüstungssektors privatwirtschaftlich organisiert. Fire Point ist ein privates Unternehmen, das vor allem für den Staat arbeitet. Im September kamen Korruptionsvorwürfe auf: Fire Point verkaufe seine Drohnen überteuert und erhalte Fördermittel, die nicht gerechtfertigt seien. Antikorruptionsbehörden ermittelten, bisher ohne abschließendes Ergebnis.
Die Unternehmensleitung widersprach den Vorwürfen, man unterstütze die Arbeit der Antikorruptionsbehörden. Fire Point reagierte auf die Vorwürfe damit, dass es den Verkaufspreis von rund 50.000 Dollar für eine Drohne offenlegte.
„Jede Neuerung Vorsprung von maximal halbem Jahr“
Iryna Terech, die technische Leiterin von Fire Point, ist eigentlich Architektin. Aber jetzt halte sie es für ihre Pflicht, in einem Rüstungsbetrieb zu arbeiten. „In meinem Verständnis muss eine Ukrainerin oder ein Ukrainer jetzt an der Front sein oder für die Front arbeiten“, sagt sie.
Ihre Langstreckendrohnen entwickelten die ukrainischen Rüstungsunternehmen ständig weiter – nach entsprechenden Erfahrungen bei ihrem Einsatz, erklärt Terech. Täglich fänden Probeflüge mit Drohnen statt, an denen Neuerungen ausprobiert werden.
Klar sei aber auch: Jede Neuerung bringe, wenn sie erfolgreich ist, einen Vorsprung von maximal einem halben Jahr. Dann habe der Gegner sich darauf eingestellt und sie womöglich für seine Waffen kopiert. „Die Waffen werden de facto von beiden Seiten gemeinsam verbessert“, sagt Terech: „Am Ende weiß keiner mehr, wer was vom anderen übernommen hat.“









