Sicherheitslage in Europa
Russland, die NATO und die Kriegsgefahr
Russlands Manöver „Sapad 2025“ wird von den NATO-Partnern genau beobachtet, vor allem nach den Drohnenvorfällen über Polen. Denn 2022 gingen russische Militärübungen dem Angriff auf die Ukraine voraus. Wie ernst ist die aktuelle Lage?
Das russisch-belarussische Militärmanöver „Sapad 2025“ löst vor allem bei den östlichen NATO-Staaten große Besorgnis aus, insbesondere nach den jüngsten Drohnenvorfällen über Polen. Die Übung, die alle vier Jahre stattfindet, könnte als potenzieller Test der Reaktionsfähigkeit der NATO genutzt werden.
Die NATO-Staaten und die Ukraine haben ihre Sicherheitsmaßnahmen verstärkt, da die Gefahr einer Eskalation als hoch eingeschätzt wird.
Inhalt
Warum löst das russische Militärmanöver „Sapad“ Sorge aus?
Militärmanöver sind an sich nichts Ungewöhnliches, so führt auch die NATO regelmäßige Übungsreihen durch. Zurzeit läuft beispielsweise die NATO-Übung „Quadriga“, die überwiegend im Ostseeraum und Baltikum stattfindet.
„Sapad 2025“ ist allerdings die erste gemeinsame Militärübung von Russland und Belarus auf belarussischem Staatsgebiet seit 2021. Analysten sagen, dass das Manöver „Sapad 2021“ den russischen Überfall auf die Ukraine vorbereitet habe. Russland griff die Ukraine am 24. Februar 2022 auch von belarussischem Staatsgebiet aus an. Dass Russland nun noch einmal von Belarus aus einmarschieren könnte, hält die Staatsführung in Kiew zwar für unwahrscheinlich.
Militärexperten vermuten aber, dass „Sapad 2025“ als Ablenkungsmanöver genutzt werden könnte, damit die Ukraine ihre Truppen von den Frontabschnitten im Osten ihres Landes abzieht – wo Russland zurzeit sehr stark angreift.
Vor allem diene das Manöver dazu, die westlichen Partner einzuschüchtern, heißt es in Kiew. Deshalb habe die belarussische Militärführung angekündigt, auch den Einsatz von Atomwaffen und neuen Mittelstreckenraketen zu üben. Belarus spielt eine entscheidende Rolle als quasi-militärisches Testgelände Russlands. Der Kreml kontrolliert auch die Atomwaffen auf belarussischem Gebiet.
Wie bewerten Experten den Drohnenangriff in Polen?
Experten und führende Politiker bewerten den Drohnenangriff in Polen übereinstimmend als gezielte russische Provokation und einen Test der NATO-Reaktionsfähigkeit, nicht als Zufall oder Versehen. Insbesondere werde getestet, wie sich die USA gegenüber der NATO-Bündnisverpflichtung verhielten, sagt die Sicherheitsexpertin Claudia Major.
Ein Teil der Drohnen zielte anscheinend auf den Flughafen Reschov. Das ist ein großer Umschlagpunkt für die Ukrainehilfe. Das sei natürlich eine Bedrohung, so Major. Einige der Drohnen sind bis ins Landesinnere Polens gelangt und ein Haus in der Region Lublin soll zerstört worden sein, berichtet Dlf-Korrespondent Peter Sawicki.
Manche Militärexperten sehen den Vorfall auch als Teil eines ohnehin schon laufenden „hybriden Krieges“ Russlands gegen den Westen insgesamt. Zu dieser Grauzone zwischen Krieg und Frieden gehört auch die Bedrohung kritischer Infrastruktur, Überflüge von Drohnen über Militäreinrichtungen oder verändertes, aggressiveres Verhalten russischer Einheiten auf See.
Polen hat aufgrund des Angriffs eine Sondersitzung nach Artikel 4 der NATO in Kraft gesetzt. Zuletzt wurde Artikel 4 nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine ausgelöst, von Bulgarien, Tschechien, Estland, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien und der Slowakei.
Was besagt Artikel 4 der NATO?
Die NATO ist ein Militärbündnis, das aktiv wird, wenn ein Mitglied sie anruft. Artikel 4 des NATO-Vertrags erlaubt es, die Partner im Falle einer kritischen Lage zügig zusammenzurufen. Wörtlich heißt in Artikel 4:
„Die Vertragsparteien konsultieren einander, wenn nach Auffassung einer von ihnen die territoriale Unversehrtheit, die politische Unabhängigkeit oder die Sicherheit einer der Vertragsparteien bedroht ist.“
Verteidigungsminister Boris Pistorius hat das Auslösen von Artikel 4 der NATO durch Polen ausdrücklich unterstützt. Die NATO werde sich „besonnen und nicht eskalierend“ verhalten, sagte er. Der deutlich schärfere Artikel 5, der nicht nur Konsultationen, sondern militärische Unterstützung vorsieht, sei nicht ausgelöst worden. Schließlich habe es sich bei den Drohnenvorfällen zwar um eine Attacke auf den Luftraum gehandelt, nicht aber um einen Angriff im militärischen Sinne, so Pistorius.
Wie hoch schätzen Experten die Bedrohungslage aus Russland ein?
Polens Ministerpräsident Donald Tusk warnte nach dem Drohnenangriff, sein Land stehe einem offenen Konflikt mit Russland näher als jemals zuvor seit dem Zweiten Weltkrieg und sei in höchster Alarmbereitschaft. Polen hat – auch wegen des Militärmanövers „Sapad 2025“ – seine Grenze zu Belarus geschlossen und Tausende Soldaten dorthin geschickt.
Die Sicherheitsexpertin Claudia Major betont, dass Russland eine Strategie der ständigen Provokation, des Testens von Grenzen und der hybriden Kriegsführung verfolgt. Moskaus Ziel sei es, die europäische Einheit zu schwächen, sagt auch Christian Mölling von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.
Mit der Schattenflotte beispielsweise beschädige Russland die kritische Infrastruktur europäischer Staaten, etwa Seekabel in der Ostsee, erkunde mit Drohnenüberflügen die Einrichtungen kritischer und militärischer Infrastruktur und verbreite Desinformation, so Major.
Als Reaktion hat die deutsche Bundesregierung am 10. September einen Gesetzentwurf verabschiedet, um das Land besser gegen Sabotage, Terroranschläge und Naturkatastrophen zu schützen.
Nach Geheimdienstinformationen wäre Russland spätestens ab 2029 bereit, „Unfug zu machen“, sagt Jan Christian Kaack, Inspekteur der Deutschen Marine. Europäische Geheimdienste warnten im März diesen Jahres davor, Russland schaffe die Voraussetzungen, um einen „großmaßstäblichen konventionellen Krieg“ zu führen. „Das wollen wir verhindern, indem wir verteidigungsbereit und abschreckungsfähig sind“, so Kaack.
Welchen Zweck verfolgt die NATO mit ihren Manövern?
Bei Militärmanövern wird der Ernstfall der Landes- und Bündnisverteidigung geprobt. Die jährlich stattfindende Übung „Quadriga“ wird von der Bundeswehr gemeinsam mit Streitkräften aus 13 weiteren Nationen in der Ostsee und im Baltikum durchgeführt.
Die baltischen Staaten gelten als Achillesferse des Bündnisses. Durch ihre geografische Lage könnten sie leicht vom Rest des NATO-Territoriums abgeschnitten werden. Die NATO hat als Reaktion auf den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ihre Ostflanke im Baltikum mit Soldaten und Waffen verstärkt.
Die NATO-Manöver dienten vor allem zwei Dingen, sagt Marine-Inspekteur Jan Christian Kaack. Der Abschreckung eines möglichen Gegners, damit er „keinen Unsinn im Osten unseres Bündnisgebietes macht“ und der Versicherung der Partner, dass Deutschland für das Versprechen der NATO einsteht: „Einer für alle und alle für einen“. Inzwischen sind alle Ostsee-Anrainerstaaten NATO-Partner – außer Russland.
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Sicherheitslage in Europa
Russland, die NATO und die Kriegsgefahr
Russlands Manöver „Sapad 2025“ wird von den NATO-Partnern genau beobachtet, vor allem nach den Drohnenvorfällen über Polen. Denn 2022 gingen russische Militärübungen dem Angriff auf die Ukraine voraus. Wie ernst ist die aktuelle Lage?
Das russisch-belarussische Militärmanöver „Sapad 2025“ löst vor allem bei den östlichen NATO-Staaten große Besorgnis aus, insbesondere nach den jüngsten Drohnenvorfällen über Polen. Die Übung, die alle vier Jahre stattfindet, könnte als potenzieller Test der Reaktionsfähigkeit der NATO genutzt werden.
Die NATO-Staaten und die Ukraine haben ihre Sicherheitsmaßnahmen verstärkt, da die Gefahr einer Eskalation als hoch eingeschätzt wird.
Inhalt
Warum löst das russische Militärmanöver „Sapad“ Sorge aus?
Militärmanöver sind an sich nichts Ungewöhnliches, so führt auch die NATO regelmäßige Übungsreihen durch. Zurzeit läuft beispielsweise die NATO-Übung „Quadriga“, die überwiegend im Ostseeraum und Baltikum stattfindet.
„Sapad 2025“ ist allerdings die erste gemeinsame Militärübung von Russland und Belarus auf belarussischem Staatsgebiet seit 2021. Analysten sagen, dass das Manöver „Sapad 2021“ den russischen Überfall auf die Ukraine vorbereitet habe. Russland griff die Ukraine am 24. Februar 2022 auch von belarussischem Staatsgebiet aus an. Dass Russland nun noch einmal von Belarus aus einmarschieren könnte, hält die Staatsführung in Kiew zwar für unwahrscheinlich.
Militärexperten vermuten aber, dass „Sapad 2025“ als Ablenkungsmanöver genutzt werden könnte, damit die Ukraine ihre Truppen von den Frontabschnitten im Osten ihres Landes abzieht – wo Russland zurzeit sehr stark angreift.
Vor allem diene das Manöver dazu, die westlichen Partner einzuschüchtern, heißt es in Kiew. Deshalb habe die belarussische Militärführung angekündigt, auch den Einsatz von Atomwaffen und neuen Mittelstreckenraketen zu üben. Belarus spielt eine entscheidende Rolle als quasi-militärisches Testgelände Russlands. Der Kreml kontrolliert auch die Atomwaffen auf belarussischem Gebiet.
Wie bewerten Experten den Drohnenangriff in Polen?
Experten und führende Politiker bewerten den Drohnenangriff in Polen übereinstimmend als gezielte russische Provokation und einen Test der NATO-Reaktionsfähigkeit, nicht als Zufall oder Versehen. Insbesondere werde getestet, wie sich die USA gegenüber der NATO-Bündnisverpflichtung verhielten, sagt die Sicherheitsexpertin Claudia Major.
Ein Teil der Drohnen zielte anscheinend auf den Flughafen Reschov. Das ist ein großer Umschlagpunkt für die Ukrainehilfe. Das sei natürlich eine Bedrohung, so Major. Einige der Drohnen sind bis ins Landesinnere Polens gelangt und ein Haus in der Region Lublin soll zerstört worden sein, berichtet Dlf-Korrespondent Peter Sawicki.
Manche Militärexperten sehen den Vorfall auch als Teil eines ohnehin schon laufenden „hybriden Krieges“ Russlands gegen den Westen insgesamt. Zu dieser Grauzone zwischen Krieg und Frieden gehört auch die Bedrohung kritischer Infrastruktur, Überflüge von Drohnen über Militäreinrichtungen oder verändertes, aggressiveres Verhalten russischer Einheiten auf See.
Polen hat aufgrund des Angriffs eine Sondersitzung nach Artikel 4 der NATO in Kraft gesetzt. Zuletzt wurde Artikel 4 nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine ausgelöst, von Bulgarien, Tschechien, Estland, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien und der Slowakei.
Was besagt Artikel 4 der NATO?
Die NATO ist ein Militärbündnis, das aktiv wird, wenn ein Mitglied sie anruft. Artikel 4 des NATO-Vertrags erlaubt es, die Partner im Falle einer kritischen Lage zügig zusammenzurufen. Wörtlich heißt in Artikel 4:
„Die Vertragsparteien konsultieren einander, wenn nach Auffassung einer von ihnen die territoriale Unversehrtheit, die politische Unabhängigkeit oder die Sicherheit einer der Vertragsparteien bedroht ist.“
Verteidigungsminister Boris Pistorius hat das Auslösen von Artikel 4 der NATO durch Polen ausdrücklich unterstützt. Die NATO werde sich „besonnen und nicht eskalierend“ verhalten, sagte er. Der deutlich schärfere Artikel 5, der nicht nur Konsultationen, sondern militärische Unterstützung vorsieht, sei nicht ausgelöst worden. Schließlich habe es sich bei den Drohnenvorfällen zwar um eine Attacke auf den Luftraum gehandelt, nicht aber um einen Angriff im militärischen Sinne, so Pistorius.
Wie hoch schätzen Experten die Bedrohungslage aus Russland ein?
Polens Ministerpräsident Donald Tusk warnte nach dem Drohnenangriff, sein Land stehe einem offenen Konflikt mit Russland näher als jemals zuvor seit dem Zweiten Weltkrieg und sei in höchster Alarmbereitschaft. Polen hat – auch wegen des Militärmanövers „Sapad 2025“ – seine Grenze zu Belarus geschlossen und Tausende Soldaten dorthin geschickt.
Die Sicherheitsexpertin Claudia Major betont, dass Russland eine Strategie der ständigen Provokation, des Testens von Grenzen und der hybriden Kriegsführung verfolgt. Moskaus Ziel sei es, die europäische Einheit zu schwächen, sagt auch Christian Mölling von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.
Mit der Schattenflotte beispielsweise beschädige Russland die kritische Infrastruktur europäischer Staaten, etwa Seekabel in der Ostsee, erkunde mit Drohnenüberflügen die Einrichtungen kritischer und militärischer Infrastruktur und verbreite Desinformation, so Major.
Als Reaktion hat die deutsche Bundesregierung am 10. September einen Gesetzentwurf verabschiedet, um das Land besser gegen Sabotage, Terroranschläge und Naturkatastrophen zu schützen.
Nach Geheimdienstinformationen wäre Russland spätestens ab 2029 bereit, „Unfug zu machen“, sagt Jan Christian Kaack, Inspekteur der Deutschen Marine. Europäische Geheimdienste warnten im März diesen Jahres davor, Russland schaffe die Voraussetzungen, um einen „großmaßstäblichen konventionellen Krieg“ zu führen. „Das wollen wir verhindern, indem wir verteidigungsbereit und abschreckungsfähig sind“, so Kaack.
Welchen Zweck verfolgt die NATO mit ihren Manövern?
Bei Militärmanövern wird der Ernstfall der Landes- und Bündnisverteidigung geprobt. Die jährlich stattfindende Übung „Quadriga“ wird von der Bundeswehr gemeinsam mit Streitkräften aus 13 weiteren Nationen in der Ostsee und im Baltikum durchgeführt.
Die baltischen Staaten gelten als Achillesferse des Bündnisses. Durch ihre geografische Lage könnten sie leicht vom Rest des NATO-Territoriums abgeschnitten werden. Die NATO hat als Reaktion auf den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ihre Ostflanke im Baltikum mit Soldaten und Waffen verstärkt.
Die NATO-Manöver dienten vor allem zwei Dingen, sagt Marine-Inspekteur Jan Christian Kaack. Der Abschreckung eines möglichen Gegners, damit er „keinen Unsinn im Osten unseres Bündnisgebietes macht“ und der Versicherung der Partner, dass Deutschland für das Versprechen der NATO einsteht: „Einer für alle und alle für einen“. Inzwischen sind alle Ostsee-Anrainerstaaten NATO-Partner – außer Russland.
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