Finanzprodukte mit „Hebel“ Was bei riskanter Geldanlage zu bedenken ist
Stand: 31.10.2025 18:51 Uhr
Immer mehr Menschen in Deutschland handeln mit Derivaten. Dabei reichen oft nur ein paar Euro, um große Mengen zu bewegen und enorme Gewinne oder Verluste zu verzeichnen.
Der Handel mit riskanten Finanzprodukten wie Optionen, Hebelzertifikaten und CFDs nimmt zu – bundesweit investiert laut Zahlen der Aufsichtsbehörde BaFin mittlerweile etwa jeder fünfte Anleger in spekulative Wertpapiere. Während klassische Anlagen wie ETFs und Anleihen jährlich vergleichsweise stabile Renditen erzielen und als relativ risikoarm gelten, lockt die Aussicht auf schnelle, hohe Gewinne viele Anleger in die Welt der Derivate.
Das Wort Derivate kommt vom lateinischen „derivare“ und bedeutet „ableiten“. Ein Derivat ist ein Termingeschäft, das sich auf einen bestimmten Basiswert bezieht. Der Kurs eines Derivats hängt immer direkt von diesem Basiswert ab. Solche Basiswerte können ganz verschieden sein: Aktien, Rohstoffe, Edelmetalle oder seit einiger Zeit sogar Kryptowährungen.
Derivate – in der Regel sind es Zertifikate oder Optionsscheine – sind eine eigene Produktklasse. Sie sind quasi eine Vereinbarung über den Wert eines bestimmten Wertpapieres. „Solche Produkte sind eher für Investoren, die die Absicht haben, mit wenig Einsatz auf einem kurzen Zeithorizont möglichst viel und möglichst schnell Geld zu verdienen“, erklärt Professor Olaf Stotz von der Frankfurt School of Finance and Management im ARD-Finanzformat 50k auf YouTube.
Wetten auf die Zukunft
Es gibt unterschiedliche Einzelprodukte, die zur Klasse der Derivate gehören. Das sind zum Beispiel Optionen. Die funktionieren so, dass der Investor mit seinem Broker einen Vertrag über den Preis einer bestimmten Aktie – das ist der Basiswert – in der Zukunft abschließt. Dabei vereinbart man entweder eine Kaufoption – Call – oder eine Verkaufsoption – Put genannt. Wenn der vereinbarte Zeitpunkt erreicht ist, hat der Investor das Recht, die Option einzulösen, muss dies aber nicht tun. Für dieses Recht zahlt der Investor die Optionsprämie an den Broker.
Neben Optionen gibt es außerdem CFDs, sogenannte „Contracts for Difference“. Zu Deutsch sind das Differenzkontrakte. Damit können Anleger auf Kursveränderungen spekulieren. Man wettet also auf die Zukunft und sagt zum Beispiel steigende Kurse voraus. Steigt der Kurs auch tatsächlich, schuldet der Broker dem Anleger Geld. Fällt der Kurs aber stattdessen, schuldet der Anleger dem Broker Geld.
Hebel vervielfachen die Kursbewegung
Schon kleine Kursbewegungen können hier große Gewinne oder Verluste auslösen. Grund dafür sind die Hebel. Der Hebel ist ein Multiplikator, den der Anleger vorher auswählt und der den Effekt der Kursbewegung multipliziert und damit die Position um den Faktor vergrößert. Steigt der Wert also beispielsweise um zwei Prozent, verändert sich die Position eines Anlegers mit Zehner Hebel um 20 Prozent.
In Deutschland gibt es für solche Hebel strenge Regeln: Für Privatanleger ist maximal ein 30er-Hebel erlaubt. Und seit 2017 gibt es auch keine Nachschusspflicht mehr. Das heißt: Drohende Verluste müssen nicht mehr mit zusätzlichem Geld ausgeglichen werden. Die BaFin sagt, das Risiko für Anleger wäre sonst einfach viel zu hoch.
Außerdem gehören noch Hebelzertifikate oder Turbo-Zertifikate zu den Derivaten. Diese sind vor allem bei aktiven Tradern beliebt. Dabei setzen Anleger entweder auf steigende Kurse – das nennt man long – oder auf fallende Kurse – das nennt man short. Besonders heikel ist hier die sogenannte Knock-Out-Schwelle: Wird dieser vorher festgelegte Wert erreicht, ist das Zertifikat sofort wertlos.
Hohes Verlustrisiko
Derivate gehören zu den riskanten Anlageformen. Deshalb wird häufig von ihnen abgeraten – gerade für Privatanleger ist das Risiko hoch. Bei den Turbo-Zertifikaten hat die BaFin festgestellt, dass drei von vier Anlegern Geld verloren haben, im Schnitt 6.358 Euro pro Kopf. Und einer von zehn hat sogar mehr als 10.000 Euro verloren. Trotzdem gibt es Kleinanleger hierzulande, die sich für solche Produkte entscheiden. Turbo-Zertifikate und andere Derivate machen laut der BaFin bei Privatanlegern fast 20 Prozent Marktanteil aus.
„Wenn man solche riskanten Zertifikate wie Hebelzertifikate betrachtet, sieht man vor allem: Menschen sehen den großen Gewinn, aber nicht die kleine Wahrscheinlichkeit, mit der der Gewinn erreicht werden kann“, erklärt Experte Stotz. Das Ziel, mit wenig Aufwand viel Geld zu verdienen, sei für viele Menschen wichtig. Um es zu erreichen, ließen sie sich aber statt von rationalen Entscheidungen, getroffen etwa anhand kleiner Gewinnwahrscheinlichkeiten, eher von Gefühlen leiten, so Stotz.
Emotionen beeinflussen das Anlageverhalten
Emotionen spielen auch bei Aktieninvestments also eine große Rolle. Die Lust auf Gewinne, die Angst vor Verlusten, die Panik bei roten Zahlen im Depot: Vor allem in Schwächephasen handeln einige Privatanleger wild hin und her. Solche Muster, die nichts mit soliden Finanzentscheidungen zu tun haben, sind sogar empirisch belegt. Man unterliegt dabei einem Bias, also einer Art Voreingenommenheit.
Ein Beispiel dafür ist der Recency Bias. Das bedeutet, dass Menschen von Erlebnissen in der jüngsten Vergangenheit voreingenommen sind. Dazu gehört etwa, dass jahrelang der Glaubenssatz galt: „Immobilien sind sicher.“ Viele Menschen kauften Immobilien, die Preise stiegen und alle dachten: Mit Immobilien kann man nur gewinnen. Genau das führte aber zu einer Blase, deren Platzen mindestens mitverantwortlich für die Finanzkrise 2008 war.
Zu solchen Mustern, die die Verhaltensweisen gerade bei Entscheidungen rund ums Thema Geldanlage prägen, gehört auch, dass Geld in Kategorien für bestimmte Zwecke eingeteilt wird. Miete, Geburtstagsgeschenke oder Sparplan an der Börse – obwohl ein ausgegebener Euro immer weg ist, hat er je nach Verwendungszweck eine andere Bedeutung. Dazu gehört auch das Festhalten an schlechten Investitionen, die man objektiv längst hätte fallen lassen sollen. Dahinter steckt dann oft der Gedanke: „Das hat mich doch mal viel Geld gekostet, das verkaufe ich nicht.“
Suchtgefahr reduzieren
Experte Olaf Stotz betont im 50k-Video aber auch, dass es neben der Gefahr, sich von Gefühlen leiten zu lassen, auch noch das Risiko gibt, süchtig zu werden. Anlageprodukte wie Derivate werden in der Regel nur für einen kurzen Zeitraum gehalten, meist weniger als 24 Stunden. „Da besteht die Gefahr, dass ich davon abhängig werde, vom Nervenkitzel, den schnellen Euro zu gewinnen“, so Stotz.
Viele Trader zeigen nämlich ganz ähnliche Muster: Sie handeln immer häufiger, machen weiter, obwohl sie schon Verluste erlitten haben und verlieren dadurch irgendwann komplett die Kontrolle. Besonders gefährdet sind dabei jene, die eh schon eher impulsiv sind oder eine Neigung zu Glücksspielen haben.
Damit solche Investments bei Privatpersonen dann nicht zu Überschuldung führen, raten Experten dazu, unbedingt mit Personen aus dem eigenen Umfeld darüber zu sprechen. Durch den Austausch mit der Partnerin, dem Partner, den Eltern oder Freunden schafft man eine Art externe Kontrolle und senkt die Gefahr, still und leise in eine Abhängigkeit zu rutschen. Und man sollte auch immer ehrlich mit sich selbst sein und den Moment erkennen, wann Schluss ist. Denn angesichts der hohen Verlustrisiken sollte man wirklich nur Geld in Derivate investieren, auf das man auf jeden Fall verzichten kann.









