Rechte von Flüchtlingen Bundesregierung setzt UN-Aufforderung nicht um
Stand: 13.11.2025 06:00 Uhr
Deutschland muss sich das erste Mal in einem UN-Verfahren zur Wahrung sozialer Rechte verantworten. Eine Aufforderung des zuständigen Gremiums befolgt die Bundesregierung seit Wochen nicht.
Keine Unterkunft, keine Verpflegung, keine Gesundheitsversorgung – gar nichts mehr sollen abgelehnte Asylbewerber vom Staat bekommen, die ihr Asylverfahren in einem anderen europäischen Land als Deutschland durchführen müssten. Diese Verschärfung hatte noch die Ampelkoalition durchgesetzt, obwohl es große rechtliche Bedenken gab und gibt.
Einer der Kritikpunkte war stets: Betroffenen Menschen drohe die Obdachlosigkeit. Genau das ist einem Mann aus Syrien in Thüringen passiert. Sein Asylantrag wurde abgelehnt. Zuständig sei Malta, da er über diesen Weg in die Europäische Union eingereist ist. Sozialleistungen wurden ihm vollständig gestrichen. Er musste im Februar die Unterkunft verlassen und seine Gesundheitskarte abgeben.
Nach Malta ausreisen könne er nicht. Er habe keine Passdokumente. Die Behörden hätten außerdem nicht mit Malta abgesprochen, dass und wann er dort einreisen könne. So berichtet es die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF). Der Verein unterstützt den 20-Jährigen bei Gerichtsverfahren gegen den Leistungsausschluss. In Deutschland allerdings bislang ohne Erfolg.
UN-Ausschuss fordert grundlegende Versorgung
Die Gesellschaft für Freiheitsrechte hat den Fall daraufhin vor den UN-Sozialausschuss gebracht. Ein in Deutschland neues und bislang wenig bekanntes Verfahren.
2023 hat Deutschland das sogenannte Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte der Vereinten Nationen unterzeichnet. Seither sind auch hierzulande Individualbeschwerden beim UN-Sozialausschuss möglich. Für die Unterzeichnung stimmten im Bundestag vor drei Jahren die damals regierenden Ampel-Fraktionen, SPD, Grüne und FDP, aber auch CDU/CSU und Linke. Nur die AfD stimmte dagegen.
Im Fall des Syrers muss sich die Bundesregierung zum ersten Mal in einem solchen Verfahren verantworten. Mitte Oktober hat der Ausschuss Deutschland aufgefordert, während des laufenden Verfahrens sicherzustellen, dass der Mann zumindest eine grundlegende Versorgung bekommt. Das heißt: Unterkunft, Gesundheitsversorgung und Zugang zu einem Existenzminimum.
Bisher wird vor allem geprüft – und zwar „intensiv“
Passiert ist seitdem nicht viel. Aus Sicht des Mannes: nichts. Er bekomme weiterhin keinerlei Leistungen und sei auf die Hilfe von Freunden und Unterstützern angewiesen, sagt Verfahrenskoordinatorin Lena Frerichs von der GFF. Er müsse zudem dringend zum Zahnarzt.
Hinter den Kulissen schieben nach Informationen des ARD-Hauptstadtstudios gleich mehrere Bundesministerien und das zuständige Landratsamt in Thüringen die Verantwortung für den Fall hin und her.
Eingegangen ist die Aufforderung des Sozialausschusses zunächst beim Auswärtigen Amt. Aus dem Ministerium heißt es, man habe das Schreiben „zeitnah“ an „das zuständige“ Bundesministerium für Arbeit und Soziales weitergeleitet. In dessen Bereich fällt das Asylbewerberleistungsgesetz.
Weitergeleitet worden ist es auch an das Bundesinnenministerium sowie das Bundesjustizministerium. In allen drei Häusern prüfe man nun „intensiv“ und tausche sich aus, heißt es auf ARD-Anfrage.
Der Landkreis wurde nicht involviert
Nicht weitergeleitet worden ist das Schreiben bis heute an den Landkreis Ilm-Kreis, der für die Unterbringung und Versorgung des Syrers zuständig war. Dabei betonen sowohl das Bundesarbeitsministerium als auch das Bundesinnenministerium, dass eigentlich die Länder zuständig seien und man denen keine Weisungen erteilen dürfe.
Ohne eine solche Weisung will man im Ilm-Kreis allerdings gar nichts tun und verweist auf Anfrage auf das nationale Recht. „Der Ilm-Kreis ist an geltende Gesetze gebunden und kann nicht eigenständig auf Hinweise oder Schreiben internationaler Institutionen reagieren, solange hierzu keine Weisung der zuständigen Landes- oder Bundesbehörden vorliegt.“
Der Ilm-Kreis sei der „falsche Adressat“. Zuständig für „Mitteilungen internationaler Gremien“ sei nicht der Landkreis, sondern die Bundesregierung.
Rechtlich verbindlich?
Zumindest eine Prüfung scheint die Bundesregierung schon abgeschlossen zu haben: die Frage, inwieweit diese Aufforderung des UN-Sozialausschusses rechtlich verbindlich ist.
Das Auswärtige Amt schreibt von einer „Empfehlung“. Deutschland habe ein Ermessen bei der Umsetzung. Wobei man sich „selbstverständlich“ an internationalen Standards und den Menschenrechten orientiere.
Auch aus dem Bundesarbeitsministerium sowie dem Bundesinnenministerium heißt es klar: Das gesamte Verfahren sei als ein „nicht-rechtsverbindliches“ ausgestaltet. Das gelte auch für vorläufige Maßnahmen des UN-Ausschusses, so das Bundesarbeitsministerium. Denn der Ausschuss sei gerade kein Gericht.
Es handele sich vielmehr um ein „dialogisches Verfahren“. Das Ministerium räumt allerdings ein, den Empfehlungen komme „eine hohe menschenrechtspolitische Autorität zu, sodass sie sich daher auch auf die Rechtspraxis auswirken können“.
„Das ist keine nette Empfehlung“
Die Gesellschaft für Freiheitsrechte sieht das anders. „Das ist keine nette Empfehlung, kein nice to have“, sagt Verfahrenskoordinatorin Frerichs. „Anders als die endgültigen Entscheidungen des Ausschusses sind diese vorläufigen Anordnungen bindend. Das hat der Ausschuss mehrfach so entschieden.“
Die UN selbst erklärt in ihren Regularien, dass von den Unterzeichner-Staaten erwartet wird, dass sie vorläufige Maßnahmen befolgen. Staaten, die das nicht tun, verstießen gegen ihre Verpflichtung, „in gutem Glauben“ („in good faith“) das Verfahren zu respektieren.
Unabhängig davon, wie man die Frage nach der Verbindlichkeit der vorläufigen Maßnahmen des UN-Sozialausschusses beantwortet, bleibt die politische Frage: Warum folgt Deutschland bereits in seinem ersten Verfahren den Empfehlungen nicht? Das schwächt das Gremium und macht es auch anderen Staaten leichter, Empfehlungen zu ignorieren.
2023 hatte die Bundesregierung noch erklärt, mit der Teilnahme stärke „die Bundesregierung die weltweite Zusammenarbeit im Bereich der Menschenrechte und macht zugleich deutlich, dass sie auch bereit ist, sich an den vereinbarten völkerrechtlichen Maßstäben messen zu lassen“.









