Physik-Nobelpreis Von Quantenteilchen, die Barrieren durchbrechen
Stand: 07.10.2025 16:38 Uhr
Ihre Entdeckung liefert wichtige Grundlagen für die Entwicklung von Quantencomputern. Jetzt werden die Physiker, die einen zuvor als „unmöglich“ geltenden Stromkreis entdeckten, mit dem Physik-Nobelpreis ausgezeichnet.
Von Lilly Zerbst und Ralf Kölbel, SWR
Durch Wände gehen, tot und lebendig gleichzeitig sein, quasi telepathisch kommunizieren, egal über welche Distanz. Was nach Science-Fiction klingt, ist die reale Welt der Quantenteilchen.
Dass auch größere, für uns erfassbare Systeme diesen seltsamen Regeln folgen können, zeigten die drei Physiker John Clarke, Michel H. Devoret und John M. Martinis. Für ihre Entdeckung werden sie nun mit dem Physik-Nobelpreis ausgezeichnet.
Die wundersame Welt der Quanten
Photovoltaik, Laser, MRT – all diese Anwendungen aus unserem Alltag basieren auf Prinzipien der Quantenmechanik. Sie beschreibt das Verhalten von Elementarteilchen, zum Beispiel Elektronen. Für solche Quantenteilchen gelten ganz andere physikalische Regeln, als wir sie aus unserem Alltag kennen.
Sie beschreiben eine Physik, die übertragen auf unsere makroskopische Welt unmöglich erscheint. Wenn wir einen Ball gegen eine Wand werfen, prallt dieser ab. In der Welt der Quantenmechanik gibt es aber die Chance, dass der Ball – wenn man ihn nur oft genug gegen die Wand wirft – irgendwann doch auf der anderen Seite landet. Er “durchtunnelt” die Wand. So ein Verhalten ist bei Quantenteilchen tatsächlich beobachtbar: Sie können Hindernisse durchdringen, die für sie eigentlich nicht passierbar wären.
Elektronen “tanzen” zusammen
Dass dieser Tunneleffekt auch auf makroskopischer Ebene – also in für uns erfassbar großen Systemen – beobachtbar ist, war lange nur in der Theorie beschrieben. Doch in einer Reihe von Experimenten gelang es den drei Forschenden bereits in den 80er-Jahren nachzuweisen, dass dieses seltsame Verhalten unter bestimmten Umständen tatsächlich auftritt.
Sie untersuchten dafür supraleitende Stromkreise. Anders als bei gewöhnlichem Stromfluss fließen die Elektronen hier bei extrem niedrigen Temperaturen ohne Widerstand durch den elektrischen Draht. Das ist, als würde man ein Auto einmal anschieben und es würde dann für immer weiterfahren – ohne Energie zu verbrauchen. Die Elektronen verwenden dafür einen Trick: Sie schließen sich zusammen und “tanzen” gemeinsam durch das Stromkabel. Einzelne Elektronen werden dadurch weniger “abgelenkt” und verlieren keine Energie.
In dem Experiment der drei frischgebackenen Nobelpreisträger geht das so weit, dass sich die Elektronen in ihrem synchronisierten Tanz wie ein einziges riesiges Quantenteilchen verhalten, das den gesamten Draht durchzieht. So können auch Lücken im Draht überbrückt werden. Das Elektronenbündel “durchtunnelt” damit die Barriere. Es fließt Strom, obwohl eigentlich keiner fließen sollte. Somit konnten die diesjährigen Nobelpreisgewinner beweisen, dass auch größere Objekte diesen Tunnel-Trick beherrschen.
Quantensprung für die Quantencomputer
Die Entdeckung der Forschenden nutzte Martinis später für ein Quantencomputer-Experiment. Das Prinzip des Schaltkreises aus ihrem Experiment nutzte er dazu als Quantenbit. Herkömmliche Bits können den Zustand “Null” oder “Eins” annehmen. Der Schaltkreis kann weitaus mehr Zustände annehmen und ist so theoretisch in der Lage, ein Vielfaches an Rechenleistung zu leisten.
Noch sind die Quantencomputer nicht so weit. Doch aus der Forschung der Nobelpreisträger hat sich in den letzten Jahren etwas entwickelt, das die Überlegenheit des Quantencomputers eines Tages möglich machen kann. Damit würden sich große Anwendungsfelder öffnen: “Wenn man mehr Rechenleistung hätte, könnte man Sachen berechnen, wie zum Beispiel bessere Klimamodelle. Oder einen Katalysator finden, der Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff umwandelt für Energiespeicherung oder neue Wirkstoffe gegen Krankheiten wie Corona”, erklärt Henning Moritz im Interview mit tagesschau24. Er ist Gruppenleiter am Institut für Quantenphysik der Universität in Hamburg.
Der Weg zum Nobelpreis
Der britische Physiker John Clarke (geboren 1942 in Cambridge) wurde bekannt für seine bahnbrechende Arbeit an Supraleitern und Quantensystemen, die auch in der Medizin und Grundlagenforschung genutzt werden. An der University of California in Berkeley baute er eine Forschungsgruppe auf, an der er mit den beiden weiteren diesjährigen Preisträgern, dem Franzosen Michel Devoret und dem US-Amerikaner John Martinis, forschte.
Michel H. Devoret wurde 1953 in Paris geboren und promovierte dort an der Uni. Mitte der 1980er-Jahre schloss er sich als Postdoc der Forschungsgruppe von John Clarke an. Er arbeitete später am Saclay Nuclear Research Centre und an der Yale University. Seine Forschung konzentriert sich auf Quantenmesstechnik und supraleitende Quantenbits. Devoret erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Josephson Award (2004) und den Fritz London Memorial Prize (2014).
Auch der US-Amerikaner John H. Martinis (Jahrgang 1958) schloss sich als Doktorand der Forschungsgruppe von Clarke an. Der gebürtige US-Amerikaner lehrte später an der UC Santa Barbara und wurde dann Chefentwickler für Quantensysteme bei Google. Er leitete das Team, das 2019 den Meilenstein der sogenannten Quantenüberlegenheit erreichte, also dass ein Quantencomputer erstmals bei einer bestimmten Aufgabe bisherigen Computern überlegen war. Martinis wurde ausgezeichnet mit dem Fritz London Memorial Prize (2014) und ist Mitglied der National Academy of Sciences.
Jahr der Quantenphysik
Die Quantenteilchen feiern dieses Jahr ihr hundertstes Jubiläum: 1925 beschrieb eine kleine Gruppe Physiker erstmals die Welt der Quanten – unter ihnen Werner Heisenberg, Niels Bohr und Erwin Schrödinger. Damals hielt man die Quantenmechanik noch für ein theoretisches Konstrukt mit wenig Anwendungspotenzial.
Auch wenn sich das System eines einzelnen Quantenteilchen beschreiben ließ, vermutete man keine Anwendung auf größeren Skalen. Dass diese Annahme falsch ist, zeigt die Entdeckung der diesjährigen Nobelpreisträger.










