Dass die Menschen im Bundesligabetrieb sich wiederholen, wenn sie nach einem Fußballspiel von Interview zu Interview eilen, ist Teil des Alltags. Aber die Redundanz, mit der Mönchengladbachs Sportchef Roland Virkus am Samstagabend nach dem bizarren 4:6 gegen Eintracht Frankfurt darauf hinwies, dass die kritischen Reaktionen der Anhänger „heutzutage normal“ seien, lohnt eine genauere Betrachtung.
„Virkus raus“ hatten die Leute gebrüllt, weil der Klub nach einem 0:4 im Heimspiel gegen Bremen zwei Wochen zuvor Trainer Gerardo Seoane entlassen hatte und nun nach 50 Minuten im Heimspiel danach gegen Frankfurt 0:6 zurücklag. Viele standen unter Schock, flüchteten nach Hause. Aber nachdem die Borussia doch noch vier Tore geschossen hatte, erklärte Virkus: „Je länger das wirkt, desto weniger fällt mir dazu ein.“
Der Mann ist ratlos, und der merkwürdige Gedanke, dass das Publikum früher weniger zornig nach Schuldigen gesucht hätte, deutet darauf hin, dass hier eine Vereinsführung in eine Parallelwelt gerutscht ist. Bei einem Tabellenletzten wurde auch vor 20 oder 30 Jahren über die Verantwortlichen geschimpft. In diesem Fall handelt es sich bei der Wut keinesfalls um eine Kurzschlussreaktion.
Seit dem Rücktritt des Sportdirektors Max Eberl im Januar 2022 arbeiten Virkus und die anderen Verantwortlichen im Klub daran, der Mittelmäßigkeit zu entkommen. Sie haben Geld in teure Spieler investiert: Jonas Omlin, Nathan Ngoumou, Tomas Cvancara, Julian Weigl oder Shuto Machino.
Sie haben mehr als zwei Jahre an dem ultranüchternen Seoane festgehalten. Sie haben dem seit Jahren matt spielenden Florian Neuhaus einen Millionenvertrag gegeben. Prompt machte sich der Spieler im Sommer betrunken in einem Video lustig: Virkus sei „der schlechteste Manager der Welt“, behauptete Neuhaus. Einer Strafe folgte die Versöhnung. Die Geduld der Gladbacher scheint fast unendlich.
„Er braucht Zeit, Dinge kennenzulernen“
Jüngst feierte der Klub sein 125-jähriges Bestehen, zelebrierte opulent die herrlichen Siebzigerjahre. Es hieß zum x-ten Mal, die damals entwickelte „Fohlen-Philosophie“ müsse wiederbelebt werden. Als sei es erstrebenswert, sich aus der Fußballgegenwart auszuklinken, wurde in Mönchengladbach eine Zeitrechnung begonnen, in der die Ziele in einer nebulösen Zukunft liegen.
Unglaublich lange nahm die Borussia an, die Arbeit von Seoane werde zünden, obwohl zahlreiche Indizien dagegen sprachen. An Virkus wird beharrlich festgehalten, an Neuhaus auch, die Platzierungen in der Liga, 10., 10., 14., 10., werden halbwegs akzeptiert. Mönchengladbach will vernünftiger sein als die „Verrückten“ beim Erzrivalen Köln und anderswo im schnelllebigen Fußball.
Nun bejubeln die Fans Eugen Polanski. „Er braucht Zeit, Dinge kennenzulernen“, sagt Virkus, der sich wahrscheinlich nicht trauen wird, das Votum des Volkes zu ignorieren. Also wird auch nach dem Sturz auf den letzten Tabellenplatz um Geduld und Nachsicht gebeten. In der Theorie mag es eine gute Idee sein, Dinge zu entschleunigen.
Aber bei Borussia Mönchengladbach sind vor lauter Besonnenheit die für den Fortschritt erforderliche Energie und der notwendige Ideenreichtum abhandengekommen. Dass es anders geht, zeigen Beispiele wie Freiburg, Mainz, Frankfurt oder Stuttgart. Sie sind in der Virkus-Jahren weit vorbeigezogen an der Borussia vom Niederrhein.