analyse
Stand: 25.09.2025 20:16 Uhr
Noch nie war die Wahl neuer Richter für das Bundesverfassungsgericht so politisch. Nachdem der erste Versuch scheiterte, standen heute die Mehrheiten. Doch zufrieden kann die Koalition damit nicht sein.
In den vergangenen Tagen wurde rund um den Bundestag viel gerechnet: Wie viele Stimmen braucht welcher Richterkandidat aus den jeweiligen Fraktionen? Wie viel Zeit bleibt? Doch im Vordergrund stand stets die bange Frage: Was passiert, wenn es schief geht? Dass überhaupt so eine Frage gestellt werden muss, für eine Regierung, die gerade mal etwas mehr als 100 Tage im Amt ist, ist erstaunlich.
Denn eigentlich handelt es sich um eine Routine. Richter gehen, neue Richter kommen. Wer nachrückt, das wurde bislang meist geräuschlos, ohne großes öffentliches Interesse unter den Parteien ausgemacht. Doch – und das gehört zur Wahrheit dazu – schon die Besetzung des ausscheidenden Richters Josef Christ ruckelte, noch bevor der Name Frauke Brosius-Gersdorf in aller Munde war. Vor allem den Grünen war der zunächst vorgeschlagene Kandidat der Union zu konservativ.
Nun setzte die Union auf Günter Spinner, der nicht nur Begeisterung bei Linken und Grünen auslöste. Hier zeigte sich aber die AfD bereit, Spinner zu wählen. Oder vielleicht doch nicht? Man wisse es nicht, hieß es aus der Fraktion kurz vorher. Man schien sich in der Rolle zu gefallen, mit der Nervosität der Regierungsparteien zu spielen. Und die war seit Tagen greifbar. Denn noch ein Scheitern, so viel schien allen klar, wäre für diese Koalition nur schwer zu verkraften gewesen.
Bloß keine Angriffsfläche bieten
Keine Stimme sollte riskiert werden, zu knapp war die erforderliche Zweidrittelmehrheit, die es für die Richterwahl brauchte. Die Wahlurnen standen heute besonders lange offen – fast zwei Stunden. Es waren auch – nicht wie beim vergangenen Mal – drei gesonderte Wahlgänge, sondern einer für alle drei Richter. Es galt: kein Risiko, kein taktisches Wählen.
Auch bei der neuen SPD-Kandidatin schien man alles unterlassen zu haben, was eine erneute Polarisierung provozieren könnte. Die Nachrückerin für die von der Union abgelehnten Juristin Brosius-Gersdorf war medial bislang kaum in Erscheinung getreten. Bloß keine Angriffsfläche bieten, schien die Devise. Nervös waren die Parteien auch bei der dritten Kandidatin Ann-Katrin Kaufhold, gegen die Stimmung gemacht wurde – vor allem von ganz rechts.
Eine fragile Regierungsmehrheit
Friedrich Merz hatte seinen Abgeordneten im Sommer nach dem großen Knall zugestanden, bei der Richterwahl ihrem Gewissen zu folgen. Was, wenn das einige wörtlich nehmen, hörte man auf den Bundestagsfluren. Alles keine guten Vorzeichen für eine stabile Regierungsarbeit.
Eine qualifizierte Mehrheit ist eben nicht nur für eine Richterwahl erforderlich. Es braucht sie für sämtliche Grundgesetzänderungen. Allein haben CDU, CSU und SPD diese bekanntlich nicht. Als Merz in der Generaldebatte zum Haushalt immer wieder die Grünen-Fraktion attackierte, zuckten einige, ob man sich das erlauben kann, wenn doch deren Stimmen gebraucht werden – heute war so ein Tag. Aber es ist in dieser Legislaturperiode sicherlich nicht der Letzte.