Im Vergleich zu anderen Investitionen ist dies eine kleine: Für einen zweistelligen Millionenbetrag will das kalifornische Start-up Planet Labs seinen Standort in Berlin ausbauen und in der deutschen Hauptstadt eine Satellitenproduktion aufbauen. Die Mitarbeiterzahl ist überschaubar: Von 150 soll sie auf 220 steigen. Trotzdem standen gleich zwei Bundesministerinnen neben Planet-Labs-Chef Will Marshall, als dieser die Nachricht am Donnerstag am Rande des Weltraumkongresses des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) bekannt gab. „Ein bedeutendes Signal für den Weltraumstandort Deutschland“ sei die Investition, schwärmte Forschungs- und Raumfahrtministerin Dorothee Bär (CSU). „Wenn wir irgendwo Wachstum in Deutschland erzeugen können, dann in der Hightechproduktion“, ergänzte Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU).
Das Thema Raumfahrt hat in der schwarz-roten Koalition zumindest formal ein hohes Gewicht. Erstmals steht der Begriff im Titel eines Ministeriums: Forschung, Technologie und Raumfahrt. Als „Future“-Ministerium bezeichnet Bär ihr Haus gern. Ende November ist Deutschland Gastgeber für die alle drei Jahre stattfindende Ministerratskonferenz der europäischen Weltraumorganisation ESA. BDI-Präsident Peter Leibinger präsentierte am Donnerstag in Berlin eine Studie der Beratungsgesellschaft Roland Berger, wonach sich der globale Markt für weltraumgestützte Infrastruktur und Dienste bis 2040 vervierfachen wird, von heute knapp 500 Milliarden auf 2000 Milliarden Euro. Eine „gigantische wirtschaftliche Chance“ sei das, der „Schlüssel für die Renaissance des Industrielands Deutschland“.
Auch Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) wartete auf dem Kongress mit großen Zahlen auf: 35 Milliarden Euro werde die Bundesregierung bis 2030 für Weltraumprojekte und eine Sicherheitsarchitektur im All bereitstellen, kündigte er an. Es gehe um ein „Gesamtpaket“ aus Satelliten, Bodenstationen, Startrampen für Raketen ins All und mehr. „Auch im Weltraum müssen wir abschrecken können“, sagte er. Diese Ansage wir allerdings konterkariert durch den aktuellen Hickhack in der Bundesregierung um Zuständigkeiten und Budgets.
23 Länder finanzieren die ESA
Zwar ist seit Anfang Mai formal Bärs Ministerium für die Raumfahrt zuständig. Die entsprechenden Referate arbeiten aber immer noch in Reiches Wirtschaftsministerium. Die ursprünglich für Anfang August angekündigte Verwaltungsvereinbarung, in der die Übertragung der Planstellen und Budgets geregelt wird, lässt weiter auf sich warten. „Kurz vor Abschluss“ stünden die Verhandlungen, sagte Bär auf Nachfrage. Die Zusammenarbeit mit der „lieben Katherina“ funktioniere „Hand in Hand“. In der Branche ist indes eine wachsende Ungeduld zu spüren. „Zwei Monate ist morgen“, sagte ESA-Generaldirektor Josef Aschbacher mit Blick auf die nahende Ministerratskonferenz.
Was in der Branche ebenfalls nicht gut ankommt, sind die Zahlen. Der Haushaltsentwurf für 2026 sieht für das „Raumfahrtprogramm für Innovation und internationale Kooperation“ 282 Millionen Euro vor. Im Vergleich zu 2024 sei das ein Rückgang um 45 Millionen Euro, rechnet der BDI vor. Auch dass der deutsche Beitrag zur ESA im kommenden Jahr nicht steigen, sondern auf 982 Millionen Euro sinken soll, kommt in der Wirtschaft nicht gut an. Dort hofft man, dass die Bundesregierung auf der ESA-Konferenz noch etwas drauflegt. Angesichts der großen Löcher im Haushalt ist das aber alles andere als sicher. Bär schilderte auf dem Kongress ihr Dilemma: Für viele Menschen im Land sei die Raumfahrt ein Thema der „Berliner Bubble“, nach dem Motto: „Was machen die denn da, während bei uns der öffentliche Nahverkehr nicht funktioniert.“
23 Länder finanzieren die ESA, die größten Anteile kommen aus Deutschland und Frankreich. Je näher das Gipfeltreffen Ende November in Bremen rückt, desto intensiver wird um Budgets und Programme gerungen werden. Dabei richtet sich der Blick auch nach Amerika: Demnächst könnte sich entscheiden, ob das NASA-Budget wie von der Trump-Regierung geplant drastisch gekürzt wird. Unter ESA-Beteiligung entwickelte Komponenten des bemannten Raumfahrtprogramms Artemis wie das Orion-Raumschiff und die Gateway-Orbitstation könnten dann beschnitten oder ganz gestrichen werden.
Verteidigung der eigenen Sicherheitsinteressen
Die ungewissen Aussichten für die Zusammenarbeit mit den USA sollten aus ESA-Sicht Anlass sein, nun umso stärker in eigene Raumfahrtprogramme zu investieren. Hinzu komme die wachsende geopolitische Instabilität, die neue weltraumgestützte Verteidigungsinstrumente wie Satellitenkonstellationen erforderlich mache. „Europa muss aufwachen“, mahnte Aschbacher in Berlin. „Wir sind gut, was die Ingenieurleistung betrifft, aber finanziell hapert es.“ Die Budgets anderer Länder wüchsen deutlich schneller als die in Europa.
Laut der Studie von Roland Berger und BDI wären bis zum Jahr 2040 zusätzliche Investitionen in Höhe von 237 Milliarden Euro allein dafür notwendig, um den aktuellen europäischen Marktanteil von rund 17 Prozent im internationalen Raumfahrtmarkt zu halten, davon 56 Milliarden Euro aus Deutschland. Um den Marktanteil im selben Zeitraum auf 25 Prozent zu steigern – wie es ratsam sei –, müsste Deutschland zusätzliche 93 Milliarden Euro investieren.
Es geht beim Thema Raumfahrt längst nicht mehr nur um Technologieführerschaft, sondern auch um die Verteidigung der eigenen Sicherheitsinteressen. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hatte am Mittwochabend auf einer Veranstaltung des Chemieverbandes VCI betont, Deutschland müsse nicht nur weniger abhängig von China werden, sondern auch von den USA, auch wenn ihm diese Feststellung „in der Seele weh“ tue. In der Raumfahrt bedeutet das vor allem die Loslösung von Elon Musks Unternehmen SpaceX mit seinen Trägerraketen und dem Satellitensystem Starlink.
In Europa sind die Erwartungen hoch, sei es bei Satellitenherstellern wie Airbus, Leonardo, Thales und OHB, Satellitenbetreibern wie Eutelsat, SES und Hispasat oder Trägerraketenherstellern wie der Arianegroup und Avio. Deutschland kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. 3,5 Milliarden Euro sagte Berlin beim vergangenen ESA-Ministerrat für 2023 bis 2025 zu. Frankreich, traditionell der Taktgeber der europäischem Raumfahrt, brachte nur 3,2 Milliarden Euro auf. Insgesamt kamen 16,9 Milliarden Euro zusammen. Der BDI fordert, dass Deutschland seinen Beitrag nun auf sechs Milliarden Euro aufstockt. Bär nannte keine Zahl, nur so viel: Deutschland werde „den größten Anteil“ leisten. Im hoch verschuldeten Frankreich gab es zuletzt Berichte, die Regierung könnte weniger als drei Milliarden Euro anvisieren. Aschbacher hofft auf insgesamt 22 bis 23 Milliarden Euro. Sowohl in Deutschland als auch in Frankreich und Italien gibt es jedoch Tendenzen, nationale Programme zu priorisieren, um die als ineffizient empfundenen ESA-Strukturen zu vermeiden. In der Bundeswehr laufen bereits konkrete Pläne für eine eigene neue Satellitenkonstellation.