Für Gehörlose ist die Gebärdensprache mehr als Worte mit den Händen zu formen. Doch die Sprache ist anderen Sprachen in Deutschland nicht gleichgestellt. Aus Hamburg kommt das Signal, das zu ändern. Es hätte weitreichende Folgen für 200.000 Menschen.
Gebärdensprache ist Menschenrecht.“ Mit diesem Satz setzte Regina‑Elisabeth Jäck (SPD), Fachsprecherin für Menschen mit Behinderung, den Ton der Debatte in der Hamburger Bürgerschaft. In einer von der Linken-Fraktion angemeldeten Aktuellen Stunde stellten sich die Fraktionen in breiter Mehrheit hinter die Forderung, die Deutsche Gebärdensprache als Minderheitensprache anzuerkennen. Vor allem SPD und Grüne, die die Hansestadt gemeinsam regieren, machten deutlich: Hamburg fordert, die DGS in die Europäische Sprachencharta aufzunehmen. Dafür will man den Druck auf den Bund erhöhen.
Die Anerkennung würde die Sprache nicht nur als Kommunikationshilfe, sondern als Teil des kulturellen Erbes schützen. Deutschland lehnt das bislang ab, weil die Gebärdensprache anders etwa als friesisch nicht auf eine Region begrenzt ist. Die Bundesebene legt damit die Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen besonders eng aus. In Hamburg hat man schon länger wenig Verständnis dafür.
Jäck verwies auf das, was die Hansestadt bereits liefert – von live gebärdeten Plenarsitzungen über DGS als Wahlpflichtfach und rund 150 VHS‑Kursen im Jahr. Sie kündigte Gespräche „mit der zuständigen Bundesebene“ an. „Wir werden uns weiterhin mit aller Kraft für die Stärkung der Gebärdensprache einsetzen.“ Dass hier eine Regierungspartei mit einer Regierungspartei spricht, lässt die Erwartung an die SPD im Bund klar erkennen.
Die Grünen drückten aufs Tempo. Kathrin Warnecke, Fachsprecherin für Inklusion, nannte die Anerkennung „einen ersten Schritt und ein Versprechen“ – und fügte den politischen Impuls hinzu: „Manchmal braucht es ein bisschen den Druck, damit sich auch Dinge bewegen.“ Es gehe nicht allein um Barrierefreiheit, sondern um Sichtbarkeit einer eigenen Kultur.
Die Linke hatte sich schon mit Debattenanmeldung klar positioniert. Die DGS gehöre nach der Europäischen Charta der Minderheitensprachen in Deutschland als soche anerkannt – analog zu Sorbisch, Friesisch und Romanes. Thomas Meyer, Fachsprecher für Inklusionspolitik, erinnerte an die jahrhundertelange Unterdrückung der Gebärdensprache und erinnerte an eine Bürgerschaftssitzung im Juli. In einer emotionalen Debatte hatten sich die Mitglieder des Parlaments bei den gehörlosen Einwohnern der Stadt entschuldigt. Auch in der Hansestadt war die DGS lange geächtet gewesen. „Das ist nicht das Ende der Diskussion, sondern hoffentlich der Anfang“, sagte Meyer.
Zustimmung kam auch von der CDU. Andreas Grutzeck, Fachsprecher für Soziales, Arbeit, Senioren und Gleichstellung, signalisierte Unterstützung, warnte aber vor Symbolpolitik ohne Substanz. Anerkennung brauche Kapazitäten – etwa bei Dolmetschleistungen – und ein gestuftes Vorgehen, das Bildung, Gesundheit und Justiz konkret stärke, bevor man die Ziele weiter ausrollt.
Bislang ist die DGS in Deutschland zwar seit 2002 gesetzlich anerkannt, jedoch nur im Rahmen des Behindertengleichstellungsgesetzes. Die Einstufung als Minderheitensprache würde einen deutlich höheren Schutzstatus bedeuten: Sie wäre nicht mehr nur Kommunikationshilfe, sondern Teil des kulturellen Erbes – vergleichbar mit dem Friesischen in Hamburgs Nachbarländern Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Rund 10.000 Menschen sprechen dort heute noch friesisch. Die DGS nutzen in Deutschland sogar rund 200.000 Menschen, Gehörlose, Schwerhörige und ihre Angehörigen.
Die Anerkennenung der DGS als Minderheitensprache verpflichtet den Staat, den Gebrauch der Sprache in Bildung, Verwaltung, Medien und Kultur aktiv zu fördern. Für die Gebärdensprachgemeinschaft hieße das: mehr Unterrichtsangebote in DGS, stärkere Präsenz in Medien und Kultur sowie ein klarer Anspruch auf staatliche Unterstützung.
Doch bisher lehnt Deutschland die Aufnahme der DGS in die Liste der Minderheitensprachen ab – mit einem zentralen Argument: Die Gebärdensprache sei nicht an ein bestimmtes Gebiet gebunden und erfülle damit nicht das klassische Territorialkriterium. Befürworter halten dagegen: Die Europäische Charta, auf die sich das deutsche Recht stützt, sieht ausdrücklich auch Schutz für nicht-territoriale Sprachen vor, wie das Beispiel Romanes zeigt. Diese Sprache der Roma ist in Deutschland bereits anerkannt.