Deutsch-deutsche Geschichte Neues Museum zeigt den Alltag am Eisernen Vorhang
Stand: 09.11.2025 08:06 Uhr
Die innerdeutsche Grenze teilte ganz Europa und auch das Dorf Mödlareuth. Ein neues Museum zeigt den damaligen Alltag und bietet ungewöhnliche Perspektiven auf die Mauer.
Ein normaler Wochentag in Mödlareuth, zu Zeiten der innerdeutschen Teilung bekannt geworden als „Little Berlin“: Der Besucherparkplatz ist gut gefüllt, Menschen schlendern durchs Dorf, zwischen den Wohnhäusern hindurch, bis hin zur ehemaligen innerdeutschen Grenze. Diese zieht sich bis heute wie ein Grünes Band durch die Siedlung, Reste der Mauer und ein Grenzturm stehen noch, blendend weiß gestrichen ziehen sie die Blicke auf sich.
Vom Museum aus lässt sich der ehemalige Grenzstreifen gut überblicken, ein riesiges Panoramafenster eröffnet den Blick in die Geschichte. Es dient als Startpunkt zur Dauerausstellung, die nach Jahren in beengten Räumen im Dorf nun ebenfalls komplett neu konzipiert wurde: „Wir haben hier die Besonderheit, dass das ganze Dorf ein Museum ist. Und diese Besonderheit wollten wir mit dem Neubau erhalten“, erklärt der Landrat des Landkreises Hof, Oliver Bär, der als Träger mitverantwortlich für das Projekt ist.
Große Geschichte auf Mödlareuth runtergebrochen
22 Millionen Euro haben unter anderem der Bund und die Freistaaten Bayern und Thüringen in diesen Neubau investiert. Anfang Oktober wurde das Gebäude von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eingeweiht, ab dem 9. November ist das Museum für Besucher geöffnet.
Läuft man in die Dauerausstellung hinein, zieht sich die Besonderheit des Museumsdorfs wie ein roter Faden durch. So werden die großen Ereignisse und Themen der deutsch-deutschen Teilung immer lokal heruntergebrochen. 1952 etwa schließt die DDR die Grenzübergänge und errichtet ein Sperrsystem. In der Ausstellung dazu Fotos von Zäunen: Westdeutsche Grenzbesucher schauen über einen provisorischen Bretterzaun in Mödlareuth, auf einem weiteren Bild der Bundesgrenzschutz vor einem Stacheldrahtzaun.
„Unser Anliegen war es, das Leben im ländlichen Raum während des Eisernen Vorhangs darzustellen“, betont Museumsleiter Robert Lebegern. Und fügt direkt hinzu, dass es alles andere als einfach gewesen sei, dies auch in die Praxis umzusetzen. Das Leben mit der Mauer sei ab einem gewissen Zeitpunkt Alltag für die Menschen in Mödlareuth gewesen: „Und Alltägliches dokumentiert man nicht.“ So sei es sehr schwierig gewesen, an lokale Ausstellungsobjekte zu kommen. In der DDR sei es außerdem strikt verboten gewesen, die Grenzanlagen zu fotografieren. Gerade aus ostdeutscher Perspektive mangele es deswegen an solchen Zeitzeugnissen.
Mödlareuth ein Ort des „Rübermachens“
Doch die jahrelange Konzeptionsarbeit – und natürlich das Aufbauen auf einer bestehenden Sammlung – haben sich gelohnt. Spektakuläre Ausstellungsstücke wie das selbstgebaute Fluchtflugzeug „DOWA 81“, das unter dem Dach schwebt, ziehen die Blicke auf sich. Dazu kommen Stationen, die das Leben an der Grenze nachfühlbar machen. So dürfen Besucherinnen und Besucher auf zwei Autositzen eines historischen Mercedes C190 Platz nehmen: Filmaufnahmen aus dem Archiv machen die schikanösen Momente früherer Einreisen in die DDR nachvollziehbar, etwa wenn das eigene Auto erst durchsucht und dann auch noch fast zerlegt wird.
Mit dem selbstgebauten Leichtflugzeug „DOWA 81“ wollte Ingenieur Dr. Gerhard Wagner samt Familie aus der DDR fliehen. Sie wurden noch vor dem Flug festgenommen. Nun hängt es im Möldareuther Museum.
Viel Platz räumt die Schau denen ein, die in der Region rund um Mödlareuth von Ost nach West „rübermachten“. An sechs sogenannten Fluchtstationen erzählen Menschen von ihren geglückten Fluchten, wie etwa Dieter Gäbelein, der 1974 im nahe gelegenen Blankenstein zu Fuß über die Mauer türmte, mit Hilfe von zwei Leitern. „Wir wollten hier die sehr persönlichen Erfahrungsberichte in den Vordergrund stellen“, erläutert Museumsleiter Lebegern. Es seien spannende und packende Geschichten, gerade durch den Medienmix erhoffe man sich ein kurzweiliges Ausstellungserlebnis.
Kurzweilig, spannend – und gleichzeitig auch nach über 35 Jahren Grenzöffnung noch bedrückend. Je weiter man in die Ausstellung hineinläuft, desto schmaler wird der Raum, die Farbe an den Wänden färbt sich dunkler. Hinten angekommen dann ein Gedenkpunkt für die 22 Mauertoten rund um Mödlareuth: ein schlichtes Kreuz aus Stacheldraht, dazu kurze Einzelbiografien der Getöteten. Man müsse sich immer vor Augen halten, dass die überwiegende Zahl der Fluchtversuche gescheitert sei, betont Lebegern: „In den 70er- und 80er-Jahren glückten nur rund drei bis fünf Prozent. Es war uns wichtig, das auch ins richtige Verhältnis zu setzen.“
Geschichte im modernen Anstrich
Für den Museumsdirektor und die zahlreichen Ehrenamtlichen, die das deutsch-deutsche Museum seit der Grenzöffnung zunächst im kleinen Rahmen aufgebaut und betrieben haben, geht mit dem Neubau ein lang ersehnter Traum in Erfüllung. Sie wollen das Gedenken an die innerdeutsche Teilung nicht stillstehen lassen, sondern gerade auch für die nachgeborenen Generationen öffnen, etwa mithilfe von Virtual-Reality-Führungen.
So ist das Museumsdorf Mödlareuth, das jährlich von bis zu 90.000 Touristinnen und Touristen besucht wird, gewappnet für die Zukunft. Auch wenn die Neuerungen nicht allen gefallen. Zeitzeuge und Mauerflüchtling Gäbelein stößt sich etwa an den neu gestalteten Außenanlagen entlang der Mauer, vor allem an ihrem blendend weißen Anstrich: „Das ist natürlich modern und gut gemacht. Aber das Originale geht verloren. Es kommt mir so vor, als würde das Ganze zur Schau gestellt.“
Die Reste der innerdeutschen Grenzanlage bei Mödlareuth.
Die richtige Balance
Dass Gedenken immer ein Drahtseilakt ist, weiß auch Museumsdirektor Lebegern. Er betont, es sei ihm ein großes Anliegen gewesen, die verschiedenen Perspektiven aufs Thema, gerade auch zwischen Ost und West, angemessen wiederzugeben: „Es gibt etwa auch Aussagen von Dorfbewohnern auf Thüringer Seite, die sich über den Bau der Mauer gefreut haben. Einfach, weil sie danach nicht mehr so stark den Blicken der Schaulustigen auf der bayerischen Seite ausgesetzt waren.“
Robert Lebegern und sein Team haben es sich nicht einfach gemacht, dieses Museum neu aufzustellen. Natürlich findet sich hier auch viel Erwartbares. Immer wieder aber werden gängige Erzählungen aufgebrochen – mit dem Ziel, Mödlareuth als „Brennglas der deutschen Teilungsgeschichte“ so nah wie möglich zu kommen.









