Man muss sich schon sehr konzentrieren, um nicht den Überblick zu verlieren. Noch nie gab es in der Mode so viele Designerwechsel wie in diesem Herbst. Vier neue Kreativdirektoren allein in Mailand, sechs in Paris. Am letzten Tag der Mailänder Modewoche platzte dann noch die Nachricht auf, dass Silvia Venturini Fendi als Kreativdirektorin jener Marke zurücktritt, die ihre Großeltern 1925 gegründet hatten. Wer ihr nachfolgt, soll demnächst verkündet werden. Vielleicht Maria Grazia Chiuri, die schon mal bei Fendi war? Sie verantwortete bis zum Sommer die Damenkollektion von Christian Dior. Dort wird sie von Loewe-Designer Jonathan Anderson ersetzt, der an diesem Mittwoch seine Premiere feiert.
Die vielen Neubesetzungen sind kein Zufall, sondern Symptom. Designer werden hektisch ausgetauscht wie Fußballtrainer, in der Hoffnung, dass der Aufstieg gelingt oder der drohende Abstieg verhindert wird. Seit mehreren Saisons schwächelt die Luxusbranche, Umsätze gehen zurück, weil die Kaufkraft in lange boomenden Märkten sinkt.
Wie sehr sich die Modewelt verändert hat, wurde bei der Mailänder Modewoche augenfällig, die am Montag zu Ende ging. Die Stadt betrauert noch immer den Tod von „Rej Giorgio“, wie der am 4. September verstorbene Modeschöpfer genannt wurde. Für die Mailänder und für viele Italiener außerhalb der Stadt war er einfach immer da – wie bis zu ihrem Tod die Queen in Großbritannien. Seine Leerstelle ist schwer auszuhalten, denn Armani war innerhalb der Luxusbranche ein Relikt aus vergangener Zeit. Eigentümer und Kreativdirektor in einer Person, das gibt es jetzt nur noch bei Prada und Dolce & Gabbana.
Auch Armani könnte bald am Designerkarussell teilnehmen
Fendi ist ein Beispiel dafür, welchen Weg die meisten der zahlreichen ehemals familiengeführten Traditionsmarken Italiens genommen haben. Bei Fendi sind zwar noch Familienmitglieder in der Firma tätig – Silvia Venturini Fendi ist nun zur Ehrenpräsidentin ernannt worden. Aber längst gehört die Marke dem französischen Luxuskonzern LVMH. Bei Armani sollen nach dem Willen des Verstorbenen zunächst 15 Prozent der Anteile des Unternehmens verkauft werden, während die Erben gleichzeitig einen neuen CEO suchen, möglicherweise auch einen neuen Kreativdirektor. Dann würde das vor 50 Jahren gegründete Modehaus am Designerkarussell teilnehmen, das sich zunehmend schneller dreht. Mit jeder Neubesetzung erhofft man sich erfolgreiche Updates.
Die vier Neuzugänge bei der Mailander Modewoche haben sich jedenfalls gut geschlagen. Nicht alle sind Unbekannte, wie etwa der erfahrene Simone Bellotti, der zuletzt Kreativdirektor bei Bally war und mit seiner ersten Kollektion für Jil Sander der Marke zu einem frischen Neustart verhalf, ohne die puristischen Anfänge der Marke aus dem Blick zu verlieren. Das Gleiche versuchte Dario Vitale in seiner ersten Kollektion für das Modehaus Versace, indem er an die frühen Entwürfe von Markengründer Gianni Versace aus den Achtzigerjahren erinnerte. Aber reicht Nostalgie, um vorne mitzuspielen?
Mit Spannung hatte man das Debüt von Louise Trotter bei Bottega Veneta erwartet, die zuvor Kreativdirektorin bei der vergleichsweise unbekannten französischen Modemarke Carven war. Sie lieferte viele „Intrecciato“-Stücke aus Leder, jener Flechttechnik, für die die Marke bekannt ist. Im Gedächtnis hängen bleiben aber vor allem die fellartigen Pullover, deren Haare aus recycelten Fiberglasfasern gefertigt wurden. Das Geschäft mit der Aufmerksamkeit beherrscht vor allem der georgische Designer Demna, der von Balenciaga kommt und nun für Gucci eine erste kleine „See now, buy now“-Kollektion präsentierte – seine erste große Kollektion wird im Februar zu sehen sein. Er inszenierte mit der Premiere des Kurzfilms „The Tiger“ eine Art Mini-Cannes: roter Teppich statt Laufsteg, auf dem Stars wie Demi Moore und Gwyneth Paltrow Kleider aus der Kollektion präsentierten, die am nächsten Morgen dann schon in ausgewählten Gucci-Läden hingen, Prêt-à-porter im Wortsinne.
Sind Fashionshows überhaupt noch wichtig?
Denn noch wichtiger als die Mode selbst ist in diesen Zeiten die Frage, wie man sie an die Kunden bringt. Sind Fashionshows überhaupt noch wichtig? Daniel Grieder, CEO der Marke Boss, die ihre Kollektion ebenfalls in Mailand präsentierte, findet schon. Sie seien heute vor allem eine Bühne für die digitale Aktivierung in den sozialen Medien. „Auf diese Weise hat jeder einen digitalen Platz in der ersten Reihe“, sagte er vor der Schau, in dessen erster Reihe ein gut gelaunter David Beckham saß. Bilder davon fluteten in Sekundenschnelle die sozialen Netzwerke.
Mode muss kurzfristig Emotionen transportieren, um in der Tiktok-Masse nicht unterzugehen. Aber welches Gefühl soll das nächste Frühjahr bestimmen? Auch wenn die Zeiten nicht leicht sind, der Mode ist das nicht anzusehen. Sie ist optimistisch wie lange nicht mehr. Zu sehen waren auf den Laufstegen frische Töne wie Gelb, Grün und Rosé. Nach Prints musste man in dieser monochromen Welt schon suchen. Dafür gab es viele transparente Stoffe. Vielleicht ist es das, wonach sich die Menschen sehnen: nach einem Stück Leichtigkeit.