Als Emmanuel Macron am Montagnachmittag den großen Saal der UN-Generalversammlung in New York betritt, ist ihm die Aufmerksamkeit sicher. Der französische Staatspräsident begibt sich zunächst mit seinem Tross zur saudischen Delegation, die von Außenminister Faisal bin Farhan al Saud angeführt wird. Paris und Riad haben einen Tag vor Beginn der Generaldebatte der Vereinten Nationen zu einer Konferenz für eine Zweistaatenlösung für den Nahen Osten geladen.
Während Macron zum Präsidiumstisch vor der goldenen Wand läuft, schüttelt er die Hände etlicher Staats- und Regierungschefs, macht Selfies mit Diplomatinnen und winkt in die Runde. Es ist sein Moment in dieser Woche, in der sich die Welt am East River trifft. Kurz nach Eröffnung der Konferenz tritt er selbst ans Rednerpult. Wie angekündigt, sagt er dann: „Es ist an der Zeit, dem palästinensischen Volk Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und den Staat Palästina anzuerkennen“.
„Nichts rechtfertigt den Krieg in Gaza. Nichts.“
„Manche mögen sagen, es sei zu spät. Andere mögen sagen, es sei zu früh“, sagt Macron. Doch eines sei sicher: „Wir können nicht länger warten.“ Das Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 sei zwar eine „offene Wunde“. Doch Hunderttausende Menschen seien vertrieben, verletzt, ausgehungert und traumatisiert worden. Ihr Leben werde weiterhin zerstört, obwohl die Hamas erheblich geschwächt worden sei. Sodann: „Nichts rechtfertigt den anhaltenden Krieg in Gaza. Nichts.“ Applaus im Saal. Weiter kündigt der Präsident an, Paris werde eine offizielle Botschaft in Palästina eröffnen, wenn alle Geiseln der Hamas frei seien und ein Waffenstillstand im Gazastreifen erreicht sei.
Zuvor hatte Großbritannien am Sonntag in einem gemeinsamen Schritt mit Kanada und Australien Palästina anerkannt. Portugal folgte. Auch Belgien, Neuseeland, Luxemburg und San Marino wollen den Schritt tun. Der kanadische Ministerpräsident Mark Carney sagte am Montag in New York, Ottawa habe lange daran geglaubt, dass eine Zweistaatenlösung auf dem Verhandlungsweg zustande komme. Leider habe sich das nicht bewahrheitet. Es sei immer wieder verhindert worden, zuletzt durch den Terror der Hamas und die illegale israelische Siedlungspolitik. Die gegenwärtige israelische Regierung arbeitete daran, die Errichtung eines unabhängigen palästinensischen Staates dauerhaft zu verhindern. „Daher: „Kanada erkennt den Staat Israel an.“ Er fügte hinzu, seine Regierung mache sich keine Illusion: Dieser Schritt sei kein Allheilmittel, aber es sei eine koordinierte Anstrengung, um zu einer Zweistaatenlösung zu kommen.
Die britische Außenministerin Yvette Cooper bekräftigte sodann ebenfalls den Schritt Londons. Die britische Regierung habe über Jahrzehnte eine Zweistaatenlösung unterstützt, aber nur einen Staat anerkannt – nämlich Israel. Das ändere sich jetzt. Applaus im Publikum.
USA verhindern Aufnahme Palästinas als UN-Vollmitglied
Der saudische Außenminister forderte alle Staaten auf, dem Beispiel der westlichen Länder zu folgen. Ein solcher Schritt werde „einen großen Einfluss auf die Unterstützung der Bemühungen zur Umsetzung der Zweistaatenlösung haben. Rund 150 der 193 UN-Mitgliedstaaten haben damit Palästina anerkannt. Die Initiatoren erhoffen sich davon, einer Zweistaatenlösung wieder eine Chance zu geben, die Israel ablehnt und die Vereinigten Staaten unter Präsident Donald Trump auch nicht vorantreiben. Dass nun aber drei Mitglieder der westlichen G-7-Gruppe und vier der fünf Ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrat Palästina anerkennen, zeigt die zunehmende Isolierung Israels. Washington verhindert als letzte proisraelische Veto-Macht des Gremiums die Aufnahme Palästinas als UN-Vollmitglied.
Trump hatte den Vorstoß aus Paris und London von Beginn an abgelehnt. Ähnlich wie der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu nannte die Sprecherin des Weißen Hauses, Karoline Leavitt, diesen eine „Belohnung für die Hamas.“ Er trage nichts dazu bei, dass die Geiseln freikämen und der Krieg aufhöre. Die Vereinigten Staaten boykottierten die Konferenz ebenso wie Israel. Das Treffen fiel mit dem Beginn des Feiertags Rosh Hashana, dem jüdischen neuen Jahr, zusammen. Netanjahu hatte gesagt, ein palästinensischer Staat wäre für Israel existenzgefährdend und „absurd“. Der israelische Botschafter bei den Vereinten Nationen, Danny Danon, behauptete gar, die Staaten förderten mit diesem Schritt „nicht den Frieden“, sondern „unterstützen den Terrorismus“.
Als Reaktion auf die Bemühungen Frankreichs und Großbritanniens, die Palästinafrage auf die Tagesordnung zu setzen, entschied die Regierung in Washington, entgegen dem Reglement mit dem Vereinten Staaten, dem palästinensischen Präsidenten Machmud Abbas das Visum für die UN-Woche zu verwehren. Die UN sorgten dafür, dass Abbas sich mit einem aufgezeichneten Video an die Konferenz wenden konnte.
Abbas spricht von „historischem und mutigem“ Schritt
Der Präsident lobte den Schritt der westlichen Staaten als „historisch und mutig“. Er hob hervor, dass der palästinensische Staat eine einheitliche Regierung haben müsse. Die Hamas werde dabei keine Rolle spielen. Die radikalislamische Organisation müsse ihre Waffen an die palästinensische Regierung in Ramallah abgeben. Er verurteilte den Angriff der Hamas auf Israel, aber auch die Vorstellungen eines „Großisraels“ und die israelische Siedlungspolitik im Westjordanland. Abbas versprach einen palästinensischen Staat, der rechtstaatlich und pluralistische sei – und auch die Frauenrechte achte.
Die Konferenz machte einmal mehr deutlich, dass Deutschland in Europa zunehmend die Rolle zukommt, die die Vereinigten Staaten im Sicherheitsrat spielen: Sie sind die letzten Verteidiger Israels. Die Regierung in Berlin will ihre Positionierung freilich nicht als freie Hand für Netanjahu verstanden wissen, sondern als Lehre aus der eigenen Geschichte. Außenminister Johann Wadephul kritisierte denn auch zunächst das israelische Vorgehen scharf: „In ganz Gaza erleben die Menschen eine Hölle auf Erden“, sagte er. „Dieser jahrzehntealte Konflikt lässt sich nicht durch Terror, Zerstörung und Tod lösen. Er ist weder zu gewinnen noch zu kontrollieren. Er muss gelöst werden“, sagte er. Deutschland werde sich immer stark für die Existenz und langfristige Sicherheit Israels einsetzen, die von manchen immer noch infrage gestellt werde. Die Zweistaatenlösung bleibe „der einzige Weg, wie Israelis und Palästinenser ein Leben in Frieden, Sicherheit und Würde miteinander führen können“. Wie bei anderen Rednern vor ihm wurde auch Wadephuls Mikrophon nach zwei Minuten abgestellt, sodass das Ende seiner Rede nicht zu hören war. Vor Beginn der Konferenz hatte er aber schon gesagt: Für Deutschland stehe die Anerkennung eines palästinensischen Staates eher am Ende eines Prozesses hin zu einer solchen Lösung. „Aber dieser Prozess muss jetzt beginnen“, verlangte er.
UN-Generalsekretär António Guterres lobte die Anerkennung Palästinas ebenfalls. „Um es klar zu sagen: Die Eigenstaatlichkeit ist für die Palästinenser ein Recht, keine Belohnung“, sagte er und wies so die Kritik aus Israel und den Vereinigten Staaten zurück. Guterres‘ Amtszeit endet Ende 2026. Zwischen ihm und den Regierungen in Washington und Jerusalem ist das Tischtuch schon länger zerrissen.