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Stand: 08.10.2025 09:12 Uhr
Russland exportiert weiter kräftig Rohöl und finanziert damit den Ukraine-Krieg. Wie sehr ist die Welt noch von russischem Öl abhängig – und wie dramatisch wären die Folgen eines kompletten Verzichts?
Über drei Jahre nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine ist zuletzt viel über eine stärkere Sanktionierung russischer Ölexporte diskutiert worden. Nach einem virtuellen Treffen in der vergangenen Woche erklärten die sieben führenden westlichen Industrienationen (G7), es sei an der Zeit, „den Druck auf Russlands Ölexporte zu maximieren“.
Schließlich ist es ist kein Geheimnis, dass Russland mit dem Export fossiler Rohstoffe seinen Krieg gegen die Ukraine finanziert. Der Internationalen Energie Agentur (IEA) zufolge verdiente Russland allein mit dem Export von Rohöl und Ölprodukten im vergangenen Jahr 192 Milliarden Dollar.
Russland ist zweitgrößter Ölexporteur
Trotz aller bisheriger Sanktionen: Auf dem Ölmarkt ist Russland nach wie vor einer der ganz großen Player. Im vergangenen Jahr förderte Russland im Schnitt täglich 10,5 Millionen Barrel Öl – zehn Prozent der weltweiten Ölproduktion. Damit lag Russland auf Platz drei hinter den USA und Saudi-Arabien.
Mit Blick auf die größten Ölexportländer rangiert Russland mit 4,868 Millionen Barrel pro Tag sogar auf dem zweiten Platz hinter Saudi-Arabien (6,420 Millionen Barrel pro Tag).
Wohin die russischen Ölexporte fließen
Aber wer kauft überhaupt noch russisches Öl? Seit dem 5. Dezember 2022, also seit Inkrafttreten des EU-Rohölembargos gegen Russland, bis Ende August 2025 kaufte China 47 Prozent der russischen Ölexporte, rechnet das unabhängige Forschungsinstitut Centre for Research on Energy and Clean Air (CREA) vor. Indien nahm weitere 38 Prozent der russischen Ölexporte ab, jeweils 6 Prozent flossen in die EU und die Türkei.
Die EU plante bislang, per 1. Januar 2028 den Import von russischem Öl und Gas komplett einzustellen. US-Präsident Donald Trump geht das zu langsam: „Ich möchte nicht, dass sie (Europa) Öl von Russland kaufen.“ In Indien und China sieht Trump derweil „die wichtigsten Unterstützer“ der russischen Kriegsmaschinerie.

Die (angebliche) Abhängigkeit Ungarns von russischem Öl
Die 27 EU-Staaten hatten bereits 2022 die meisten Importe von russischem Öl verboten. Ausnahmen gelten aber immer noch für die Slowakei und Ungarn, die weiter Öl aus Russland über die Druschba-Pipeline beziehen; Ungarn hat seine Importe sogar ausgebaut.
Putin-Freund Orban begründet dies mit der Gefahr eines wirtschaftlichen Zusammenbruchs, würde Ungarn auf russische Energie verzichten. Einigen Experten zufolge ist aber längst eine ausreichende Infrastruktur vorhanden, um Ungarn mit erschwinglichem Öl und Gas zu versorgen, das nicht aus Russland stammt.
Kann die OPEC für Russland in die Bresche springen?
Doch lässt sich das russische Öl so einfach ersetzen? Fakt ist: Vor allem Länder wie China und Indien brauchen Alternativen, sollten die russischen Ölexporte komplett wegbrechen. Könnte hier die Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) in die Bresche springen?
„Die OPEC könnte ihre Produktion zwar ausweiten – einen vollkommenen Ausfall der russischen Ölexporte könnte sie aber nicht auffangen“, betont Thu Lan Nguyen, Leiterin Devisen- und Rohstoffanalyse der Commerzbank, im Gespräch mit tagesschau.de. „Selbst wenn Saudi-Arabien seine freien Kapazitäten voll ausschöpfen würde, würde das nicht ausreichen.“
Brent-Öl könnte 80 Dollar erreichen
Ein kompletter Wegfall der russischen Ölexporte würde damit unweigerlich zu einem Anstieg des Ölpreises führen. Einige Experten malen hier düstere Szenarien: „Ein vollständiger Ausfall würde eine Katastrophe im Ölpreis auslösen“, ist etwa Jochen Stanzl, Analyst beim Broker CMC Markets überzeugt.
Commerzbank-Expertin Nguyen sieht das etwas nüchterner: „Sollten die russischen Ölexporte komplett wegfallen, könnte der Ölpreis ein Niveau von etwa 80 Dollar bei der Nordseesorte Brent erreichen.“
Von historischen Höchstständen wäre man damit aber noch weit entfernt. Zum Vergleich: Bis dato wurde der höchste durchschnittliche Ölpreis auf Jahressicht 2012 mit knapp 112 Dollar registriert. Das absolute Rekordhoch stammt aus dem Finanzkrisenjahr 2008 und liegt bei 147 Dollar.
Folgen für Inflation und Weltwirtschaft
Nichtsdestotrotz: Ein deutlicher Anstieg des Ölpreises würde die Inflation in den ölimportierenden Ländern klar nach oben schnellen lassen und das Wachstum dämpfen. Profiteure wären die US-Schieferölindustrie und die OPEC-Länder. Auch wenn die derzeitige US-Regierung einen Ausbau der heimischen Ölproduktion sicherlich begrüßen würde, so wäre ein steigender Ölpreis nicht in ihrem Interesse.
„Die US-Regierung bleibt wegen der inflatorischen Auswirkungen der Zölle an einem Ölpreis interessiert, der unterhalb der 70-Dollar-Marke verbleibt“, betont Wellenreiter-Experte Robert Rethfeld.
Die OPEC als Zünglein an der Waage
Dabei kommt es mit Blick auf die gesamtwirtschaftlichen Effekte darauf an, wie stark und vor allem wie nachhaltig der Ölpreisanstieg wäre. „Gäbe es nur einen initialen Schub und der Ölpreis würde sich dann auf diesem höheren Niveau einpendeln, dann wäre auch der Effekt auf die Inflation überschaubar“, erklärt Rohstoff-Expertin Nguyen.
Viel hängt dabei von der Reaktion des Ölkartells OPEC ab: „Würde die OPEC ihre Produktion weiter und gar schneller steigern, würde der Ölpreis auch angesichts der tendenziell sinkenden Nachfrage wieder runterkommen“, so Nguyen.
Ölnachfrage dürfte bald Höhepunkt erreichen
Tatsächlich dürfte die Nachfrage nach Öl perspektivisch ohnehin nachlassen. Aktuell sind es vor allem die globalen Handelskonflikte und die daraus resultierenden verminderten Wachstumsaussichten für die beiden größten Ölverbraucher USA und China, welche die Nachfrage nach dem „schwarzen Gold“ dämpfen.
Die IEA erwartet vor diesem Hintergrund für das erste Halbjahr 2026 einen „massiven globalen Überschuss“, das Angebot dürfte die Nachfrage um rund 3,3 Millionen Barrel pro Tag übersteigen – so viel wie seit der Corona-Pandemie nicht mehr.
Langfristig rechnet die IEA damit, dass die weltweite Ölnachfrage im Jahr 2029 mit 105,6 Millionen Barrel pro Tag ihren Höhepunkt erreichen und dann ab 2030 zurückgehen wird. Die Agentur begründet die Entwicklung mit dem schwächelnden Wirtschaftswachstum, weltweiten Spannungen im Handel, der Zunahme von Elektroautos und der Abkehr von Rohöl zur Energieerzeugung.
Nur eine Frage des politischen Willens?
Die Welt ist somit womöglich weniger abhängig von russischem Öl, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Selbst ein kompletter Verzicht scheint unter bestimmten Voraussetzungen verkraftbar. Ist es also am Ende nur eine Frage des politischen Willens, sich endgültig vom russischen Öl loszusagen?