Angebote fürs Beisammensein Wie die stille Nacht nicht einsam wird
Stand: 21.12.2025 13:30 Uhr
Weihnachten feierlich mit der Familie, Silvester ausgelassen mit Freunden feiern – soweit das Klischee. Die Realität sieht jedoch für Millionen Menschen anders aus. Sie sind allein. Doch noch ist Zeit, das zu ändern.
In der Geschäftsstelle des Vereins „alt – arm – allein“ in der Kaiserslauterer Innenstadt geht es zu wie in einem Bienenstock. Die einen tragen riesige Tüten mit Lebensmittelspenden, Geschenken und Kleidung herein, die anderen suchen sich etwas davon aus. Sandra Steinkopf (*Name geändert) beobachtet das geschäftige Treiben amüsiert. Die 72-Jährige sitzt am riesigen Tisch in der Mitte des Raumes, inmitten von Geschenktüten, ihr Tee dampft, selbstgemachte Plätzchen stehen in Reichweite.
Auch Sandra Steinmann schaut mit ihrem Hund Tosja regelmäßig bei „alt – arm – allein“ vorbei. Für einen Besuch im Café reiche ihre Rente nicht, erzählt die frühere Krankenschwester. „Aber hier ist es einfach nur super! Wunderbar warm, mein Hund ist willkommen, ich kann mich mit anderen unterhalten, ich fühle mich pudelwohl“, schwärmt Steinmann und strahlt dabei übers ganze Gesicht. Einsam fühle sie sich nicht, beteuert sie. Auch weil sie im Verein immer jemandem zum Reden finde.
Sandra Steinkopf nimmt das Angebot des Vereins gerne an.
Feiertage sind besondere Herausforderung
Der Verein betreut 800 Bedürftige über 65 Jahre in Stadt und Kreis Kaiserslautern, versorgt sie unter anderem mit Kleidung und Lebensmitteln. Und er bietet ihnen Gemeinschaft, vor allem rund um Weihnachten. Haupt- und Ehrenamtliche backen mit den älteren Menschen Plätzchen, verteilen mehr als 500 Päckchen, veranstalten Adventscafés.
Der absolute Höhepunkt für viele ist jedoch das traditionelle, mehrgängige Weihnachtsessen des Vereins in einem angesagten französischen Restaurant in Kaiserslautern. Menschen aus prekären Verhältnissen, die teilweise wochenlang mit niemandem gesprochen haben, können so Heiligabend feierlich in Gemeinschaft erleben.
„Das hat viel mit Menschenwürde zu tun“, sagt der stellvertretende Vorsitzende von „alt – arm – allein“, Hans-Joachim Schulz. Schulz ist Sozialarbeiter, mittlerweile aber in Rente. Er sagt, für viele einsame Menschen sei Weihnachten – unabhängig vom Alter – nur schwer zu ertragen: „Ich habe im Laufe meines Berufslebens gestandene Kerle gesehen, die an den Feiertagen weinten. Vielen wird gerade in dieser Zeit bewusst, was ihnen fehlt, zum Beispiel eine Familie und gute Freunde.“
Weihnachtsessen in Gemeinschaft: Für viele Besucher ein Höhepunkt zum Jahresende.
„Keinerbleibtallein“ vernetzt Menschen miteinander
Wie schwierig Feiertage für einsame Menschen sein können, hat Christian Fein am eigenen Leib erlebt. Der Unternehmensberater hat die bundesweite Initiative „Keinerbleibtallein“ gegründet. Diese bringt Menschen zusammen, die Weihnachten und Silvester nicht allein sein möchten. Geboren wurde die Idee aus der eigenen Not heraus: Christian Fein hatte sich 2016 kurz vor Weihnachten von seiner damaligen Frau getrennt und deshalb vor dem Alleinsein an den Feiertagen Respekt.
Um nicht in ein Loch zu fallen, suchte er via Twitter Gleichgesinnte, mit denen er Weihnachten virtuell in Kontakt treten konnte. Über die Aktion vernetzte Fein mehrere Tausend Menschen. Dadurch ermutigt, beschloss er, Menschen nicht nur virtuell, sondern auch real zusammenbringen zu wollen – über die Plattform „Keinerbleibtallein“. Denn: wirkliche Wertschätzung gebe es nur im echten Leben, ist der 40-Jährige sicher.
Fein und sein Team vermitteln via Facebook und Instagram Menschen, die einen Platz zum Mitfeiern anbieten oder suchen. Dabei spielen nicht nur der Wohnort, sondern auch Alter, Geschlecht und Hobbies eine Rolle. Im vergangenen Jahr hätten sich um die 60.000 Menschen gemeldet, zwei Drittel davon wollten jemanden einladen. Rund 19.000 mögliche Paarungen habe man daraus kreiert.
Konkrete Vorstellungen an den „Wunschgast“
Schwierig werde es oft, wenn mögliche Gastgeber zu konkrete Vorstellungen von ihrem „Wunschgast“ hätten. „Viele möchten gerne einem alten, einsamen Mann etwas Gutes tun“, erklärt Fein. Ältere Menschen meldeten sich aber eher selten bei der von ihm gegründeten Initiative, weil die Vermittlung ausschließlich via Social Media laufe.
Die Vermittlungsarbeit von „Keinerbleibtallein“ ist mitunter aufwändig und kompliziert. Nicht selten entstünden daraus aber dauerhafte Freundschaften, sagt Fein. Ihm mache das Mut. In der zunehmenden Vereinzelung sieht er auch eine Gefahr für die Demokratie, schwinde dadurch doch der gesellschaftliche Zusammenhalt immer mehr.
Angebote auch von Kirchen
„Keinerbleibtallein“ ist eine Möglichkeit, die Feiertage nicht allein verbringen zu müssen. Darüber hinaus organisieren deutschlandweit Kirchengemeinden und Vereine Treffen. Wer in den eigenen vier Wänden bleiben will und jemandem zum Reden braucht, kann beispielsweise die Telefonseelsorge anrufen. Die Hotline „Nummer gegen Kummer“ ist auf Kinder und Jugendliche spezialisiert, das „Silbernetz“ auf ältere Menschen.
Wer unter 25 ist und nicht gerne redet, kann sich an den Krisenchat wenden. Die Kontaktaufnahme läuft via WhatsApp oder SMS, rund um die Uhr und kostenlos.
Expertin rät zu Vorsicht bei KI-basierten Hilfsangeboten
Hilfe bei Künstlicher Intelligenz wie etwa ChatGPT zu suchen, davon hingegen rät Professor Julia Linke vom Mainzer Leibniz-Institut für Resilienzforschung ab. Zum einen müsse man aufpassen, welche privaten Details man preisgebe. Schließlich finde eine Unterhaltung mit Künstlicher Intelligenz in keinem geschützten Raum statt.
Zum anderen seien die zugrundeliegenden Algorithmen so programmiert, dass sie die Nutzerinnen und Nutzer in ihren Ansichten bestärkten. Linke sagt, dies könne vor allem extrem gefährlich sein, wenn jemand nicht mehr leben möchte.
Hilfe bei Suizid-Gedanken
Sollten Sie selbst von Selbsttötungsgedanken betroffen sein, suchen Sie sich bitte umgehend Hilfe. Bei der anonymen Telefonseelsorge finden Sie rund um die Uhr Ansprechpartner.
Telefonnummern der Telefonseelsorge: 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222 www.telefonseelsorge.de
Telefonberatung für Kinder und Jugendliche: 116 111 – www.nummergegenkummer.de
Rechtzeitige und konstruktive Vorbereitung
Die Wissenschaftlerin rät einsamen Menschen dazu, sich rechtzeitig und konstruktiv auf die Feiertage vorzubereiten. Wichtig sei zum einen, Erwartungen zu hinterfragen. Weihnachten sehe im echten Leben bei den wenigsten so aus wie in Werbung und Social Media, ist sich Linke sicher. Daneben empfiehlt sie einsamen Menschen, die Feiertage durchzuplanen, zum Beispiel mit Spaziergängen, Kirchgängen oder kulturellen Veranstaltungen.
Zum anderen fordert sie dazu auf, mutig zu sein. Jeder könne selbst aktiv werden, beispielsweise zum Hörer greifen, gar eine Einladung zum Kaffee aussprechen. Und damit vielleicht sogar jemand anderem, der sich an den Feiertagen einsam fühlt, etwas Gutes tun.








