Weihnachtsrituale Warum wir schenken
Stand: 21.12.2025 09:25 Uhr
Schenken wirkt wie eine freundliche Geste, ist aber ein komplexer sozialer Austausch. Warum Geschenke Verpflichtungen schaffen, wie Konsumdruck entstand und was persönliche Gaben ausmachen.
Von Frank Wittig und Richard Kraft, SWR
Weihnachten – das Fest der Liebe, der Familie und, nicht zuletzt, der Geschenke. Während die einen in der Vorweihnachtszeit hektisch durch Geschäfte eilen, um die letzten Präsente zu besorgen, empfinden andere das Schenken als eine der schönsten Traditionen des Jahres.
Doch was steckt eigentlich hinter diesem Ritual? Warum schenken wir, und wie hat sich diese Praxis im Laufe der Zeit verändert? Ein Blick auf die anthropologischen Hintergründe des Schenkens, insbesondere zur Weihnachtszeit, zeigt, dass es sich um weit mehr handelt als nur um eine nette Geste.
Schenken als uraltes Ritual
Das Schenken gehört zu den ältesten sozialen Praktiken der Menschheit. Timo Heimerdinger, Kulturanthropologe an der Universität Freiburg, erklärt, dass das Schenken nicht nur eine einseitige Freundlichkeit darstellt, sondern vielmehr ein komplexer sozialer Austausch ist. „Wir sprechen eigentlich von einem Gabentausch“, sagt Heimerdinger. „Jede Gabe fordert eine Gegengabe heraus.“
Mit einem Geschenk wird also eine wechselseitige Verpflichtung geschaffen, die die Beziehung zwischen den Beteiligten stärkt. Es geht dabei nicht nur um den materiellen Wert, sondern auch um die soziale Bindung, die durch das Schenken entsteht.
Schenken im Wandel der Zeit
In den letzten Jahrzehnten hat sich das Schenken, insbesondere in wohlhabenden Gesellschaften, stark verändert. Heimerdinger kritisiert, dass das Ritual zunehmend von einer kapitalistischen Konsumlogik geprägt ist. Der Druck, etwas Materielles zu schenken, führt oft dazu, dass Menschen in letzter Minute noch schnell ein beliebiges Geschenk kaufen – sei es eine Krawatte oder ein anderes Standardpräsent. „Der Rubel muss rollen, weil niemand mit leeren Händen dastehen möchte“, beschreibt Heimerdinger die Dynamik.
Doch es gibt auch eine Gegenbewegung: Viele Menschen suchen nach Wegen, sich von den Zwängen des Konsums zu lösen. Statt teurer Geschenke setzen sie auf persönliche und individuelle Gaben.
Selbstgebasteltes, anspielungsreiche Geschenke oder gemeinsame Zeit sind Beispiele für Alternativen, die jenseits der Konsumlogik liegen. Diese Art des Schenkens betont den emotionalen und persönlichen Wert eines Geschenks und rückt die Beziehung zwischen den Menschen in den Vordergrund.
Kinder und das Schenken: Eine besondere Dynamik
Eine besondere Rolle spielt das Schenken in Bezug auf Kinder. Laut Heimerdinger hat sich das Beschenken von Kindern erst im 19. Jahrhundert etabliert, als die Kindheit als eigene Lebensphase entdeckt wurde.
In dieser Zeit entwickelte sich die Vorstellung von Geborgenheit und Harmonie als zentrale Werte der bürgerlichen Kleinfamilie. Geschenke wurden zu einem Ausdruck von Zuneigung und Anerkennung, die Kinder in ihrer Entwicklung fördern sollten. Heute ist das Weihnachtsfest für viele Kinder der Höhepunkt des Jahres, an dem sie nicht nur materielle Geschenke, sondern auch die Aufmerksamkeit und Liebe ihrer Familie erfahren.
Was macht ein gelungenes Geschenk aus?
Laut Heimerdinger sei es oft nicht der materielle Wert, sondern das, was im Herzen mitschwinge. Ein gelungenes Geschenk spiegele die Beziehung zwischen den Menschen wider und zeige, dass sich der Schenkende Gedanken gemacht hat.
In seiner eigenen Familie habe sich eine besondere Tradition etabliert: Jedes Jahr gestaltet seine Frau einen Fotokalender mit gemeinsamen Momenten des vergangenen Jahres. Dieses Geschenk habe einen hohen emotionalen Wert und erinnere die Familie an die schönen Erlebnisse, die sie miteinander geteilt haben.
Schenken als Ausdruck von Verbundenheit
Das Schenken zur Weihnachtszeit ist weit mehr als ein Konsumritual. Es ist ein Ausdruck von Verbundenheit, Zuneigung und sozialer Interaktion. Während der materielle Aspekt in unserer modernen Gesellschaft oft im Vordergrund steht, zeigt die Wissenschaft, dass die Kostbarkeit eines Geschenks oft eher in seiner emotionalen Bedeutung liegt.
Ob selbstgebastelt, individuell ausgewählt oder in Form von gemeinsam verbrachter Zeit – ein Geschenk, das von Herzen kommt, bleibt in Erinnerung und stärkt zwischenmenschliche Beziehungen.
Blick in die Natur: Beschenken sich Tiere?
Auch im Tierreich gibt es Verhaltensweisen, die wie Geschenke wirken – doch meist steckt keine bewusste Symbolik dahinter. Viele Tiere präsentieren Artgenossen Objekte oder Nahrung, etwa zur Balz oder zur sozialen Bindung. Pinguine überreichen ihren Partnern Kieselsteine, Schimpansen teilen gelegentlich Nahrung. Solche Gesten sind immer wieder Gegenstand neuer wissenschaftlicher Forschung.
Klar ist: Sie zeigen, wie tief Austauschhandlungen in der Natur verankert sind. Wenn Tiere Objekte weitergeben, stärkt das Bindungen, fördert Kooperation und erfüllt oft dieselbe Rolle wie menschliche Gaben: Beziehungen lebendig zu halten.










