
Stand: 14.10.2025 16:58 Uhr
Bund und Länder haben erste Vorschläge für eine Pflegereform vorgelegt. Die Pflegegrade müsse es weiterhin geben. Und: Der Pflegegrad 1 soll bleiben und sich mehr auf Prävention ausrichten. Doch die Pläne stoßen auf Kritik.
Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe hat Vorschläge für eine Pflegereform erarbeitet. Diese ersten Eckpunkte stoßen allerdings auf heftigen Widerstand – und der kommt aus verschiedenen Richtungen.
Die Gruppe will die unterschiedlichen Pflegegrade beibehalten. Doch die Leistungen sollen überprüft und vereinfacht werden.
Die Pflegeversicherung soll eine Teilversicherung bleiben: Sie soll also nicht in eine Vollversicherung umgewandelt werden. Dies bedeutet, dass Betroffene einen Teil der Pflegekosten weiter selbst tragen müssen. Es sollen aber „Lösungen zur Begrenzung beziehungsweise Dämpfung der steigenden Eigenanteile gefunden werden“. Hierzu sollen im Dezember konkrete Reformvorschläge vorgelegt werden.
Die schnell steigenden Eigenanteile sind für die rund 5,7 Millionen Pflegebedürftigen und deren Angehörige oft eine große Belastung. Der durchschnittliche Eigenanteil für einen Platz im Pflegeheim liegt nach Berechnungen des Verbands der Ersatzkassen inzwischen bei mehr als 3.000 Euro im Monat, der Eigenanteil für die reine Pflege bei mehr als 1.800 Euro.
Festhalten wollen Bund und Länder zudem an Pflegegrad 1. Dieser gewährt den Menschen Anspruch auf einen Entlastungsbetrag von bis zu 131 Euro sowie auf finanzielle Zuschüsse, wenn sie ihre Wohnung barrierefrei umbauen müssen. Die Leistungen sollen aber stärker auf Prävention ausgerichtet werden. Das solle zum Beispiel „durch eine verbesserte pflegefachliche Begleitung der Pflegebedürftigen“ erfolgen, hieß es. In den vergangenen Wochen hatten Berichte über angebliche Pläne, diese Pflegestufe aus Kostengründen abzuschaffen, für Kritik und Verunsicherung gesorgt.
Warken: Einnahmen müssen ausreichen
Bei der Pflegeversicherung fehlen im kommenden Jahr laut Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) knapp zwei Milliarden Euro. Eine Erhöhung der Beiträge schloss die Ministerin aus. Im Bundeshaushalt sind Darlehen nicht nur für die Kranken-, sondern auch für die Pflegeversicherung vorgesehen, die den absehbaren Bedarf aber nicht decken.
Warken erklärte, dass „stetige Beitragssteigerungen und Mehrbelastungen nicht die Lösung sein“ könnten. Sie verdeutlichte, dass die Einnahmen im System ausreichen müssten, um das Leistungsversprechen zu finanzieren. Eine kurzfristige Stabilisierung der Pflegeversicherung wäre nur zu erreichen, wenn versicherungsfremde Leistungen konsequent aus Steuermitteln finanziert würden. Die Kommission soll bis Ende des Jahres Ergebnisse vorlegen.
Kritik aus unterschiedlichen Bereichen
Der Arbeitgeberverband Pflege kritisierte, es sei ein Stückwerk, bei dem Prüfaufträge erteilt würden, die Finanzierung bleibe vage und vieles werde auf die lange Bank geschoben. „Die Vorschläge lassen völlig offen, wie mehr Pflegeplätze entstehen sollen“, sagte Verbandspräsident Thomas Greiner. Er forderte mehr Freiheit für Pflegeeinrichtungen beim Personaleinsatz.
Auch der Verband der Privaten Krankenversicherung bemängelte den Vorschlag als nicht ausreichend. Die Gruppe drohe das Ziel der langfristigen Finanzierung der Pflegeversicherung zu verfehlen, sagte Verbandschef Florian Reuther. „Anstatt den Fokus auf eine Finanzreform zu richten, die Beitrags- und Steuerzahler vor Überlastung schützt, präsentiert die Kommission Konzepte, die zu Mehrausgaben führen und nicht finanzierbar sind.“ Besonders kritisch sieht Reuther etwa die Einführung eines sogenannten Pflegedeckels zur Begrenzung der Eigenanteile.
SPD: „Pflege darf keine Frage des Geldbeutels sein“
Das kritisierte auch die SPD-Bundestagsfraktion: Sie fordert, den Eigenanteil zu deckeln – und längerfristig auch eine Pflege-Vollversicherung einzuführen, „denn Würde in der Pflege darf keine Frage des Geldbeutels sein“, erklärten SPD-Fraktionsvize Dagmar Schmidt und der Gesundheitsexperte der Fraktion, Christos Pantazis.
Der Verband der Ersatzkassen forderte schnelle Entscheidungen, insbesondere zur finanziellen Stabilisierung. Allein die Rückerstattung von Corona-Kosten würde die Pflegeversicherung um rund 5,5 Milliarden Euro entlasten – und damit die Finanzlücke für das kommende Jahr schließen, so Verbandschefin Ulrike Elsner. Sie sprach sich ebenfalls dafür aus, dass der Bund die Kosten für versicherungsfremde Leistungen wie die Rentenversicherungsbeiträge für pflegende Angehörige übernehmen sollte.
Andere Punkte, die Entlastung bringen würden
Die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, kritisierte Überlegungen in dem Papier, eine obligatorische private Zusatzversicherung einzuführen. Bentele sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), eine Abkehr von der solidarischen Pflegeversicherung durch eine private Zusatzversicherung sei „klar abzulehnen“.
Die großen Punkte, die den Pflegekassen tatsächlich Entlastung brächten, seien im Papier kaum angerissen, bemängelte Bentele. Sie nannte beispielhaft die Rentenversicherungsbeträge von pflegenden Angehörigen, die derzeit von den Pflegekassen bezahlt werden, aber eigentlich aus Steuermitteln getragen werden müssten. Das seien im kommenden Jahr 4,35 Milliarden Euro, die den Pflegekassen zustünden. „Würde die Pflegeversicherung dieses Geld bekommen, hätte sie gar kein Defizit“, sagte Bentele.
Der Verband Deutscher Alten- und Behindertenhilfe nannte die Ansätze der Kommission „eher zaghaft“. Nötig sei eine wirksame Begrenzung der Kostensteigerungen, sagte Hauptgeschäftsführer Thomas Knieling den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Auch er forderte mehr unternehmerische Freiheit für Pflegeeinrichtungen.
Keine Reform, die Pflegebedürftige und Familien entlastet
Der Deutsche Gewerkschaftsbund kritisiert: „Pflege im Alter ist mehr und mehr zum Armutsrisiko geworden“. DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel: „Das erste Zwischenergebnis der Bund-Länder-Arbeitsgruppe ist nicht die erwartete gute Nachricht für eine Reform, die Pflegebedürftige und ihre Familien entlastet.“
Die IG Metall kritisierte das Festhalten am Teilleistungssystem. „Wirkliche Entlastung brächte eine Bürgerversicherung, in die auch Beamte, Politiker und Besserverdienende einzahlen und die als Vollversicherung alle pflegebedingten Kosten übernimmt“, sagte der Sozialvorstand der Gewerkschaft, Hans-Jürgen Urban.
Der Paritätische Gesamtverband vermisst ebenfalls einen grundlegenden Systemwechsel. „Wir brauchen eine Pflegeversicherung, die die Menschen wirklich absichert – vollständig und verlässlich, nicht nur teilweise“, sagte Hauptgeschäftsführer Joachim Rock. Die Eigenanteile müssten verbindlich begrenzt, pflegende Angehörige deutlich entlastet und die Arbeitsbedingungen in der Pflege endlich spürbar verbessert werden.