Stand: 05.11.2025 17:06 Uhr
Die EU-Staaten haben sich nur unter großen Mühen auf eine Linie verständigen können. Einige sehen die Wettbewerbsfähigkeit durch die Klimapolitik in Gefahr. In der deutschen Industrie wird Kritik am Emissionshandel laut.
Der Essener Konzern Evonik zählt zu den Top Ten der deutschen Chemieindustrie. Die ist stark unter Druck angesichts der Wirtschaftskrise und der internationalen Konkurrenz. Aus Sicht von Evonik-Chef Christian Kullmann sind Kosten für den Klimaschutz einer der Gründe für die schwierige Lage.
Insbesondere der europäische Emissionshandel belaste die Branche zusätzlich, sagte Kullmann vor einer Woche in den tagesthemen. „Wir brauchen eine radikale Reform dieser CO2-Gebühr, keine zusätzlichen Belastungen“, betonte der Evonik-Chef.
Was bedeutet Emissionshandel eigentlich?
Der europäische Emissionshandel ETS 1 funktioniert im Grundsatz ziemlich einfach. Wer in der EU viele Treibhausgase in der Industrie und bei der Energieerzeugung ausstößt, braucht dafür Zertifikate, die über die Jahre immer knapper und damit teurer werden. Das soll den Anreiz erhöhen, beispielsweise in der Industrie in klimafreundliche Produktionsanlagen zu investieren.
Im Jahr 2005 wurde der europäische Emissionshandel eingeführt. In den vom ETS 1 erfassten Sektoren Industrie und Energie ist der Treibhausgasausstoß laut Umweltbundesamt seitdem um 47 Prozent in Deutschland gesunken, in der EU sogar um 51 Prozent.
Verbandchef fordert „neuen Realismus“
Im Grundsatz sei der europäische Emissionshandel ein sinnvolles Instrument, betont Wolfgang Große Entrup, der Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Chemischen Industrie. Der Branche gehe es nicht um eine Abschaffung des Emissionshandels. Aber der Verbandschef spricht von einem „neuen Realismus“, den es jetzt brauche. „Wir wollen Klimaziele erreichen. Aber wir müssen unsere heimische Industrie erhalten.“ Es gehe darum, mit der Industrie den Klimaschutz zu erhalten. „Wir stehen zum Emissionshandel. Aber der Weg muss neu definiert werden.“
Große Entrup verweist darauf, dass die Chemieindustrie stark exportorientiert sei und dabei unter Druck stehe – wegen der hohen Energiepreise in Deutschland, wegen der hohen Steuerlasten und auch wegen der gesunkenen Nachfrage auf dem heimischen Markt – etwa durch die kriselnde Autoindustrie und das Baugewerbe. Der Emissionshandel dürfe da nicht zu einer zusätzlichen Belastung werden.
Dass die Chemieindustrie aber auch einige Stahlunternehmen jetzt Druck machen, dürfte auch daran liegen, dass bislang ein Großteil der CO2-Zertifikate in der EU kostenlos an die Industrie vergeben wurde. Diese freie Zuteilung soll ab dem kommenden Jahr schrittweise abgebaut werden, um bis 2034 ganz auszulaufen. Angesichts der Wirtschaftskrise müsse dieser Zeitplan entschärft werden, fordern Teile der Industrie.
Kellner: Unternehmen anderweitig entlasten
Michael Kellner, energiepolitischer Sprecher der Grünen, hält das für den falschen Weg. Er verweist darauf, dass die Unternehmen zwanzig Jahre Zeit gehabt hätten, um sich auf das Auslaufen der freien Zuteilung vorzubereiten, um in den Klimaschutz zu investieren. „Wenn einige Unternehmen jetzt sagen, oh, das haben wir vergessen, dann haben sie offenbar nicht weitergedacht. Das finde ich das Fatale daran.“
Kellner plädiert dafür, energieintensive Branchen wie die Chemie lieber anderweitig zu entlasten – beispielsweise beim Strompreis.
Länger kostenlose Zertifikate?
Sonja Peterson vom Kiel Institut für Weltwirtschaft befasst sich seit langem intensiv mit dem europäischen Emissionshandel. Aus ihrer Sicht setzt das System einen sinnvollen Rahmen, der auch dazu diene, auf kleinteilige Regulierungen im Klimaschutz verzichten zu können. Denn das Preissignal setze den Anreiz für mehr Klimaschutz. „Ich unterstütze sehr, dass die Bundesregierung angetreten ist, um stark auf den Emissionshandel als wichtigstes klimapolitisches Instrument zu setzen.“
Peterson warnt davor, diesen Rahmen nun in Frage zu stellen. Aber nach Einschätzung der Wirtschaftswissenschaftlerin ist es sinnvoll, mit Blick auf die europäische Wettbewerbsfähigkeit über einige Anpassungen zu diskutieren. Beispielsweise bei der Frage, ob in den kommenden Jahren mehr kostenlose CO2-Zertifikate ausgegeben werden sollen als derzeit von der EU geplant.
Regierung zeigt sich offen
Solche Forderungen stoßen in der Bundesregierung durchaus auf offene Ohren. Bei CDU-Wirtschaftsministerin Katherina Reiche sowieso, da sie regelmäßig vor zu hohen Klimaschutzkosten warnt.
Aber auch SPD-Umweltminister Carsten Schneider zeigt sich offen dafür, im Emissionshandel für kriselnde Branchen Erleichterungen zu schaffen. „Ich gehe nicht so apodiktisch an Sachen heran“, sagt Schneider. „Wenn man über Zeiträume von 40 Jahren redet, muss es klar sein, dass man in die Speichen greift, wenn man sieht, es geht in die falsche Richtung.“ Schneider hat den Wunsch nach Erleichterungen bei der Zuteilung von CO2-Zertifikaten zusammen mit Österreich auch bei der EU-Umweltministerkonferenz gestern und heute in Brüssel vorgebracht.
Es gehe um Anpassungen, nicht darum, die Klimaziele oder den Emissionshandel aufzugeben, betont der SPD-Politiker. Auch in der EU dürften sich dafür kaum Mehrheiten finden. Eins macht die Debatte aber deutlich: Die Sorgen in der Industrie wachsen, dass mehr Klimaschutz auf Kosten der Wettbewerbsfähigkeit gehen könnte.










